Mittwoch, 24. April 2024

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Thomas-Cook-Pleite
"Der Reiseveranstaltermarkt wächst nach wie vor"

Der Reisekonzern Thomas Cook ist insolvent. Nichtsdestotrotz sei der Markt für Pauschalreisen in Deutschland noch sehr relevant - auch wenn viele glaubten, das sei ein Angebot von gestern, sagte der Tourismusexperte Volker Böttcher im Dlf.

Volker Böttcher im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 23.09.2019
Ein Regal mit Reisekatalogen von verschiedenen Anbietern.
Im Jahr 2018 seien in Deutschland für 23 Milliarden Euro Pauschalreisen verkauft worden, sagte Tourismusexperte Volker Böttcher (picture alliance / dpa / Malte Christians)
Das Kernproblem von Thomas Cook liege im britischen Markt, sagte Volker Böttcher, Professor für Tourismusmanagement an der Hochschule Harz. Dort habe der Konzern erhebliche Abschreibungen tätigen müssen und dadurch hohe Schulden angehäuft. Zudem drückten der harte Preiswettbewerb in Europa und die Konkurrenz von Online-Anbietern auf die Margen.
Durch die Abwertung des britischen Pfunds als Folge der Brexit-Debatte seien Urlaubsreisen für britische Gäste teurer geworden, was zu einem Abflachen der Buchungen geführt habe. Das sei aber nicht der entscheidende Grund für die Pleite gewesen, meint Böttcher. Auch die Flugscham-Debatte sei noch relativ neu, die Probleme des Reisekonzerns reichten dagegen schon weiter zurück.

Das Interview in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: Die Flugzeuge des Reiseveranstalters Thomas Cook stehen seit der Nacht still. Nichts fliegt mehr. Der Konzern ist zahlungsunfähig. Die deutschen Töchter, die fliegen noch, holen ihre Kundinnen und Kunden zurück. Dafür hat Condor einen Überbrückungskredit bei der Bundesregierung beantragt. Dies bestätigte Johannes Winter, Sprecher der Condor, heute gegenüber dem SWR.
O-Ton Johannes Winter: "Wir haben einen Überbrückungskredit bei der Bundesregierung beantragt und der Flugbetrieb läuft weiter."
Büüsker: Für die Airline gilt aber: Mit Thomas Cook gebuchte Reisen, die dürfen nicht mehr angetreten werden. Das erklärte Condor am Vormittag. 200 Millionen Euro möchte die Condor laut der Nachrichtenagentur dpa zufolge von der Bundesregierung. Während deutsche Fluggäste so nach Hause kommen, plant die britische Regierung die Rückholung ihrer Staatsbürger.
Über die Auswirkungen der Pleite von Thomas Cook auf Passagiere und die gesamte Branche möchte ich jetzt mit Volker Böttcher sprechen, Direktor des Instituts für Tourismusforschung an der Hochschule Harz. Vorher hat er lange als Leitender Manager beim TUI-Konzern gearbeitet. Schönen guten Tag, Herr Böttcher!
Volker Böttcher: Einen schönen guten Tag.
Gesetzlicher Insolvenzschutz für Pauschalreisen
Büüsker: Vielleicht schauen wir zunächst einmal gemeinsam auf das, was das Ganze jetzt für die Kundinnen und Kunden bedeutet. Nach Hause kommen deutsche Kunden, die mit der Condor unterwegs sind, irgendwie. Das haben wir gehört. Aber was ist jetzt eigentlich mit denjenigen, die eine Reise gar nicht erst antreten können? Bleiben die auf den Kosten dafür sitzen?
Böttcher: Zunächst muss man mal sagen: Es gibt für die sogenannte Pauschalreise einen gesetzlichen Insolvenzschutz. Das heißt: Jeder, der jetzt bei Thomas Cook eine Pauschalreise gebucht hat, hat vom Grundsatz gegen den Versicherer dieser Pauschalreisen einen Anspruch. Nun muss man aber aufpassen. Die Thomas Cook in Deutschland hat bisher keinen Insolvenzantrag gestellt. Im Moment ist die Situation noch etwas offen. Es steht allerdings, weil ja die Thomas Cook Deutschland auch kapitalmäßig mit der englischen Muttergesellschaft sehr stark verbunden ist, die nicht ganz unbegründete Befürchtung an, dass sich das in den nächsten Stunden oder Tagen ändern wird.
Büüsker: Weil ja letztlich dieses Unternehmen dann auch gar keine Reisen mehr durchführen kann, wenn ich das richtig verstehe?
Böttcher: Wenn man im Moment auf die Webseite von Thomas Cook Deutschland guckt, dann steht dort, dass keine Buchungen mehr entgegengenommen werden. Neue Reisen werden nicht mehr verkauft. Für die Abreisen heute und morgen werden die Kunden darauf verwiesen, dass man in Kürze mit ihnen in Kontakt tritt. Das lässt doch befürchten, dass der Geschäftsbetrieb über kurz oder lang jedenfalls im normalen Sinne nicht mehr weitergeführt wird.
