Donnerstag, 28. März 2024

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Thyssenkrupp im Umbruch
Zwischen Firmentradition und Aktionärsinteresse

Der Thyssenkrupp-Konzern mit seinen rund 160.000 Mitarbeitern und Geschäften von Aufzügen bis hin zu U-Booten steckt in der Krise. Zwei Bosse hatten das Handtuch geworfen. Schlüsselrollen in dem Ruhrgebiets-Drama spielen der Großaktionär Cevian und die Chefin der Krupp-Stiftung.

Von Kay Bandermann | 30.08.2018
    Das Thyssenkrupp Stahlwerk Schwelgern in Duisburg-Marxloh steht in der Dämmerung da.
    Das Thyssenkrupp Stahlwerk Schwelgern in Duisburg-Marxloh (picture alliance / dpa / Bernd Thissen)
    Man könnte meinen, jemand hätte vergessen, das kleine Haus abzureißen. Mit der Schiefervertäfelung und den kitschigen Herzchen in den grün lackierten Fensterläden wirkt das alte Kruppsche Stammhaus wie aus einer fernen Welt. 1818 wurde es gebaut.
    Firmengründer Friedrich Krupp lebte hier und auch sein Sohn Alfred, bis der sich etwas Größeres leisten konnte. Es ist im Essener Norden der letzte Hinweis auf den Ort, an dem die wechselvolle Geschichte der Stahldynastie Krupp 1811 begann.
    Nur einen Steinwurf entfernt liegt die neue Thyssenkrupp-Hauptverwaltung - ein großzügiger Campus mit einer modernen Würfel-Architektur. 200 Jahre Zeitunterschied liegen zwischen diesen Epochen.
    "Man kann nicht sagen, dass die Stimmung eine gute ist"
    Glas und Stahl hier - Fachwerk dort: So sieht sie aus, die Selbst-Inszenierung des Unternehmens Thyssenkrupp, die beim Bau der neuen Konzernzentrale 2014 bewusst geplant wurde. Die Botschaft lautet: Hier residiert ein moderner, welt- und geistesoffener Konzern, der seine historischen Wurzeln immer im Blick hat.
    Derzeit haben die Beschäftigten dort allerdings wenig Lust, in Erinnerungen zu schwelgen.
    "Man kann nicht sagen, dass die Stimmung eine gute ist." Willi Segerath ist seit vielen Jahren der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Thyssenkrupp. "Wir leiden als Arbeitnehmer unter Managementfehlern. Aber wenn der Interims-Vorsitzende jetzt sagt, wir müssen weiterhin Personal abbauen – und zwar nicht im Stahl, sondern insbesondere in Verwaltung und bei Industrial Solution, dann können Sie sich vorstellen, dass das nicht unbedingt motivierend ist."
    Thyssenkrupp steckt in seiner vielleicht schwersten Krise. Die Mitarbeiter sind verunsichert nach den Paukenschlägen der vergangenen Wochen.
    Noch nie hat ein großer DAX-Konzern mit 160.000 Beschäftigten innerhalb von wenigen Tagen seine Führung verloren. Erst ging Vorstandschef Heinrich Hiesinger, knapp zwei Wochen später der Aufsichtsratsvorsitzende, Ulrich Lehner. Enttäuscht vom Vertrauensverlust ihrer wichtigsten Groß-Aktionäre legten beide Top-Manager ihre Ämter nieder und gingen vorzeitig – mit nahezu wortgleichen Erklärungen.
    Lehner blickt aufmerksam nach vorne, dahinter ein rosa-blau-schwarzer Hintergrund.
    Ulrich Lehner (imago stock&people)
    Heinrich Hiesinger formulierte es so: "Ich gehe diesen Schritt bewusst, um eine grundsätzliche Diskussion im Aufsichtsrat über die Zukunft von ThyssenKrupp zu ermöglichen."
