Todesursache LuftverschmutzungEinzelschicksal hinter der Statistik
6.000 vorzeitige Todesfälle jedes Jahr gehen auf das Konto der Stickoxidbelastung. Und trotzdem steht auf keinem einzigen Totenschein als Todesursache "Luftverschmutzung". Ein Gerichtsverfahren in England könnte das nun ändern.
- Rund sechstausend vorzeitige Todesfälle jährlich gehen auf das Konto der Stickoxidbelastung (Imago)
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Die Menschenrechtsanwältin Jocelyn Cockburn von der Londoner Kanzlei Hodge, Jones & Allen:
"Mediziner und Forscher sind sehr zurückhaltend, konkrete Todesfälle auf die Luftverschmutzung zurückzuführen. Dabei sagt sogar die Regierung, dass 40.000 Todesfälle statistisch der Luftverschmutzung zuzuschreiben sind. Für uns und die Familie ist es wichtig, die menschliche Seite zu zeigen. Dass es hier nicht nur um eine Statistik geht, sondern um ein konkretes Kind."
Das Kind hieß Ella Kissi-Debrah. Sie wohnte im Londoner Stadtteil Southwark nahe einer Hauptverkehrsstraße und litt an schwerem Asthma. Siebenundzwanzig Mal innerhalb von drei Jahren musste sie deshalb ins Krankenhaus. Am 15. Februar 2013 starb sie. Sie wurde neun Jahre alt. Auf dem Totenschein steht als Todesursache: Akute Ateminsuffizienz und schweres Asthma.
"Die Familie hatte nicht den Eindruck, dass dem Todesfall damit auf den Grund gegangen wurde. Für sie ist es wichtig, alles genau zu verstehen, auch um trauern zu können."
Lebenslange Überschreitung der Grenzwerte
Mit Hilfe von Jocelyn Cockburn, die selbst unter Asthma leidet, will die Familie erreichen, dass auf Ellas Totenschein offiziell Luftverschmutzung als Todesursache genannt wird. Die Londoner Anwältin hat die Krankengesichte von Ella von einem renommierten Asthmaexperten begutachten lassen.
"Es gibt eine Messstation für Stickoxide und andere Schadstoff in der Nähe ihres Wohnhauses. Während Ellas ganzem Leben wurden dort die EU-Grenzwerte überschritten. Dazu gab es immer wieder noch deutlich höhere Spitzenwerte. Unser Experte hat sich den Zusammenhang zwischen der Luftverschmutzung und den Asthmaepisoden angesehen und sieht ein deutliches Muster, das zeigt: Die Schadstoffe haben eine Rolle bei den Asthmaanfällen gespielt."
Forderung: Luftverschutzung als Todesursache angeben
Es gäbe die reale Möglichkeit, dass Ella ohne die Überschreitung der EU-Grenzwerte nicht am jenem Tag gestorben wären. Deshalb müsse der Totenschein auch Luftverschmutzung als Todesursache nennen. Jocelyn Cockburn hat den Generalsstaatsanwalt im Namen der Familie aufgefordert, den alten Totenschein aufzuheben und eine neue Untersuchung von Ella Kissi-Debrahs Tod anzuordnen. Dabei berufen sie sich auch auf Artikel zwei der Europäischen Menschenrechtskonvention: das Recht auf Leben. Das ist juristisches Neuland.
"Das Besondere an diesem Fall ist der neue Blickwinkel, die Luftverschmutzung mit einem Einzelschicksal zu verknüpfen. Ich hoffe, dass diese persönliche Geschichte den öffentlichen Druck auf die Regierung erhöht, damit sie nicht nur redet, sondern tatsächlich handelt, um die Luftverschmutzung in unseren Städten zu senken."
Jocelyn Cockburn geht davon aus, dass der Fall von Ella Kissi-Debrah die Gerichte noch über Jahre beschäftigen wird. Vielleicht kann ihre Geschichte aber schon vorher dazu beitragen, die Luftverschmutzung zu senken.