Donnerstag, 28. März 2024

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Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD)
"Wir haben eine Mieten- und Wohnungskrise"

Um den Wohnungsmangel in Deutschland zu bekämpfen, müsse unter anderem der genossenschaftliche Wohnungsbau gestärkt werden, so SPD Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel im Dlf. Er sprach sich außerdem für ein eigenständiges Wohnungsbauministerium aus, um das Problem in den Griff zu kriegen.

Thorsten Schäfer-Gümbel im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 07.10.2018
    Der SPD-Politiker Thorsten Schäfer-Gümbel
    Der SPD-Politiker Thorsten Schäfer-Gümbel fordert einen Mietenstopp (picture alliance / Erwin Elsner)
    Büüsker: Hallo Herr Schäfer-Gümbel.
    Schäfer-Gümbel: Schönen guten Tag.
    Büüsker: Zu Beginn und zum Warmwerden würde ich mit Ihnen gerne ein kleines Spielchen spielen – nämlich ein Assoziationsspiel – das auch so ein bisschen den thematischen Rahmen dieses Interviews abstecken soll. Ich nennen einen Begriff oder einen Namen und Sie antworten mit dem ersten Wort, das Ihnen einfällt oder vielleicht auch mit den ersten zwei bis drei Worten. In Ordnung?
    Schäfer-Gümbel: Ja.
    Büüsker: Hessen.
    Schäfer-Gümbel: Heimat.
    Büüsker: Volker Bouffier.
    Schäfer-Gümbel: Müde.
    Büüsker: Andrea Nahles.
    Schäfer-Gümbel: Laut.
    Büüsker: Mietpreisbremse.
    Schäfer-Gümbel: Gutes Instrument.
    Büüsker: Migration.
    Schäfer-Gümbel: Herausforderung.
    Büüsker: SPD.
    Schäfer-Gümbel: Stolze Tradition.
    Büüsker: Hans-Georg Maaßen.
    Schäfer-Gümbel: Belastung.
    Büüsker: Diesel.
    Schäfer-Gümbel: Zorn.
    "Letztlich geht es um die Zukunftsfähigkeit der Automobilindustrie"
    Büüsker: Das ist ein guter Einstieg, da können wir vielleicht direkt weitermachen. Es gab am Dienstag eine – ich würde fast schon sagen legendäre – Pressekonferenz in Berlin, bei der die Große Koalition bemüht war, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Der Verkehrsminister und die Umweltministerin haben eine Einigung in Sachen Diesel vorgestellt, wo viele Details letztlich noch nachverhandelt werden müssen und im Unklaren bleiben. Also, ein Schwerpunkt, sind Tauschprämien. Ein weiterer Schwerpunkt sollen Nachrüstungen sein. Viele Details sind aber nach wie vor unklar und die ganze Regelung ist irgendwie sehr unübersichtlich. Wie sollen das die Verbraucherinnen und Verbraucher verstehen?
    Schäfer-Gümbel: Die Lage ist kompliziert und die Einigung ist, glaube ich, Ausdruck dieser komplizierten Lage. Letztlich muss es für uns darum gehen sauberere Luft in den Innenstädten zu garantieren, verbunden damit, dass die Besitzerinnen und Besitzer von Fahrzeugen nicht belastet werden. Und letztlich geht es um die Zukunftsfähigkeit der Automobilindustrie und damit eben auch dem Rückgrat unseres Industrie- und Wohlstandsmodells. Das ist eine extrem komplizierte Aufgabe, die am Ende mit komplizierten Antworten versehen ist. Auch, weil die rechtliche Lage nicht einfach ist.
    Büüsker: Und warum haben Sie dann eben auf das Stichwort Diesel mit Zorn geantwortet?
    Schäfer-Gümbel: Weil ich mich ärgere, dass viele, auch in den Automobilkonzernen, gerade in Konzernleitungen, ignorant in den letzten drei Jahren mit dem Thema umgegangen sind. Dass diese Fragen von Zukunftsfähigkeit so lange in den Konzernzentralen ausgesessen wurden, ich habe vor wenigen Tagen eine Konferenz zusammen mit anderen Landesverbänden der SPD durchgeführt hier, als ein Betriebsratsvorsitzender von VW aus Baunatal sehr entschieden dafür geworben hat, sich diesen Zukunftsfragen zu stellen – sauberer Luft, moderner Technik, einschließlich des Übergangs vom Verbrennungsmotor hin zur Elektromobilität.