    Und Aufsichtsratschef Ulrich Lehner fügte wenige Tage später hinzu: "Das Vertrauen der großen Aktionäre und ein gemeinsames Verständnis im Aufsichtsrat über die strategische Ausrichtung von Thyssenkrupp waren Grundlage meiner Arbeit und Voraussetzung für mein Versprechen an Berthold Beitz, das Unternehmen im Interesse von Aktionären, Mitarbeitern und Kunden erfolgreich weiterzuentwickeln. Das ist heute nicht mehr gegeben."
    Hilft der Geist der Gründer?
    Immer wieder taucht er in diesen Tagen in Essen auf: der Geist der Gründer - für den auch Krupp-Patriarch Berthold Beitz stand. Das Kruppsche Vermächtnis drückt sich nicht nur in Werkssiedlungen, Stiftungs-Krankenhäusern und großzügigen Parks aus, sondern auch in einer tief verwurzelten sozialen Verantwortung. Die steht für Betriebsratschef Willi Segerath jetzt auf dem Spiel.
    "Ich glaube im Ruhrgebiet - auch mit dem Bergbau - haben wir einen Menschenschlag, der zumindest eines verstanden hat: nämlich, Solidarität, zumindest unter den arbeitenden Menschen. Insofern sage ich immer: ob Thyssen, ob Krupp oder jetzt Thyssenkrupp - solche Unternehmen haben auch eine nicht nur regionale, sondern auch gesellschaftliche Verantwortung. Und die ist genauso wichtig heute wie damals."
    Mit Hiesinger und Lehner gingen zwei überzeugte Verfechter dieser Prinzipien und einer Einheit des Unternehmens, gibt Segerath die Stimmung bei den Thyssenkrupp-Mitarbeitern wieder. Die Beiden seien Opfer eines Machtkampfes geworden, der lange hinter den Kulissen tobte - und jetzt in aller Öffentlichkeit. Die Mitarbeiter kritisieren die Pläne ihrer Aktionäre; diese wiederum streiten untereinander. Eine brisante Gemengelage, in der sich die meisten Haupt-Akteure in Schweigen hüllen, keine Interviews geben wollen und auf ihre schriftlichen Erklärungen verweisen.
    Thomas Hechtfischer von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz vertritt seit vielen Jahren die Interessen von Klein-Aktionären auf den Hauptversammlungen von Thyssenkrupp. Auch er kritisiert, dass die ausgeschiedenen Manager keine überzeugende Strategie vorgelegt haben.
    "Da warten wir eigentlich drauf seit Januar 2018, seit der letzten Hauptversammlung. Da wurde eine Schärfung der Strategie angekündigt. Die ist bislang nicht erfolgt, immer wieder verschoben worden. Man kann jetzt rückblickend begreifen, dass diese offenbar tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten über die Strategie schon länger anhalten."
    Im Kern geht es bei dieser Strategiedebatte um einen Evergreen der Managementlehre: Passt ein international verflochtenes Konglomerat - ein industrieller Gemischtwarenladen also überhaupt noch in die heutige Zeit? Oder, noch schnöder gefragt: Was ist mehr wert? Das Konglomerat oder die Summe seiner einzelnen Geschäftssparten?
    Die heißen bei Thyssenkrupp neben dem Stahl Components, Elevator und Industrial Solutions - wie die Sparten heutzutage üblich auf Englisch bezeichnet werden. Zusammen machten sie zuletzt einen weltweiten Umsatz von 43 Milliarden Euro. Konglomerate wie diese will Betriebsratschef Willi Segerath unbedingt erhalten.
    "Sie sind für die Entwicklung der Wirtschaft enorm wertvoll. Auch für die Innovationskraft, für Forschung und Entwicklung wesentlich wertvoller als ein Kernbereich nur auf Profit ausgerichtet. Ich glaube, wenn da die Konjunktur ganz steil nach unten geht, ziehen die sich zurück und dann ist dieser Bereich nicht mehr existent."
