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Thomas Wagner
"Die Angstmacher"

Der Soziologe Thomas Wagner vertritt eine gewagte These: Im Protestjahr 1968 sei nicht nur eine neue Linke entstanden, sondern auch eine neue Rechte. In seinem Buch schildert er, wie es dazu kam.

Monika Dittrich im Gespräch mit Catrin Stövesand | 26.02.2018
    Studentendemonstration 1968 in Berlin.
    Studentendemonstration 1968 in Berlin. Die Mittel und Instrumente der Achtundsechziger schauen sich die Akteure der neuen Rechten ab. (dpa / Konrad Giehr)
    Catrin Stövesand: 1968 - Die Studentenbewegung wird in diesem Jahr 50 Jahre alt. Zu diesem Jubiläum erscheinen etliche Bücher, die das Phänomen der 68er aus verschiedenen Perspektiven beleuchten, daneben natürlich Biographien und Schriftensammlungen aus der Zeit.
    Der Soziologe Thomas Wagner hat einen ungewöhnlichen Zugang gewählt. Er beschreibt in seinem Buch "Die Angstmacher", welchen Einfluss die 68er auf die neue Rechte hatten und bis heute haben. Monika Dittrich hat das Buch für Andruck gelesen und ist jetzt bei mir im Studio.
    Frau Dittrich, welche These verfolgt der Autor in seinem Buch?
    Monika Dittrich: Es ist eine überraschende, vielleicht auch gewagte These, die er vertritt. Bei 1968 denken wir natürlich vor allem an den links motivierten Protest, an die Revolte von links, die Studentenbewegung, die Außerparlamentarische Opposition bis hin zum Linksterrorismus, der sich später auch daraus entwickelte. Und Thomas Wagner geht nun davon aus, dass diese linken Achtundsechziger auch eine Inspiration waren für eine neue Rechte - und es übrigens bis heute noch sind. Wagner fasst das ziemlich am Anfang seines Buches knapp zusammen und das hören wir uns mal an:
    "1968 ist nicht nur die Geburtsstunde einer neuen Linken jenseits der Sozialdemokratie, sondern auch die einer neuen Rechten."
    Das ist natürlich auch insofern interessant, weil im rechten Milieu, auch im intellektuellen rechten Milieu die linken Achtundsechziger eigentlich ein beliebtes Feindbild sind.
    Stövesand: Was sind denn für Thomas Wagner konkret die Parallelen zwischen Achtundsechzigern und neuen Rechten?
    Dittrich: Das legt Wagner faktenreich dar: Also der Hass auf das Establishment, die Kritik an Medien, an Bürgerlichkeit, auch an der parlamentarischen Demokratie, am Kapitalismus, das sind alles Themen, die wir von 1968 kennen, von einem linken Standpunkt, aber das sind eben auch die Themen in der neuen Rechten, in einem rechtsintellektuellen bis rechtsradikalen Milieu, heute auch bei Pegida oder in der AfD.
    Und auch die Mittel und Instrumente, die wir von den Achtundsechzigern kennen, schauen sich die Akteure der neuen Rechten heute ab. Der Autor nennt als Beispiel etwa die "Subversive Aktion", eine radikal-linke Gruppe in den 60er Jahren, gegründet von Dieter Kunzelmann. Das waren Leute, die sich als revolutionäre Elite verstanden haben, die gern und viel über Theorie sprachen und diskutierten, die aber auch fanden, dass die Kritik irgendwann in Aktion umschlagen muss. In politische, guerillamäßige Protestaktionen und Provokationen.
    Und diese Herangehensweise des Protests wird nach Wagners Beobachtung bis heute im Rechten Milieu durchaus bewundert. Also, die Parallelen und Inspirationen, die Wagner hier schildert, sind schon alle gut belegt und das liest sich alles sehr plausibel.
    Eine Kritik habe ich trotzdem daran. Denn der große Unterschied zwischen den linken Achtundsechzigern und der neuen Rechten ist das Weltbild und das Menschenbild, das dahinter steht - und damit auch das politische Ziel, das dazu gehört. Also: Die Achtundsechziger hatten keine Angst vor Überfremdung, denen schwebte keine völkische Gesellschaft vor, wie es die neuen Rechten eben mehr oder weniger explizit herbeisehnen. Und das, finde ich, hätte der Autor Thomas Wagner noch etwas deutlicher machen können: ja, es gibt viele Parallelen, aber eben auch ganz gewaltige und vor allem qualitative Unterschiede.
    Stövesand: Das klingt ja alles in allem fast so, als sei für Wagner die neue Rechte so was wie eine Reaktion auf die 68er. Kann man ihn so verstehen?