Büüsker: Was bedeutet das dann für Unternehmen wie Condor, Neckermann und Öger? Die gehen dann mit in den Niedergang?
Böttcher: Wir müssen hier unterscheiden zwischen den Reiseveranstalter-Aktivitäten und den Fluggesellschaften. Die deutsche Fluggesellschaft von Thomas Cook ist die Condor, und die Condor, es wurde auch gerade in Ihrem Beitrag ja gesagt, fliegt im Moment normal weiter - mit Ausnahme abreisender Veranstalterkunden der Thomas Cook.
Büüsker: Weil die Condor aber auch andere Veranstalter bedient, sehen Sie hier durchaus Überlebenschancen?
Böttcher: Das hängt ja, wie wir gehört haben, ganz offensichtlich davon ab, ob ein beantragter Überbrückungskredit gewährt wird. Wenn der gewährt wird, dann wird die Condor offensichtlich weiterfliegen, für Individualgäste und auch für andere Veranstalterkunden. Wenn der nicht gewährt wird, muss man abwarten.
Opfer des harten Preiswettbewerbs
Büüsker: Wie erklären Sie sich, wenn wir jetzt auf Thomas Cook gucken, denn den Niedergang eines so großen Veranstalters? Hat man da strategische Fehler gemacht?
Böttcher: Das ist von außen natürlich etwas schwer zu beurteilen. Man muss dazu sagen: Das Kernproblem von Thomas Cook liegt nicht so sehr im deutschen Markt, sondern vor allem im englischen Markt. Dort hat man ganz erhebliche Abschreibungen tätigen müssen in der Vergangenheit und dadurch sehr hohe Schulden aufgebaut. Dafür muss man Kapitaldienst leisten. Und dann - das gilt allerdings wiederum jetzt für ganz Europa - gibt es einen ganz, ganz harten Preiswettbewerb, der natürlich auch auf die Margen drückt, und nicht zuletzt auch ganz viele neue Wettbewerber aus dem Online-Umfeld. Das hat jetzt in der Summe offensichtlich dazu geführt, dass das wirtschaftlich nicht mehr durchzuhalten war.
Büüsker: Wie beurteilen Sie das? Inwieweit hat der Brexit es dem Konzern da auch zusätzlich schwer gemacht?
Böttcher: Das mag eine gewisse Rolle gespielt haben - nach meiner Einschätzung nicht die entscheidende. Es ist natürlich für englische Gäste so: Durch die Abwertung des britischen Pfundes im Zuge dieser Brexit-Diskussion sind Urlaubsreisen aus England heraus teurer geworden. Das hat sicherlich zu einem gewissen Abflachen der Buchungen geführt, aber das dürfte nicht der alleinige und aus meiner Sicht auch nicht der entscheidende Grund gewesen sein.
Pauschalreisen weiterhin beliebt
Büüsker: Wir haben das ja eben im Beitrag schon mal gehört. Stichwort "fit für das 21. Jahrhundert". Thomas Cook hat im Prinzip die Pauschalreise mit an den Markt gebracht. Inwieweit entspricht das tatsächlich noch dem Reiseverhalten der Menschen heute?
Böttcher: Zum einen ist es tatsächlich so: Thomas Cook gilt tatsächlich als der Erfinder der Pauschalreise vor einiger Zeit. Was die Pauschalreise angeht - ich komme jetzt mal auf den deutschen Markt zurück -, muss man ein wenig aufpassen. Der deutsche Touristikmarkt teilt sich momentan auf, ungefähr zur Hälfte in Reisen, die tatsächlich durch Reiseveranstalter durchgeführt werden. Und die andere Hälfte, das sind Reisen, die sich die Menschen mittlerweile selbst organisieren, indem sie Hotel oder Flug selbst buchen, oder indem sie auf einem der Online-Portale, die es gibt, buchen.
Insgesamt ist der Reiseveranstalter-Markt aber noch sehr relevant. Und, wenn ich das noch sagen darf: Er wächst nach wie vor. Wir haben im Jahr 2010 in Deutschland für rund 23 Milliarden Euro Pauschalreisen verkauft und im Jahr 2018, bis letztes Jahr, waren es immerhin schon 36. Das heißt, der Markt wächst, auch wenn viele denken, das sei eigentlich das Angebot von gestern.
Büüsker: Wir erleben es ja auf dem Flugmarkt in den vergangenen Jahren, dass immer mehr Flüge dazugekommen sind. Auch im Bereich Kreuzfahrten hat sich der Markt enorm etabliert. Jetzt ist in letzter Zeit im Zuge der Klimaschutz-Diskussion immer öfter die Rede von so etwas wie der sogenannten Flugscham, dass Menschen weniger fliegen wollen wegen der Klima-Effekte. Nehmen Sie das tatsächlich als Punkt wahr, der etwas ändern könnte am Reiseverhalten der Menschen?