    Eine erste harte Auseinandersetzung gab es bereits und sie endete mit einem teuren Kompromiss: Die Trennung von der Stahlsparte, dem einstigen Herzstück des Unternehmens. Dagegen hatten sich die 35.000 Stahlarbeiter monatelang gewehrt. Sie wollten nicht verkauft werden, sondern unter dem schützenden Mantel des Gesamtkonzerns bleiben.
    Am Ende stand eine Art "Teil-Abspaltung". Thyssenkrupp bringt seine Stahlwerke in ein Joint Venture mit dem britisch-indischen Konkurrenten Tata Steel ein. Eine Betriebsvereinbarung, die im Februar dieses Jahres beschlossen wurde, garantiert den Beschäftigten die weitgehende Sicherung ihrer Arbeitsplätze in der fusionierten Firma.
    "Eins haben wir bei Thyssen und Krupp als IG Metaller immer wieder bewiesen, dass wir auch wirklich Zähne zeigen können und kämpfen können."
    Lernen aus vergangenen Krisen
    Solch eine Situation hat das Unternehmen Krupp schon einmal erlebt. Ein halbes Jahrhundert ist das her, und es führte zur Gründung der Krupp-Stiftung: jener Stiftung, die aktuell wegen ihrer als "zu defensiv" gesehenen Haltung in der Kritik steht. Sie ist mit 21 Prozent größter Einzelaktionär von Thyssenkrupp. In ihrem Kuratorium sitzt unter anderem NRW-Ministerpräsident Armin Laschet.
    Auch damals steckte Krupp finanziell in der Klemme. Auch damals machten "die Finanzmärkte" - in diesem Fall die Hausbanken - Druck auf Management und Eigentümer. Vor 50 Jahren war Krupp noch immer - wie seit den Anfängen - ein Familienunternehmen; von der Rechtsform eine Personengesellschaft. Das hielten viele nicht mehr für zeitgemäß. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, der letzte Firmenlenker aus der Familie, war hin- und hergerissen zwischen Tradition und öffentlicher Erwartung - und kündigte 1967 einen Einschnitt an.
    "Es entspricht der Tradition des Hauses Krupp, erwerbswirtschaftliche Überlegungen, so wichtig sie auch sind, nie isoliert vom Gebot der Sozialverpflichtung des persönlichen Eigentums zu sehen. Ich habe mich deshalb entschlossen, die Firma über eine Stiftung, die Ausdruck der dem Gemeinwohl verpflichteten Tradition des Hauses Krupp sein soll, in eine Kapitalgesellschaft umzuwandeln."
    Der "Familienbetrieb" Krupp wurde in eine GmbH umgewandelt. Zusätzlich wurde eine Stiftung gegründet, die Allein-Gesellschafter dieser neuen Firma wurde. In der Stiftung sollte die Kruppsche Tradition weiterleben und über sie auch die Grundprinzipien der unternehmerischen Führung fortgesetzt werden.
    "Mein Urgroßvater, Alfred Krupp, fasste das in die Worte: Der Zweck der Arbeit soll das Gemeinwohl sein. Er meinte wohl damit, dass der Mensch an sich das Maß allen wirtschaftlichen Tuns zu sein habe."
    Und nicht etwa Profitmaximierung, Renditeziele oder Shareholder Value - Begriffe, die heute mit internationalen Finanzinvestoren verbunden werden. Die haben sich in den vergangenen Jahren allerdings Stück für Stück bei Thyssenkrupp eingekauft.
    Der bedeutendste von ihnen: die schwedische Investorengruppe Cevian. 2013 stieg sie bei Thyssenkrupp ein und stockte ihre Anteile auf insgesamt fast 20 Prozent auf. In einer Selbstbeschreibung nennt sich Cevian einen "long-only"-Anleger, der nicht auf kurzfristige Gewinnmitnahmen schielt.