    Und da vermisse ich an vielen Stellen das Engagement in den Konzernspitzen. Und das macht mich zornig, weil am Ende werden ja nicht die Vorstandsvorsitzenden mit dem Problem nach Hause gehen, sondern viele, die solche Fahrzeuge gekauft haben.
    "Auch im politischen Raum hat es zu wenig Debatte gegeben"
    Büüsker: Aber wenn Sie sagen, die Hersteller waren und sind da ignorant, ist die Politik nicht genauso ignorant, weil auch die hat ja in den letzten drei Jahren quasi nichts getan?
    Schäfer-Gümbel: Ja, bezogen auf die Frage, die wir jetzt diskutieren, ist es ja auch reichlich schwierig, weil die Rechtssetzung findet in Europa statt – die Nationalmöglichkeiten sind sehr eingeschränkt dazu. Aber klar, auch im politischen Raum hat es zu wenig Debatte gegeben und zwar sowohl von denen, die sich ja gerne für die ökologische Frage zuständig erklären, nämlich die Grünen-Partei – schauen Sie sich beispielweise die Schwarz-Grünen Landesregierung an – sie hat eine Bundesratsinitiative erst vor wenigen Wochen gestartet, weil man sich in der Landesregierung eben über zwei Jahre nicht einigen konnte. Und Volker Bouffier hat das Thema auch erst erkannt, als er gemerkt hat, dass er in Hessen unter Druck gerät.
    Büüsker: Aber man muss auch dazu sagen, dass die SPD die Bundesumweltministerin stellt und auch in der vorherigen Bundesregierung gestellt hat.
    Schäfer-Gümbel: Wobei die Bundesumweltministerin auch seit vier Jahren intensiv, nein, seit drei Jahren intensivst darauf hingewiesen hat, dass wir die technische Nachrüstung brauchen.
    Büüsker: Und sie sagt, wir wollen Fahrverbote vermeiden. Sie sagt aber nicht, wir werden Fahrverbote vermeiden. Zeigt das auch eine gewisse Hilflosigkeit?
    Schäfer-Gümbel: Nein, das ist eine Konsequenz aus dem Rechtstaat. Wir können am Ende, wenn ein Gericht Dinge anordnet, kann die Politik oder ein Parlament oder eine Regierung ja dieses Urteil nicht ignorieren.
    Büüsker: Und dennoch versucht ja die Schwarz-Grüne-Landesregierung in Hessen gerade gerichtlich gegen das Fahrverbot in Frankfurt vorzugehen, ist das dann ein richtiger Schritt?
    Schäfer-Gümbel: Ja. Ich habe den Schritt auch ausdrücklich für richtig gehalten und auch begrüßt, ich habe ihn auch erwartet – es hatte ja ein bisschen länger gedauert, bis sich die Regierung dazu durchringen konnte. Das hat viel mit dem Urteil selbst zu tun. Das Urteil ist sehr viel strenger und enger, als die Entscheidung in Stuttgart, die Zeitläufe sind sehr viel enger, die Auflagen sind sehr viel restriktiver, als das, was in Stuttgart passiert ist. Und man muss am Ende auch in der Lage sein, noch Dinge nachzuarbeiten.
    Und ehrlich gesagt, von einer Entscheidung im September bis zu hin einem Fahrverbot ab Februar – also sechs Monaten –, wie soll das gehen? Und deswegen ist es richtig, dass die Landesregierung dagegen vorgeht, allerdings immer mit dem Hinweis darauf, dass dieser Schwarz-Grüne-Luftreinhalteplan gescheitert ist, weil er nicht nachhaltig genug war. Und das kann man eben – und das sagt das Gericht übrigens ausdrücklich – nicht nur reduzieren auf die Frage der technischen Nachrüstung.