Böttcher: Perspektivisch ist das sicherlich ein Punkt, den alle Anbieter beachten müssen. Was ich so höre ist, dass das insbesondere in Skandinavien heute schon etwas ist, was Kunden bei ihrer Reiseentscheidung berücksichtigen. Mit dem aktuellen Fall von Thomas Cook hat das allerdings nichts zu tun, weil diese Debatte ist ja genauso wie die Debatte rund um Fridays for Future eine relativ jüngere Debatte und die Probleme von Thomas Cook, die liegen natürlich viel weiter zurück.
Büüsker: Aber wenn wir darüber reden, wie sich Reiseveranstalter fit für das 21. Jahrhundert machen, dann landen wir ja genau bei diesem Punkt, und inwieweit sehen Sie denn da bei den Reiseveranstaltern inzwischen eine Sensibilität bei dem Thema?
Böttcher: Ja, da hat die Branche sicherlich noch einen gewissen Nachholbedarf. Man muss jetzt auch mal dazu sagen, dass grundsätzlich jede Form von Mobilität emissionsfrei natürlich nicht möglich ist. Das gilt somit natürlich auch für Urlaubsreisen. Und natürlich braucht man dort auch Antworten, und zwar sowohl im Flugreise-Geschäft als auch im Kreuzfahrt-Geschäft. Die Veranstalter sind ja auch bemüht, dort Antworten zu finden, aber ganz einfach wird das nicht. Und man sieht ja jetzt auch schon, dass durchaus auch innerhalb Kontinentaleuropas manch ein Gast sich entscheidet, vielleicht mal nicht zu fliegen. Aber auch da muss man wissen: Wenn man da mit dem Auto losfährt, ist das ja auch nicht emissionsfrei.
Büüsker: Die Bundesregierung hat sich jetzt ja darauf verständigt, dass Flüge unter Umständen auch teurer werden sollen, gerade wenn es um innereuropäische Flüge geht. Könnte das für die Reiseveranstalter ein Problem werden?
Böttcher: Grundsätzlich ist das so. Wenn jetzt Flüge teurer werden, wobei ich die Diskussion immer so verstanden habe, dass es da vor allen Dingen um innerdeutsche Flüge geht und nicht so sehr um innereuropäische Flüge. Aber wenn eine solche zusätzliche Steuerbelastung käme, dann ist davon auszugehen, dass die Anbieter versuchen werden, das an die Kunden weiterzugeben, und dann würden die Flüge tatsächlich auch teurer werden, was ja auch der gewünschte politische Effekt dann wäre.
Kaum Auswirkungen auf Reisepreise zu erwarten
Büüsker: Wenn wir jetzt vor dem Hintergrund der Pleite von Thomas Cook noch mal auf das Marktumfeld schauen - Stichwort Flüge könnten teurer werden, Reisen könnten teurer werden -, welche Auswirkungen erwarten Sie denn jetzt mit Blick auf das, was die Kundinnen und Kunden erwartet durch die Pleite von Thomas Cook?
Böttcher: Zunächst mal: Diejenigen Kunden, die in Deutschland direkt jetzt betroffen sind, die werden, wenn sie Pauschalreisen gebucht haben, über ihren Reisepreis-Sicherungsschein sicherlich kurzfristig abgesichert sein. Ob perspektivisch durch einen möglichen Konkurs oder eine mögliche Insolvenz auch in Deutschland die Preise wirklich fallen werden, das bleibt mal abzuwarten. Wir erinnern uns alle: Vor nicht allzu langer Zeit ist mit Air Berlin die damals immerhin zweitgrößte Fluggesellschaft in Deutschland Pleite gegangen, aus dem Markt ausgeschieden. Das hat nicht oder jedenfalls nur sehr kurzfristig zu steigenden Preisen geführt. Mittelfristig ist es dabei geblieben. Die große Frage wird sein, ob zum Beispiel die Flugkapazität, die in Deutschland überhöht ist, ob die durch eine mögliche Insolvenz tatsächlich verringert wird. Nur dann, wenn das Angebot kleiner wird, können Preise steigen. Wenn sich die Flugkapazitäten nur auf neue Anbieter verteilen, wird sich kurzfristig an den Reisepreisen nichts Durchdringendes ändern.
Büüsker: Und welche Entwicklung halten Sie für wahrscheinlich?
Böttcher: Nach allem, was man jetzt weiß - Sie müssen wissen, die Flugzeuge gehören normalerweise großen Leasing-Gesellschaften und die leben davon, dass diese Flugzeuge weiterfliegen. Ich wäre nicht so sonderlich optimistisch, dass die Flugkapazität auch durch einen solchen Fall der Insolvenz dramatisch sinkt, sondern sie wird sich eher auf andere Anbieter verteilen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.