    "Das Ziel ist, dass sich die Unternehmen, an denen sich Cevian maßgeblich beteiligt, auf Dauer wettbewerbsfähiger aufstellen und so erfolgreicher gegenüber der Konkurrenz behaupten. Mit dem Ergebnis, dass diese Unternehmen werthaltiger, langfristig stabiler und ertragreicher sind."
    Lars Förberg ist der Mitgründer von Cevian. Mit einem Hedgefonds oder einer gefräßigen "Heuschrecke" will er nicht verglichen werden. Er verwaltet 14 Milliarden Euro. Geld, das ihm Pensionskassen, Staatsfonds und vermögende Privatleute anvertraut haben. Denen fühlt er sich verpflichtet. Fünf frustrierende Jahre lägen hinter ihm, sagt Förberg. Er hatte das Gefühl, dass bei Thyssenkrupp etwas falsch liefe. Die Gegenstrategie formuliert er in einer Erklärung so:
    "Cevian hat stets dafür plädiert, dass die existierenden Geschäftsbereiche des Thyssenkrupp-Konzerns wesentlich wettbewerbsfähiger und erfolgreicher sein könnten, wenn dem jeweiligen Management mehr unternehmerischer Spielraum gewährt werden würde."
    Förberg betonte kürzlich, er wolle ausdrücklich keine Zerschlagung von Thyssenkrupp, sondern eine Re-Organisation, wie er es nennt. Mehr Freiheiten für Sparten-Manager; weniger Gängelung durch die Zentrale.
    Gegen dieses Bild vom lähmenden, personell überbesetzten - und überbezahlten - "Wasserkopf" - gemeint: die Konzernzentrale - setzen sich die betroffenen Thyssenkrupp-Beschäftigten zur Wehr. Man sei sehr wohl reformfähig und -willig, heißt es dort. Man wolle eine lebendige, agile Organisation sein, die das immense Wissen dieses Firmenkonglomerates produktiv nutzen will. Zuständig dafür die sog. Zentralabteilung "Technologie - Innovation - Nachhaltigkeit". Ihr Leiter ist der Naturwissenschaftler Markus Oles.
    "Unsere Aufgabe ist es dann, über die einzelnen Geschäftsbereiche hinweg Synergien im Konzern zu finden und zu sagen: wie können wir denn Technologien miteinander verknüpfen und daraus etwas schaffen, was es so nicht gibt."
    Arbeiten am "cross-industriellen Netzwerk"
    Ingenieure aus Stahlsparte und Anlagenbau entwickelten das Projekt "Carbon2Chem". Sinngemäß etwa: bring Kohlenstoff, besonders das klimaschädliche Kohlendioxid, auf sinnvolle Art in chemische Prozesse ein.
    In Duisburg-Bruckhausen läuft dieser Versuch - auf einem Stahlwerksgelände zwischen Hochöfen, Kokerei und Hüttenwerken. Es ist eine chemische Anlage. Ein schlanker Gitterzaun trennt das Technikum mit vielen Rohren, Leitungen und Tanks vom Rest des riesigen Geländes. Steigt Thyssenkrupp etwa in die Chemiebranche ein?
    Nein, sagt Markus Oles. Aber es gebe mit Bayer, BASF & Co. geschäftliche Berührungspunkte.
    "Die Idee, die wir haben, ist tatsächlich: Das, was wir neben dem Stahl erzeugen – nämlich die Hüttengase - zu nutzen. Und zwar den Kohlenstoff, der bei uns in den Hochöfen, in der Kokerei anfällt zu nehmen und ihn weiterzugeben an die nächste Industrie, nämlich an die Chemie. Für die Synthese von Ammoniak, von Methanol, also Düngemittel, Treibstoffe oder auch Polymer."