    "Dazu muss man die Mobilitäts- und Verkehrswende richtig machen"
    Büüsker: Das heißt aber, Fahrverbote wären für Frankfurt grundsätzlich eine gute Lösung, wenn man sie etwas mittelfristiger umsetzt?
    Schäfer-Gümbel: Nein, da hätten Sie mich jetzt völlig falsch verstanden. Mein Ziel ist ebenfalls, Fahrverbote zu vermeiden. Aber dazu muss man eben die Mobilitäts- und Verkehrswende richtig machen. Und das ist doch eines der Kernthemen seit langem, dass zwar viele darüber reden, aber dass es nicht gemacht wird. Das gilt für den Ausbau von Schiene und Bus, das gilt für die Frage auch der alternativen Antriebe bei Bus und im ÖPNV. Das gilt für den Radverkehr. Es gilt auch für den Fußgängerverkehr – gerade in Ballungsräumen. Es geht vor allem am Ende um die technische Vernetzung, die Digitalisierung beispielsweise.
    Ich bin ja in der Bundespartei zuständig auch für die asiatischen Länder und wenn Sie sich anschauen, was in Asien oder auch in Wien an Chancen aus der Digitalisierung – auch für einen effizienteren, saubereren, bezahlbaren Verkehr – gemacht wird, ist das großartig. Und in Deutschland – ist manchmal mein Gefühl – wir reden ständig drüber, aber das Machen fällt außen vor. Ich glaube übrigens, dass das ein wesentlicher Punkt ist, warum es eine Vertrauenskrise gibt, dass zwar viel geredet wird, aber zu wenig gemacht wird.
    Büüsker: Wir sehen das ja schon im europäischen Ausland bei unseren Nachbarn, Dänemark will bis 2030 raus aus dem Verbrennungsmotor, Norwegen ab 2025 keine Neuzulassungen mehr. Wieso sind wir Deutschen da so wenig wandlungsfähig?
    Schäfer-Gümbel: Das ist ganz einfach. Weil das eine das Beschreiben einer Zielmarke ist, das andere die Frage, wie man das anschließend macht. Häufig wird ignoriert, dass man – um dahinzukommen – einen Übergang hat. Das gilt für die Energiewende, das gilt für den Verkehr und da wird der Diesel, wenn wir ihn zum Beispiel aufgeben, der beim Thema CO2 deutliche Vorteile gegenüber dem Benziner hat in dieser Übergangsphase, wenn wir den verlieren, dann wird unser CO2-Problem sehr schnell sehr viel größer. Und dass wir durchgreifender modernisieren müssen, das ist doch völlig klar – es haben nur viele deutsche Automobilbauer auch in den letzten Jahren gepennt bei der Frage der technologischen Entwicklung.
    Büüsker: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Thorsten Schäfer-Gümbel, dem Landesvorsitzenden der SPD in Hessen und auch Spitzenkandidat am kommenden 28. Oktober. Wir zeichnen dieses Interview ja in Gießen auf, Sie sind intensiv auf Wahlkampftour im Land – was erleben Sie im Kontakt mit den Menschen? Welche Rolle spielt für die das Thema Migration?
    Schäfer-Gümbel: Auf das Thema Migration im Engeren werde ich ehrlich gesagt in diesem Wahlkampf nicht sehr oft angesprochen. Die Themen, die eine große Rolle spielen sind vor allem bezahlbares Wohnen. Und zwar nicht nur im Ballungsraum…
    Büüsker: Da kommen wir gleich noch drauf.
    Schäfer-Gümbel: Nicht nur im Ballungsraum, sondern auch im ländlichen Raum. Die Bildungsthemen werden immer nachgefragt und erst recht – gerade auch in den letzten Wochen – das Thema Mobilität. Migration spielt dennoch immer mal wieder eine Rolle und natürlich wollen alle auch wissen, wie Integration funktionieren kann.
    Ich verweise dabei immer darauf, dass Integration zu allererst eine Frage – eine soziale Frage ist –, weil sie sich festmacht an Fragen von Ausbildung, von Bildung, von Wohnen, von Arbeit. Integration gelingt dann, wenn man sich sprachlich verständigen kann, wenn man Arbeit hat und wenn sich Menschen begegnen. Das sind die drei wesentlichen Momente, die über den Erfolg und Misserfolg von Integration entscheiden.
