
"IBM Quantum System One" heißt der kühlschrankgroße Quantenrechner, betrieben wird er von der Fraunhofer-Gesellschaft. "Herr Neugebauer, machen Sie was draus!", gab Bundeskanzlerin Angela Merkel deren Chef Reimund Neugebauer mit auf den Weg und wünschte ihm viele gute Kunden, die das Gerät nutzen wollen, um Erfahrungen mit der zukunftsweisenden Computertechnologie zu sammeln.
Disruptives Potenzial, um Produktionsweisen nachhaltig zu verändern
Die Nachfolger des heute eingeweihten 27-Qubit-Rechners von IBM dürften schon in wenigen Jahren in der Lage sein, Rechenprobleme zu lösen, an denen sich heutige Supercomputer die Zähne ausbeißen. Auch wenn die Entwicklung noch am Anfang stehe, berge die Quantentechnologie ein großes "disruptives Potenzial", so die Bundeskanzlerin.
Eine wichtige Maßzahl zur Klassifizierung von Quantencomputern ist die Zahl von elementaren Rechenelementen, sogenannten "Qubits". Je mehr Qubits, umso leistungsfähiger ist ein Quantenrechner. IBMs 'Quantum System One' hat 27 Qubits in Form supraleitender, extrem tiefgekühlter Schaltkreise. Das klingt nicht nicht berauschend und es bereits Prototypen mit 60 bis 70 Qubits, zum Beispiel von Google. Aber diese Prototypen funktionieren noch nicht so zuverlässig. Deswegen ist das 27-Qubit-Gerät derzeit schon State-of-the Art, wenn es um einen zuverlässigen Routinebetrieb geht.
27 Qubits ist noch zu wenig, um mehr zu können als gewöhnliche Computer. Damit ein Quantencomputer überlegen ist, bräuchte es mindestens rund 60 Qubits, und für vielen Anwendungen sogar noch mehr – tausende oder gar einige Millionen. Der Hauptzweck dieser Maschine ist es nicht, bislang unlösbare Rechenprobleme zu lösen. Sie soll vielmehr als Übungsfeld dienen. Ein Quantenrechner lässt sich nicht genauso programmieren wie ein herkömmlicher Computer, es braucht eine andere Art von Programmierung und Algorithmen. Den Umgang damit muss man üben und lernen, dafür ist der neue Rechner gedacht. Großkonzerne, kleine und mittelständische Unternehmen, Start-ups und Forschungsteams sollen in Ruhe ausprobieren können, wie diese Maschine funktioniert, wie man Quantenalgorithmen bastelt und testen, was sich damit künftig anfangen lässt.
Der Quantencomputer ist eine "Maschine für besondere Fälle". Er kann für Optimierungsrechnungen genutzt werden, etwa wenn es darum geht, die optimalen Routen für den Fuhrpark einer Spedition auszurechnen. Ein weiteres wichtiges Einsatzfeld sind Simulationsrechnungen, um Materialien am digitalen Reißbrett maßzuschneidern, etwa effizientere Katalysatoren für Brennstoffzellen. Ein weiteres Feld: die Künstliche Intelligenz, etwa neue Algorithmen für autonome Fahrzeuge oder genauere Prognosen für die Finanzwelt.
Bei der Einweihung waren neben Angela Merkel auch Winfried Kretschmann und Anja Karliczek dabei. Wenn der Quangencomputer hält, was er verspricht, dürfte er auf einigen Feldern disruptive Folgen haben und neue Milliardenmärkte erschließen. Das ist die große Erwartung, auch international. Die USA und China investieren bereits enorm in die Entwicklung. Da will Deutschland den Anschluss nicht verlieren, sonst droht das alte Lied: In der Grundlagenforschung top, in der Vermarktung ein Flop. In Vergangenheit wurde nämlich das große Geschäft oft genug in den USA und in Ostasien gemacht. Das will die Politik nun offenbar verhindern und versucht offensiv, den Transfer vom Labor in die Wirtschaft zu fördern – zum Beispiel mit zusätzlichen zwei Milliarden Euro aus dem Corona-Konjunkturpaket zur Förderung von Quanentechnologien.
Die Pläne sind ehrgeizig: IBM hat noch für dieses Jahr einen Quantenprozessor mit 127 Qubits angekündigt. Nächstes Jahr soll einer mit gut 400 Qubits folgen und 2023 einer mit über 1.000 Qubits. Dann sollen auch die ersten praktischen Anwendungen kommen. Ab 2025 soll es Quantencomputer ganz normal zu kaufen geben. Ähnlich ambitiös klingen die Pläne der Konkurrenz, etwa von Google und aus China. Ob das so rasant geht, wie angekündigt, ist fraglich. Denn das Hochskalieren der Quantenprozessoren, der Bau von immer größeren Quantenchips, ist nicht so einfach: Je mehr Qubits man in einen Quantenrechner packen will, umso störungsanfälliger wird das Ganze. Fachleute bezweifeln, ob das Tempo, das sich die Hersteller vorgenommen haben, zu halten ist. Dafür dürften auch weitere technologische Sprünge nötig sein.