    Markus Oles spricht von einem "cross-industriellen Netzwerk", das hier entstehe. 16 externe Partner aus Wissenschaft und Industrie sind mit im Boot. Die Bundesregierung fördert das Projekt mit vielen Millionen Euro. Aber im Kern stammt die Idee von Thyssenkrupp.
    "Auf der einen Seite, die Kollegen aus Dortmund, die hier am Standort in Duisburg sind, die haben festgestellt: Mensch, Eure Hüttengase, die sehen ja sehr, sehr ähnlich aus zu den Synthesegasen, die wir momentan auch in der Chemie benötigen. Kann man da nicht mal ein gemeinsames Projekt machen."
    Zwei Jahre lang will Thyssenkrupp das "Carbon2Chem"-Prinzip im Rund-um-die-Uhr-Betrieb auf Herz und Nieren testen. Wenn es sich als technisch verlässlich erwiesen hat, geht es für Thyssenkrupp ans Verdienen. Dann soll nicht nur in Duisburg eine Anlage im großen Maßstab gebaut werden.
    "Wir haben uns das natürlich sehr genau angeguckt. Es gibt ungefähr 50 vergleichbare Standorte…, und an diesen Standorten könnte man die Lösung, die wir hier entwickeln, 1:1 übertragen."
    Er will die Entwicklung also weltweit verkaufen. Das klingt nach einem lukrativen Geschäft. Doch selbst das kann einen der wichtigsten Aktionäre, Cevian-Gründer Lars Förberg, nicht überzeugen. Er glaubt nicht, dass Firmenkonglomerate verborgene Schätze besitzen, die man nur heben und versilbern müsse. Er glaubt vielmehr an ehrgeizige Unternehmertypen, denen man Freiheiten geben müsse.
    Seiner Gegner in der Konzernzentrale präsentieren im Gegenzug ein weiteres Beispiel, dass als eines der "heißesten" Produkte von Thyssenkrupp zählt: der sogenannte MULTI. Das ist ein Aufzug, der keine Seile hat und nicht nur vertikal, sondern auch horizontal fahren kann. Eine Revolution in der Aufzugtechnik, da sind sich alle Fachleute einig. Ein System, dass Architekten ungeahnte Möglichkeiten in der Gebäudegestaltung gibt, sagt Michael Cesarz, bei dem auf dem Essener Campus alle Fäden des MULTI-Projekts zusammenlaufen.
    "Wenn man so will, kommen hier drei Stränge zusammen: die Eigenentwicklung aus dem Elevator-Bereich, die immer weiter fortschreitet. Das zweite ist die Transrapid-Technologie, die es hier immer schon gab, die nach Projekt-Stopp einfach übernommen wurde; die Ingenieure wurden übernommen. Und last but least sind wir im Materialbereich. Wir haben bei uns einen Bereich, der nennt sich Additive Manufacturing. Er macht nichts anderes, als mit neuen Materialien zu forschen. Wie können wir zum Beispiel in unserem Fall, die Kabine leichter machen? Wenn Sie das alle drei zusammentun, sind sie relativ schnell beim MULTI."
    Man merkt Michael Cesarz an, dass ihm sein Job Spaß macht. Der gelernte Architekt stammt aus Duisburg, ist Kind eines Stahlarbeiters und freut sich, dass eine solch innovative Idee vom Ruhrgebiet aus vorangetrieben wird.
    Das sichtbarste Symbol des Magnetschwebe-Aufzugs steht allerdings im südwestlichen Zipfel Deutschlands - in Rottweil im Schwarzwald. Dort hat Thyssenkrupp einen 250 Meter hohen Testturm für den MULTI und andere Aufzüge gebaut und 2017 mit großem Bahnhof in Betrieb genommen.
    Michael Cesarz meint, solche technischen Innovationen entstehen nur, wenn unterschiedliche Ideen und Erfahrungen aus verschiedenen Ecken eines Großkonzerns zusammengebracht werden. Ob sich dieser Ansatz oder das Gegenmodell durchsetzt, müssen jetzt die beiden wichtigsten und größten Anteilseigner von Thyssenkrupp entscheiden: Cevian und die Krupp-Stiftung. Vor allem die Stiftung und ihre Vorsitzende, Ursula Gather, stehen im Mittelpunkt des Interesses.