    "Unser Gesundheitssystem würde ohne Migration nicht mehr funktionieren"
    Büüsker: Nun bekommt Deutschland – nach dem Plan der Bundesregierung – ein Fachkräftezuwanderungsgesetz, kann man so was von oben verordnen, dass Deutschland qua Gesetz ein Einwanderungsland ist?
    Schäfer-Gümbel: Also, ich glaube, dass die Realität in unseren Dörfern und Städten längst weiter ist, als viele in der politischen Debatte. Ich erlebe an ganz vielen Stellen, dass wir nicht nur ein Einwanderungsland, sondern eine Einwanderungsgesellschaft sind. Weil die Frage in vielen persönlichen Begegnungen überhaupt keine Rolle mehr spielt, welchen Pass jemand hat oder welche Religion. Dass in persönlichen Beziehungen längst andere Fragen sehr viel bedeutender sind.
    Das ändert nichts daran, dass ein solches Einwanderungsfachkräftegesetz – ich nenne es einfach Einwanderungsgesetz, weil im Kern ist es das – natürlich endlich anerkennt, dass es neben der Frage von politischer und persönlicher Verfolgung Fragen der Arbeits- und Sozialmigration gibt, die wir endlich lösen müssen, die wir klären müssen, die wir steuern und regeln müssen, das gehört ganz ausdrücklich dazu. Und ich will das offen sagen, unser Gesundheitssystem würde heute beispielsweise ohne Migration überhaupt nicht mehr funktionieren und das erfährt auch jeder.
    Büüsker: In Deutschland haben wir ja noch immer eine Vielzahl von jungen Menschen, die ohne Abschluss die Schule verlassen.
    Schäfer-Gümbel: Viel zu viele.
    Büüsker: Und Sie haben eben Bildung als ein wichtiges Thema genannt, was die Menschen beschäftigt. Auf der anderen Seite haben wir auch ganz viele Langzeitarbeitslose, die einfach seit vielen, vielen Jahren keine Arbeit haben und trotzdem holen wir uns gezielt Fachkräfte aus dem Ausland. Können Sie nachvollziehen, dass es viele Menschen gibt, die das nicht so richtig nachvollziehen können?
    Schäfer-Gümbel: Also, wenn ich jetzt, also, ja, ich kann nachvollziehen, dass das Fragen auslöst und diese Fragen müssen auch beantwortet werden. Gleichzeitig ist es aber so, wenn Sie sich zum Beispiel die Arbeitslosenstatistik in Hessen anschauen, wir haben, glaube ich, wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, rund 150.000 Menschen derzeit in der Arbeitslosenstatistik stehen. Wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, werden etwa bis 2025, 2030 rund 500.000 Beschäftigte dauerhaft den Arbeitsmarkt in Hessen verlassen, weil sie in Pension und Rente gehen. Und schon nummerisch funktioniert das vorne und hinten nicht mehr.
    Nun wissen wir aber auch, dass bei den Menschen, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind, ganz unterschiedliche Gründe dabei eine Rolle spielen. Und deswegen wird es – mit Blick auf den enormen Fachkräftebedarf im Gesundheitswesen, im Bildungssektor, in der Pflege – ganz sicherlich dauerhaft nicht, auch wegen der Demografie im Land, nicht ohne Zuwanderung gehen. Aber klar ist, man darf das nicht ausspielen gegen die Qualifizierungsthemen von Langzeitarbeitslosen und deswegen haben wir ja auch mit dem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor in dieser Bundesregierung gerade ein Thema auf den Weg gebracht, das genau das verhindern soll.
    "Am Ende steht im Gesetz der Spurwechsel drin"
    Büüsker: Teil des – um noch mal darauf zurückzukommen – Fachkräftezuwanderungsgesetzes, Einwanderungsgesetz ist mehr oder weniger der sogenannte Spurwechsel, also, steht jetzt nicht offiziell drin, weil die Koalition sich darauf verständigt hat, Asyl- und Erwerbsmigration weiterhin zu trennen. Es geht darum, ob geduldete Asylbewerber zu Fachkräfteeinwanderern werden können, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Die Bundesregierung will jetzt Kriterien schaffen, um einen verlässlichen Status für diese Geduldeten mit sicherem Arbeitsplatz zu schaffen. Auch das klingt wieder nach einer Einigung, die irgendwie ziemlich schwammig ist. Sind Sie zufrieden mit dem, was da aus Berlin kommt?
