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Theater St.Gallen
"L'Incoronazione di Poppea" im verdreckten Schwimmbad

Das Theater St.Gallen hat Claudio Monteverdis "L'Incoronazione di Poppea" in einer fast vergessenen Bearbeitung von Ernst Kreneks ausgegraben. Das Werk klingt nach Musiktheater aus den 1930ern und weniger nach Monteverdi. Für unseren Kritiker hat sich der Opernbesuch in der Schweiz gelohnt.

Von Dieter David Scholz | 13.05.2019
    Blick auf das Theater St. Gallen, 20. Maerz 2017, in St. Gallen.
    Das Theater St. Gallen hat die Krenek-Oper zum ersten Mal seit 82 Jahren wieder szenisch auf die Bühne gebracht (picture alliance/dpa - Keystone/Gian Ehrenzeller)
    "Es klang so alt uns war doch so neu" sagt Hans Sachs in Richard Wagners Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" über den Gesang des Musikneuerers Walther von Stolzing. Ähnliches könnte man über Ernst Kreneks Monteverdi-Bearbeitung sagen, die die junge aufstrebende Dirigentin Corinna Niemeyer am Theater St. Gallen in einer szenischen Neuproduktion wieder auferstehen ließ.
    "Ja, das klingt sehr anders. Also Krenek hat eine Version geschaffen, die eher seiner Zeit entsprach, es gab gar nicht den Anspruch, das authentisch auf die Monteverdi-Zeit hin ...zu bearbeiten und wir haben ein Orchester auch mit Instrumenten, die es zur Monteverdi-Zeit noch gar nicht gab. Man kann fast sagen, dass es sich um ein neues Werk handelt."
    Ernst Krenek ging es in seiner Bearbeitung denn auch nicht um eine Rekonstruktion des Originals, sondern um "eine Wiederbelebung mithilfe zeitgenössischer Mittel", wie er einmal schrieb.
    "Und natürlich hat Krenek auch sehr stark gekürzt, sehr stark geschnitten, also er hat immer wieder einzelne Phrasen noch hinzugefügt irgendwo, also anders hinzugefügt, als sie vorher waren, oder aufgeschnitten. Er hat ganze Rollen geändert, und auch weggelassen, die Götter sind alle raus. Ein rein menschliches Drama."
    Wie Musiktheater der 1930er-Jahre
    Kreneks "Krönung der Poppea" klingt nicht mehr wie Monteverdi, wie man ihn aus der Alten-Musik-Szene kennt, sondern sie klingt wie Musiktheater der 1930er-Jahre. Krenek hat die Oper durchkomponiert, geschlossene Rezitative, Duette und Sinfonien wie bei der Vorlage gibt es nicht. Das knapp zweistündige Werk ist in zwei Teile unterteilt, die wiederum in einzelne Bilder gegliedert sind, die durch Zwischenspiele getrennt werden. Zwischen den zwei Teilen befindet sich ein längeres, bemerkenswertes Intermezzo, in dem Krenek Motive der von ihm gestrichenen Partien der Oper aufgreift.
    Der amerikanisch-österreichische Komponist und Musikschriftsteller Ernst Krenek als Dirigent in einer undatierten Aufnahme.
    Der amerikanisch-österreichische Komponist und Musikschriftsteller Ernst Krenek als Dirigent in einer undatierten Aufnahme. (picture alliance / dpa / Herold)
    Krenek instrumentierte das Werk für Streicher, Klavier, Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Trompete, Horn, Posaune, Harfe und Harmonium. Immer wieder überrascht seine Musik mit eigenwilligen Klangfarbenmischungen und Orchestereffekten. Es gibt Abschnitte, die nach Hollywood klingen oder auch nach Oper der Spätromantik, ja nach Richard Strauss. Aber auch Anklänge an Ravel und Debussy sind nicht zu überhören. Der durchsichtige Orchestersatz lässt in der engagierten, sensiblen Interpretation Corinna Niemeyers und des Sinfonieorchester St. Gallen verblüffende, fantasievolle Details der Partitur hören.