    Ursula Gather, lächelt am 19.01.2018 in Bochum (Nordrhein-Westfalen) bei der Hauptversammlung von ThyssenKrupp.
    Ursula Gather (dpa / Bernd Thissen)
    Gather ist Mathematik-Professorin und Rektorin der TU Dortmund. Sie gilt als ehrgeizig und machtbewusst. Eine Frau, die gelernt hat, sich in einer Männerwelt durchzusetzen. Und die Führungszirkel der Groß-Industrie sind noch immer eine Männerdomäne. Bei Thyssenkrupp sowieso.
    Vorwurf: "beispiellose Arroganz"
    Ursula Gather musste sich in den vergangenen Wochen viel Kritik anhören. Den einen ist ihre Haltung in der Strategiedebatte zu passiv; die anderen werfen ihr - im Gegenteil - vor, die Rücktritte von Heinrich Hiesinger und Ulrich Lehner aktiv betrieben zu haben. Vorläufiger Höhepunkt war im Juli ein sogenannter Offener Brief von Thyssenkrupp-Beschäftigten, den man besser als "bösen Brief" bezeichnen könnte. Darin wird Gather eine "beispiellose Arroganz" vorgeworfen.
    "Wir sind traurig, enttäuscht und wütend. Traurig, weil wir einen aufrechten und gerechten Firmenchef verloren haben. Enttäuscht, weil die Stiftung in ihrem Kernauftrag, das Erbe von Alfried Krupp zu wahren, versagt hat. Wütend, weil Sie persönlich den Mann, den Berthold Beitz zur Rettung unseres Unternehmens geholt hat, nicht so unterstützt haben, wie er es verdient gehabt hätte."
    Inzwischen haben sich die Wogen wieder geglättet. Ursula Gather ließ schriftlich erklären: "Die Krupp-Stiftung sieht sich auch in Zukunft dem Willen ihres Stifters Alfried Krupp von Bohlen und Halbach verpflichtet, die Einheit des Unternehmens möglichst zu wahren und seine weitere Entwicklung zu fördern."
    Was aber bedeutet das genau? Einheit oder Aufteilung? Was will die Krupp-Stiftung? Selbst Firmen-Kenner Thomas Hechtfischer wird nicht schlau aus den bisherigen Äußerungen.
    "Das ist mehr oder minder eine Blackbox. Bislang war ich der Meinung, die Stiftung steht ganz vorne, wenn es darum geht, diese Einheit zu bewahren und sich gegen eine Zerschlagung zu wenden. Das scheint nach den Rücktritten von Herrn Hiesinger und Herrn Lehner nicht mehr ganz so sicher zu sein, um es mal vorsichtig auszudrücken. Da warte ich noch immer auf eine Positionierung."
    Und auf eine baldige Entscheidung, wer neuer Aufsichtsratsvorsitzender wird. Hinter den Kulissen laufen Gespräche zwischen Krupp-Stiftung und Cevian. Auch auf die Haltung der Beschäftigten und ihrer einflussreichen Vertreter im Aufsichtsrat kommt es an. Gegen die Belegschaft lässt sich nur schwer etwas durchsetzen bei Thyssenkrupp. Das hat inzwischen auch Finanzinvestor Cevian öffentlich anerkannt.
    Gesamtbetriebsrats-Chef Willi Segerath hat letzteres mit Befriedigung zur Kenntnis genommen. Doch als altgedienter und streikbewährter Metaller bleibt er vorsichtig.
    "Wichtig ist, dass das - ähnlich wie im Stahl - dann auch am Ende vertraglich festgelegt wird. Ansonsten gibt’s dann reichlich was auf die Mütze."