    Schäfer-Gümbel: Ich ja nicht, ich bin der Allerjüngste mit 49. Ich erinnere mich auch an Dinge, die früher passiert sind. Und es gab früher mal eine supergeniale Werbung, die hat funktioniert, die hieß "Raider heißt jetzt Twix, ansonsten ändert sich nix". Und ehrlich gesagt, der Text mag ein bisschen kompliziert sein, aber am Ende steht im Gesetz der Spurwechsel drin. Weil genau darum geht es. Es geht darum, dass Menschen, die sich aufgrund ihrer Erfahrung, ihres Willens, sich zu integrieren, Sprache zu lernen, Ausbildung zu machen, ja bewiesen haben, dass sie sich hier integrieren wollen.
    Und dass man diesen Menschen ermöglicht, weiter in Deutschland zu bleiben und nicht abgeschoben zu werden oder ausgewiesen zu werden und dafür dann aber andere Menschen zu holen, denen man erst Sprache beibringen muss, die man integrieren muss, die lernen müssen, wie man sich hier bewegt, wie die Rahmenbedingungen sind, das halte ich für absolut richtig und sinnvoll. Und wenn es anderen hilft, dass es, dass der Spurwechsel nicht Spurwechsel heißt, dann erinnert mich das bestenfalls an diese wunderschöne Werbung, aber im Ergebnis bleibt es das Gleiche.
    Büüsker: Man könnte jetzt aber – wenn man böse formulieren wollte – sagen, die SPD hat es wiedermal nicht geschafft, eines ihrer Themen unterzubringen.
    Schäfer-Gümbel: Ja, das wäre auch böse, weil ja, es ist uns ja offensichtlich gelungen, das Ding unterzubringen.
    Büüsker: Aber es heißt nicht so.
    Schäfer-Gümbel: Also, seien Sie mir nicht böse, die Frage, ich weiß, dass Worte und Begriffe wichtig sind.
    Büüsker: Insbesondere in der Politik.
    Schäfer-Gümbel: Aber, ehrlich gesagt, meine Frau und ich haben die Vormundschaft für einen Flüchtlingsjungen im Jahr 2016 übernommen. Wir haben selber drei Kinder, wir haben uns aber entschieden, selber eine Vormundschaft zusätzlich zu übernehmen. Und wir haben viele Erfahrungen mit unserem Jungen gemacht. Der ist inzwischen volljährig. Und der Streit um diesen Namen und die Frage, wer ist jetzt besonders erfolgreich gewesen oder nicht, entscheidet am Ende nicht darüber, ob dieser junge Mann seinen Weg gehen kann oder nicht. Und mich interessiert ehrlich gesagt mehr denn je, ob die Menschen das anschließend machen können. Und wenn der Preis dafür ist, eine solche Frage zu beantworten, dann nehme ich den Preis gerne an.
    Büüsker: Volker Bouffier hat in der vergangenen Woche an dieser Stelle im Interview der Woche im Deutschlandfunk gesagt, dass derzeit der Landtagswahlkampf in Hessen enorm überlagert sei von dem, was in Berlin passiert. Er hat damit gemeint, die Streitigkeiten innerhalb der Großen Koalition. Nehmen Sie das auch so wahr?
    Schäfer-Gümbel: Natürlich spielen die Diskussionen eine Debatte, aber wir leben in einem Land und natürlich ist es immer so, dass landes- und bundespolitische Debatten eine Rolle spielen. Aber, wenn der Ministerpräsident der Auffassung ist, dass das alles die Landesthemen überlagert, ist meine Erfahrung eine andere. Ich erlebe Debatten rund um die Uhr über bezahlbares Wohnen, über Bildungsgerechtigkeit, über Lehrermangel, über unzureichende Schulmodernisierung.