    Krenek hat dem Drama um den Zusammenhang von Macht und Eros jegliche göttliche, schicksalhafte, typisch antike Bedingtheit entzogen, die bei Monteverdi noch alles menschliche Handeln steuert. Für den jungen, vom Schauspiel her kommenden Regisseur Alexander Nehrlich und seinen Ausstatter Wolfgang Menardi ein Stein des Anstoßes. Sie steuern in ihrer Inszenierung dagegen, indem sie eine stumme Rolle als Ersatz für die von Krenek eliminierte amoralische, ja anarchische Figur des Strippen ziehenden Gottes Amor in die Oper einfügen.
    "Okay, es ist typisch, dass man in der Moderne sagt, diese alten Gottheiten, die großen allegorischen Figuren sagen uns nichts mehr, die sind nicht greifbar für uns heute, das sehen wir eben total andres, und sagen, gerade weil sie raus gestrichen wurde, muss sie zurückkommen. Sie kommt als schwarzes Objekt. Die Figur ist eine Tänzerin, ist aber weitestgehend geschlechtslos, kommt sozusagen aus dem Abfluss, das was man einmal im Monat aus dem Abfluss heraus nehmen muss, schwarz, ledrig zeitlos, zurück, mischt sich in die Szenen ein."
    Oper spielt in einem verdreckten Schwimmbad
    Nehrlich und sein Ausstatter lassen ihre St. Gallener Wiederaufführung der Krenek-Monteverdi-Oper in einem verdreckten Schwimmbad spielen, das an antike Thermen erinnert. Schwarze, punkig-gruftige, gruselig geschminkte Gestalten bevölkern die Inszenierung. Einige zeigen in den von Žana Bošnjak entworfenen Kostümen Anklänge an römische Antike. Alexander Nehrlichs Regiekonzept kreist: "rund um die Person vom jungen Kaiser Nero, der in einem Schwimmbad geboren wurde, einem Heilbad. Ich stell mir dann vor, dass das für ihn Zeit seines Lebens ein prägender Ort gewesen sein muss, weil er sich ja auch mit Schwimmbadarchitektur befasst hat. Und auch einige seiner Opponenten mussten in Dampfbädern, Schwimmbädern dran glauben, also ein Ort von Geburt und Tod. Es hat kein Wasser, es hat sich eine ascheähnliche Substanz ausgebreitet. Schwimmen ohne Wasser ist ein wichtiges Motiv."
    Und doch ist Trockenschwimmen nicht angesagt, denn immer wieder wird Meeresbrandung auf den gekachelten, oft nüchtern, ja grell ausgeleuchteten Bühnenraum projiziert. Ein Raum, der den Stimmen gut tut. Und es wird durchweg vorzüglich gesungen. Aus den zehn Sängern ragt neben dem sonoren Bass von Martin Summer, der eindrucksvoll den Seneca gibt, der prachtvolle Mezzosopran der Litauerin Ieva Prudnikovaite heraus, die die verstoßene Kaiserin Ottavia singt.
    Ein Porträt von Claudio Monteverdi
    Der italienische Komponist Claudio Monteverdi (imago - WHA UnitedArchives)
    Monteverdis "L'Incoronazione di Poppea" ist die erste Oper der Operngeschichte, die von historischen Personen erzählt. Zwar ist die Handlung durchdrungen von allegorischen Figuren und Göttern, auch von philosophischen Betrachtungen, doch im Zentrum stehen der römische Kaiser Nero sowie seine spätere Ehefrau Poppea, deretwegen er Ottavia verstößt. Ein Paradebeispiel des Triumphs amoralischer, ja asozialer Erotik. Anicio Zorzi Giustiniani und Raffaelea Milanesi leihen dem Kaiserpaar ihre Stimmen.
    Das Theater St. Gallen hat mit der Ausgrabung der vergessenen Monteverdi-Bearbeitung Kreneks einigen Mut bewiesen. Schon der erfreulichen sängerischen wie musikalischen Leistung wegen lohnt der Besuch der Produktion, die als Alternative zu historisch informierten Aufführungen äußerst interessant ist.