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Thüringen
Die AfD und das Gedenken an die Pogromnacht

Zum Gedenken an die Pogromnacht auf dem Jüdischen Friedhof von Erfurt erschien auch eine Vertreterin der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag. Ein Affront für viele, die Björn Höckes Forderung nach einer Wende in der Erinnerungskultur noch im Ohr haben. Die AfD-Politikerin selbst will keinen Widerspruch erkennen.

Von Henry Bernhard | 09.11.2017
    Die AfD-Politikerin Corinna Herold legt auf dem Jüdischen Friedhof in Erfurt ein Blumengebinde zum Gedenken an die Toten der Pogromnacht am 9. November 1938 ab.
    Die AfD-Politikerin Corinna Herold legt auf dem Jüdischen Friedhof in Erfurt ein Blumengebinde zum Gedenken an die Toten der Pogromnacht am 9. November 1938 ab. (Deutschlandradio/ Henry Bernhard)
    "Liebe Anwesende, ich bitte Sie jetzt zu einer Minute des stillen Gedenkens an unsere ermordeten jüdischen Brüder und Schwestern."
    Auch die Alten und Gebrechlichen, für die Bänke aufgestellt worden sind, erheben sich beim Totengedenken am Jahrestag der Pogromnacht auf dem Jüdischen Friedhof in Erfurt. Reinhard Schramm, der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, ist da noch einer der Jüngeren.
    "Ich danke. Wer möchte, kann jetzt die Kranzschleifen ausrichten oder Blumen niederlegen."
    Corinna Herold auf heikler Mission
    Es sind viele Kränze und Blumen, die vor dem Gedenkstein liegen. Parteien, Organisationen, die Stadt Erfurt sind vertreten. Auch Corinna Herold legt ein Blumengebinde ab, verharrt in Schweigen. Ihr Gebinde trägt als einziges keine Schleife, keine Worte, keinen "Absender". Corinna Herold ist für die AfD-Fraktion da - und damit auf einer heiklen Mission. Das will sie selbst aber gar nicht so sehen:
    "Wo soll das Problem liegen? Mein einziges Problem war, dass wir bis gestern nach einer Einladung gesucht haben. Und ich bin dann einfach ohne Einladung gekommen."
    Es war kein Versehen, dass die AfD, anders als die anderen Fraktionen im Thüringer Landtag, keine Einladung bekommen hatte. Reinhard Schramm sah keinen Grund, sie einzuladen:
    "Wir haben bisher mit denen keine Kontakte gehabt. Und ich habe auch, ehrlich gesagt, kein Interesse, sie speziell einzuladen. Ich habe nichts dagegen, wenn jemand da teilnimmt. Aber sie einzuladen, nachdem wie sich Thüringen – und die AfD um Herrn Höcke gehört da mal dazu, und zwar an die Spitze ihrer Fraktion – zur Wende in der Erinnerungskultur geäußert haben und im Nachhinein diese Partei noch zur Wehrmacht spezielle Aussagen hatte, "Denkmal der Schande", das hat uns schon verletzt; das ist fast schmerzlich."
    Höckes Rede hat viele erschreckt
    Zur Erinnerung: Der Partei- und Fraktionschef der Thüringer AfD, Björn Höcke, weithin anerkannter Rechtsaußen-Posten der Partei, der auch gern mal vom "Schuldkult" spricht, hatte im Januar in Dresden vor Anhängern eine Rede gehalten, die viele im Lande erschreckt hat – bis hoch in die AfD-Spitze. Er mokierte sich über das Holocaust-Denkmal in Berlin und beklagte eine "systematische Umerziehung" des deutschen Volkes nach 1945:
    "Die Vergangenheitsbewältigung als gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe, die lähmt ein Volk. Und diese dämliche Bewältigungspolitik, die lähmt uns heute noch viel mehr als zu Franz Josef Strauß’ Zeiten. Wir brauchen nichts anderes als erinnerungspolitische Wende um 180 Grad!"
    Wie man diese Erinnerungspolitik in die Gegenrichtung umkehren kann, führte Höcke damals allerdings nicht aus. Das machte dann sein Parteifreund Alexander Gauland im Bundestagswahlkampf, als er erklärte, dass es an der Zeit sei, wieder stolz zu sein auf die Leistungen der Wehrmacht:
    "Man muss uns diese zwölf Jahre jetzt nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr. Und das sprechen wir auch aus."
    Klare Worte, die auch in den jüdischen Gemeinden Bestürzung hervorriefen, auch in Thüringen:
    "Die Abkehr von einer vernünftigen Erinnerungskultur, die wir brauchen, und die Deutschland sich aufgebaut hat, eine Abkehr um 180 Grad, das ist nichts anderes als Relativierung des Faschismus' für mich."
    Mit dieser Hypothek belastet also ging die Thüringer AfD-Abgeordnete zur Gedenkstunde auf den Jüdischen Friedhof in Erfurt, uneingeladen, aber nicht unwillkommen.
    "Ich gehe davon aus, wenn hier ein Mitglied kommt von der AfD – wir haben sie nicht eingeladen, die kommen von sich aus –, dann werden wir sie nicht abweisen. Und vielleicht ändert sich der ein oder andere. Ich bin da … ich will nicht sagen optimistisch, aber ich gebe meine Hoffnung nicht auf."
    Kein Kommentar zur Rede heute
    Corinna Herold erkennt insgesamt keinen Widerspruch.
    "Nun hat ja Björn Höcke in seiner Dresdner Rede gesagt, das seien alles 'tote Riten', das müssten wir hinter uns lassen, dafür hätten wir 'keine Zeit mehr'!?"
    Corinna Herold:
    "Das hat er nicht gesagt. Und ich möchte hier über die Dresdner Rede nichts sagen."
    Um hier den Audiobeweis zu bemühen:
    "Liebe Freunde, wir brauchen keinen toten Riten mehr in diesem Land. Wir haben keine Zeit mehr, tote Riten zu exekutieren. Wir brauchen keine hohlen Phrasen mehr in diesem Land!"
    Drei Tage, nachdem Höcke diese Rede in Dresden gehalten hatte, hat sich auch Corinna Herold mit ihrer gesamten Fraktion öffentlich hinter ihren Chef gestellt. Das sei aber egal, meint sie:
    "Ich möchte jetzt gern über den 9. November reden, aber nicht über die Dresdner Rede."
    Hoffnung auf Veränderung
    Das muss man dann wohl so hinnehmen. Reinhard Schramm hat dennoch Einwände:
    "Na ja, aber es reicht nicht, darüber nicht zu sprechen. Eigentlich, wenn sie einen anderen Weg einschlagen würden, zumindest teilweise, dann müssten sie sich davon distanzieren. Und sie müssten sich von Herrn Höcke distanzieren. Insofern werden wir auf diese Partei nicht zugehen. Wir schauen, was sie tun und haben die Hoffnung, dass es nicht zu viele Mitläufer gibt."
    Reinhard Schramm ist ein freundlicher Mensch und gesteht jedem die Fähigkeit zu, sich zu verändern.
    "Ich hoffe, dass diese AfD vielleicht sich noch verändert. Und dann gucken wir mal, wie die Partei in fünf oder zehn Jahren aussieht. Und vielleicht ist dann unser Verhältnis ein anderes."
    Der SPD-Fraktionschef im Thüringer Landtag, Matthias Hey, ist da weniger optimistisch.
    "Wenn etwas aussieht wie ein Hund, wenn es bellt wie ein Hund, wenn es Nachbars Katze jagt, dann ist es ja vielleicht noch ein Wolf, aber auf keinen Fall ist es zum Beispiel ein Hase."