    Und gelegentlich diskutiere ich auch über Berlin, klar, die Medienlage wird davon überspielt. Aber die Menschen, die ich hier jeden Tag treffe, die reden über solche Themen, weil das sind nämlich, ehrlich gesagt, ihre Alltagsthemen, die sie jeden Tag beschäftigen. Und ich glaube, dass es dem Ministerpräsidenten sogar ganz recht ist, wenn nicht über Hessen geredet wird, weil die Bilanz in diesen Fragen ehrlich gesagt ziemlich mies ist.
    Büüsker: Weil wir als Deutschlandfunk ja ein nationales Hörfunkprogramm sind, würde ich jetzt trotzdem gerne gemeinsam mit Ihnen tatsächlich nach Berlin gucken.
    Schäfer-Gümbel:Machen wir.
    Büüsker: Hätten Sie sich gewünscht, dass die SPD in der Causa Hans-Georg Maaßen hingeschmissen hätte?
    Schäfer-Gümbel: Na, ich bin nicht, ich bin kein Typ fürs Hinschmeißen. Auch wenn es ernst wird und richtig ernst wird, muss man am Ende seine Aufgabe zu Ende bringen. Meine Schwiegermutter hat mal zu mir gesagt, dann machst du es im Zweifelsfall ohne Lust. Klar, mit Lust geht alles viel einfacher.
    "Einen Politikpreis für stringentes Handeln bekommen wir sicherlich nicht"
    Büüsker: Vielleicht auch besser.
    Schäfer-Gümbel: Das ist so. Häufig auch besser, ganz definitiv. Und ehrlich gesagt, einen Politikpreis für besonders stringentes Handeln – in dieser Frage – bekommen wir ganz sicherlich nicht. Ich habe mehrfach gesagt, dass ich das teilweise, also, dass ich verstehe, dass Menschen das teilweise nur mit der Faust in der Tasche ertragen und ich gehöre da ganz ausdrücklich dazu. Ich war froh, dass Andrea Nahles – ähnlich wie wir das ja in Hessen seit Jahren machen – zu einem Zeitpunkt X dann gesagt hat, wir haben einen Fehler gemacht und diesen Fehler müssen wir korrigieren.
    Und ehrlich gesagt, es ist, das ist die politische Kultur, die ich mir wünsche, kein Mensch auf dieser Welt ist fehlerfrei. Und das gilt auch für politische Entscheidungen. Und wenn dann mal ein Fehler passiert, muss man auch einräumen, es war ein Fehler, diese Fehleinschätzung dieses Dreiergesprächs und muss ihn korrigieren. Mit dem Ergebnis, dass dann gefunden wurde, bin ich deutlich zufriedener, als mit dem, das vorher stattgefunden hat, mit dem war ich nicht zufrieden.
    Büüsker: Und trotzdem sehen wir ja, dass die Umfrage der SPD mit Blick auf den Bund immer schlechter werden. Dass in den ganzen Streitigkeiten, die wir jetzt in den vergangenen Monaten gesehen haben – erst der Clinch innerhalb der Union selbst über die Abweisung an der Grenze in Bayern, jetzt die Causa Hans-Georg Maaßen. Es scheint immer die SPD zu sein, die am Ende als, ich will nicht sagen Sündenbock dasteht, aber doch letztlich etwas geprügelt aus diesen Auseinandersetzungen herausgeht. Hat es dann nicht auch etwas mit Selbstachtung zu tun, zu erkennen, Leute, wir kommen an dieser Stelle nicht mehr weiter, wir müssen mal die Konsequenz ziehen.
    Schäfer-Gümbel: Solch einen Punkt kann es sehr wohl geben.
    Büüsker: Aber den sehen Sie noch nicht.
    Schäfer-Gümbel: Ich sehe den derzeit noch nicht. Und das hat etwas damit zu tun, dass wir wirklich große Aufgaben haben und Weglaufen keine Lösung ist. Im Übrigen auch für die SPD nicht. Was passieren muss ist, dass erkennbar werden muss, wofür die SPD in dieser Koalition stand. Und es gab zwischen dem Streit, den Sie eben angesprochen haben – und Horst Seehofer ist im Spätherbst seines politischen Daseins eine wirkliche Belastung für diese Koalition. Ich glaube, er ist übrigens auch eine Belastung für die Unions-Familie.