    Dittrich: Interessant ist es, wenn wir uns den Diskurs in der neuen Rechten anschauen, dann geht es ganz oft um eine Abrechnung mit den 68ern, mit allem was so - ich zitiere das mal, wie es immer wieder salopp, despektierlich aus diesem Milieu zu hören ist - als links grün, versifftes Milieu bezeichnet wird. Aber das ist kein monokausaler Zusammenhang sondern einer von vielen Faktoren und man muss natürlich auch dazu sagen, das rechte Gedankengut, das war natürlich auch schon vorher da.
    Stövesand: Wie geht Wagner denn in seiner Argumentation vor? Funktioniert die?
    Dittrich: Er trägt eine große Fülle von Informationen beisammen, er hat sehr viele Quellen ausgewertet, er zitiert und erörtert. Und, er hat eigene Interviews geführt, und zwar mit Akteuren der neuen Rechten. Und das hat mir an diesem Buch wirklich gut gefallen, nämlich die Art und Weise, wie er diese Gespräche geführt hat. Sehr sachlich, ohne Schaum vor dem Mund, ohne die Haltung der Empörung oder mit dem Anspruch, seine Gesprächspartner nun irgendwie entlarven zu wollen.
    Und nun muss man dazusagen, dass der Autor, ein Soziologe, selbst ein bekennender Linker ist, ein ehemaliger Redakteur der "Jungen Welt".* Und der verabredet sich nun also mit dem Spitzenpersonal der neuen Rechten, die er auch als Pop-Rechte bezeichnet, zum Beispiel mit dem Verleger Götz Kubitschek und seiner Frau Ellen Kositza oder mit dem Österreicher Martin Sellner, einem führenden Kopf der Identitären Bewegung. Die Interviews, die er mit ihnen geführt hat, sind im Buch teilweise als Frage-Antwort-Text nachzulesen, manches aber fließt reportageartig ein in den Text. Und das ist wirklich sehr erhellend, weil man etwas erfährt über das Denken in diesem Milieu.
    Stövesand: Hat der Autor denn auch eine Erklärung dafür, warum die Rechten und Rechtspopulisten wie die AfD heute so stark und erfolgreich sind?
    Dittrich: Ja, das hat er, und das ist interessant, weil er auch da eine Linie zieht zu 1968, und wie er das in seinem Buch formuliert, können wir uns kurz anhören:
    "Jeweils formierte sich die oppositionelle Bewegung gegen eine Große Koalition in der Bundesregierung. In den sechziger Jahren war es die SPD, die sich von einer Arbeiterpartei in eine Volkspartei verwandelt und in diesem Zuge linkes Terrains freigegeben hatte. Heute ist es die CDU, die spätestens mit der Kanzlerschaft Angela Merkels vielen Konservativen keine Heimat mehr bietet und Raum für die Entstehung einer Partei rechts von ihr gelassen hat."
    Also auch hier eine Parallele, eine ähnliche politische Konstellation wie in den 60er Jahren - so sieht es zumindest der Autor Thomas Wagner.
    Stövesand: Wie ist Ihr Gesamteindruck? Ist das Buch zu empfehlen?
    Dittrich: Ja, das finde ich. Zum einen, weil es einen ungewöhnlichen Aspekt zu 1968 aufgreift und dieser Aspekt hat aktuelle Relevanz. Wenn wir uns fragen, warum die neue Rechte so stark geworden ist und was ihre Themen und Ziele sind, dann findet man hier schon eine ganze Menge Antworten. Die These ist mir an manchen Stellen etwas zu gewagt, zu steil, das habe ich eben schon gesagt.
    Aber was mir gut gefallen hat und weshalb ich das Buch auch empfehlen würde, ist die Art und Weise wie Thomas Wagner mit seinem Forschungsgegenstand, mit der neuen Rechten selbst umgegangen ist. Es gibt ja diese Debatte, ob man mit den Rechten reden soll und wenn ja wie, und ich finde, hier hat der Autor wirklich einen bemerkenswerten Beitrag geleistet, denn er hat vorgemacht, wie das gehen kann. Und das ist letztlich auch ein Appell in diesem Buch: Es hat keinen Zweck, die rechten Akteure vom Diskurs auszuschließen, sondern man muss sich sachlich mit ihren Argumenten auseinandersetzen. Und das hat der Autor getan.
    *(Anmerkung der Redaktion: Eine Verwechslung mit der Jungen Freiheit in der Ursprungsversion wurde korrigiert und das Audio entsprechend angepasst.)
    Thomas Wagner: "Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten"
    Aufbau Verlag, 351 Seiten, 18,95 Euro.