    Zwischen diesem Streit und der aktuellen Auseinandersetzung um Herrn Maaßen gab es ein Zwischenfenster, in dem gerade das genaue Gegenteil passiert ist. Wir haben ja gesehen, dass als die SPD klargemacht hat, dass wir über ein zukünftiges Rentenkonzept reden wollen, dass wir die Frage der Mietenwende zum Thema machen, deutlich nach oben gegangen sind. Und das weist aus meiner Sicht den Weg. Weniger tagespolitische Geländegewinne zu orientieren, sondern langfristig klarzumachen, wofür die Sozialdemokratische Partei steht. Und wir sind ehrlich gesagt von dem, was unsere Tradition und unsere Geschichte ausmacht, gefragter denn je. Und wir sind als Partei gegründet worden, um aus technischem Fortschritt Wohlstand für alle zu machen.
    Büüsker: Wie erklären Sie sich, dass so viele Arbeiterinnen und Arbeiter inzwischen nicht mehr die SPD wählen, sondern die AfD?
    Schäfer-Gümbel: Es gibt Wählerwanderungsstatistiken. Ehrlich gesagt, es gibt keine validen Daten darüber, welche Teilgruppe wen wählt. Aber natürlich sehe ich auch in Diskussionen und auch in meinem Umfeld, in den Quartieren, in denen ich regelmäßig bin, dass wir teilweise den Kontakt verloren haben, weil wir in den tagespolitischen Auseinandersetzungen zu wenig das Gespräch mit unseren Wählerinnen und Wählern gesucht haben, gerade in diesen Quartieren. Und das muss anders werden. Und ich verstehe, dass sich auch Leute in den vergangenen Jahren alleine gelassen gefühlt haben, zum Beispiel in der Wohnungsversorgungsfrage – das Thema Wohnen war doch kein Thema erst seit dem Oktober 2015, zumindest war längst davor ein großes Thema. Es hat außer Leute wie mich nicht so sonderlich viele interessiert. Und deswegen bin ich froh, dass es jetzt endlich auf eine Agenda kommt und auch politisch endlich wahrgenommen wird. Und, dass dieses Nichtgesehenwerden von Alltagsfragen dazu führt, dass Leute auch sich frustriert abwenden, das verstehe ich sehr gut und deswegen muss die Partei in diesen Fragen lauter und erkennbarer sein.
    Büüsker: Sprechen wir über das Thema Wohnen. Sie haben gemeinsam mit Andrea Nahles ein Konzept vorgelegt, in dem Sie einen Mietenstopp fordern. In Bereichen mit angespannter Situation sollen Mieten bei Bestands- und Neuvermietung für fünf Jahre nur in Höhe der Inflation steigen dürfen – Unternehmerverbände sagen, Moment, das bremst den Neubau von Wohnungen – das wollen Sie aber auch nicht.
    Schäfer-Güümbel: Ja, ich halte die Aussage, ehrlich gesagt, auch für Quatsch.
    Büüsker: Warum?
    "Der Mietenstopp für fünf Jahre verschafft eine Atempause"
    Schäfer-Gümbel: Wir erleben ja im Moment einen Wohnungsbau Bauboom im Bereich von unbezahlbaren Wohnungen. Die Durchschnittsmiete bei 130 m² Wohnungen in Frankfurt liegt nach dem aktuellen Mietspiegel bei 20,50 €/m² kalt im Monat. Sie ist um 4,50 € in den letzten fünf Jahren gestiegen. Der Anteil der Sozialwohnungen hat sich in Hessen von 185.000 auf weniger als 85.000 mehr als halbiert unter Schwarz-Grün beziehungsweise unter der CDU-geführten Landesregierung in den letzten 19 Jahren.
    Und der Mietenstopp für fünf Jahre, verschafft Mieterinnen und Mietern angesichts dieser Mietenexplosion eine Atempause, dass sie es durchhalten können, weil zu wenig bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird, der viel auch mit öffentlichen Förderprogrammen zu tun hat, aber vor allem mit einer anderen Bodenpolitik. Wenn das Land – beispielsweise wie Hessen – sich selbst als Immobilienspekulant betätigt, wie beim Polizeipräsidium in Frankfurt, braucht man sich nicht zu wundern. Und deswegen halte ich diese Aussage der Unternehmerverbände für falsch, sie ist auch mit nichts begründbar.
    Büüsker: Ist das nicht das eigentliche Problem mit Blick auf die – ich nenne sie mal – Wohnkrise in Deutschland, was sich aber niemand so richtig auszusprechen traut, dass Wohnraum deshalb so unglaublich teuer und unbezahlbar ist, weil er ein Investitions- und Spekulationsobjekt für große Konzerne geworden ist.
    Schäfer-Gümbel: Also, ich traue mich den Satz zu sagen, wir haben eine Mieten- und Wohnungskrise, wir haben einen massiven Mangel in den Ballungsräumen mit einer massiven Spekulationsblase, die dabei entsteht. Und Sie haben völlig recht, die Privatisierung – auch von großen öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften in den letzten 20 Jahren – hat ganz erheblich mit dazu beigetragen, dass große Wohnungsbaubestände inzwischen zu Spekulationsobjekten geworden sind. Und die Konsequenz darauf ist, dass ähnlich wie in Wien, wir wieder anfangen müssen, den öffentlich verantworteten Wohnungsbau zu stärken, den genossenschaftlichen Wohnungsbau zu stärken und – ich sage das ausdrücklich dazu – auch Betriebswohnungen wieder zu einem echten Thema zu machen.
    Büüsker: Stattdessen redet die Bundesregierung auch viel darüber, das Bauen für Investoren leichter zu machen, das scheint mir dann nicht der richtige Schritt zu sein.
    Schäfer-Gümbel: Wir werden am Ende nicht als öffentliche Hand alleine rumkommen und Sie sehen das zum Beispiel auch in Wien, dort gibt es auch viele private Akteure, die geförderten Wohnungsbau machen. Aber klar, wir haben auch in den Bauordnungen Themen, wir haben bei den Bauleitplanungen Themen, wo wir Dinge schneller machen müssen, effizienter machen müssen. Deswegen spielt das schon eine Rolle.
    Und den bauordnungsrechtlichen Rahmen, den setzt der Bund. Der Rest ist vor allem eine Landes- und kommunale Aufgabe und deswegen müssen alle drei Ebenen zusammenarbeiten. Dazu will ich meinen Beitrag leisten, indem wir ein eigenständiges Wohnungsbau- und Landesentwicklungsministerium schaffen, um alle zusammen zu kriegen, weil nur so wird es am Ende funktionieren.
    Büüsker: Setzt voraus, dass Sie hier aus der Wahl am 28. Oktober als künftiger Ministerpräsident des Landes hervorgehen. Mit wem würden Sie denn gerne koalieren?
    Schäfer-Gümbel: Die Frage wird mir seit vielen Jahren gestellt. Da gibt es keine Automatismen, es gibt auch keine Ausschließeritis mit Ausnahme mit Rechtspopulisten und Rechtsnationalisten.
    Büüsker: Aber vielleicht ja Wünsche.
    Schäfer-Gümbel: Wenn ich mir was wünschen dürfte – ist der Plan einfach – das würde ich am liebsten alleine machen. Aber ich kann natürlich auch Umfragen lesen und weiß, dass das so schnell nicht passieren wird angesichts der Umfragesituation. Ich will am Ende eine Koalition, die in der Lage ist, mehr bezahlbare Wohnungen zu schaffen und endlich das Thema Bildungsgerechtigkeit ernst zu nehmen. Das ist mein inhaltlicher Anspruch.
    Und wenn es so einfach wäre ein paar Mandate zusammenzuzählen, dann wäre ich seit fünf Jahren Ministerpräsident. Es gab damals kein politisches Vertrauensverhältnis, deswegen bin ich Oppositionsführer und strenge mich an, am 28. Oktober eine Mehrheit zu haben.
    Büüsker: Herr Schäfer-Gümbel, vielen Dank für das Interview.
    Schäfer-Gümbel: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.