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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Kanäle als Stromspeicher

Strom speichern, wenn die Sonne nicht scheint, der Wind nicht weht: Energiespeicher sind ein zentrales Element der Energiewende. Zu den wichtigsten Techniken zählen Pumpspeicher–Kraftwerke. Vor acht Jahren hatten Forscher die Idee, dafür auch Schleusen und Schiffshebewerke als Speicher zu nutzen. Was ist daraus geworden?

Von Frank Grotelüschen | 24.10.2017
    Nord-Ostsee-Kanal Schleusen in Kiel Holtenau
    Eine Schleuse am Nord-Ostsee-Kanal (Hinrich Bäsemann / dpa )
    Scharnebeck, ein Dorf bei Lüneburg. Hier verläuft der Elbe-Seitenkanal, er verbindet die Elbe mit dem Mittellandkanal. Und hier steht ein spektakuläres Bauwerk: das Schiffshebewerk Lüneburg. Ähnlich wie eine Schleuse hilft es Binnenschiffen, einen Höhenunterschied zu überwinden - in diesem Fall beträchtliche 38 Meter.
    "Das ist letztendlich nichts anderes als ein Fahrstuhl für Schiffe. Die Schiffe fahren in diese wassergefüllte Fahrstuhlkabine, die wir Trog nennen", sagt Tilmann Treber, Ingenieur bei der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Eben ist ein Kohlefrachter in den Trog gefahren. Die Tore schließen, die Aufwärtsfahrt beginnt.
    Speicher für überflüssige Solar- und Windenergie
    Knapp 6000 Tonnen wiegt der Trog samt Wasser und Schiff darin. Gegengewichte aus Beton halten die Balance, und zwar mittels 240 armdicker Stahlseile. "Hier rechts sehen wir die Zahnstange, an der das Ritzel hochfährt, um den Trog nach oben zu befördern." Für den Antrieb sorgen vier Elektromotoren. "Wir brauchen jetzt insgesamt drei Minuten für die Trogfahrt."
    1975 ging das Hebewerk in Betrieb. Vor einigen Jahren kam ein Team um den Lüneburger Juraprofessor Thomas Schomerus auf eine bemerkenswerte Idee: Könnte man die Anlage nicht als Pumpspeicher nutzen, und zwar für überschüssigen Wind- und Solarstrom?
    "Wenn man Energie speichern will, muss man das Wasser hochpumpen. Wenn man dann den Strom wieder braucht, wenn etwa der Wind nicht weht, lässt man das Wasser sozusagen runterfallen und treibt damit eine Turbine an."
    Hohe Investitionen
    Das Bestechende: Das zentrale Element eines Pumpspeichers ist bei einem Schiffshebewerk bereits vorhanden - der Kanal, sein höher gelegener Abschnitt dient als Speicherbecken. Dennoch wären diverse Umbauten nötig. "Man müsste neue Leitungen legen. Man müsste wohl auch neue Pumpen bauen. Und man müsste auf jeden Fall Turbinen einbauen. Die Turbinen wären wohl das teuerste - das ist ja das Kernelement eines Kraftwerks."
    Bis zu zehn Millionen Euro würde es kosten, um das Schiffshebewerk Lüneburg nachzurüsten, hat Schomerus in einer Studie abgeschätzt. "Nach unseren Berechnungen würden sich diese Investitionen aber nach etwa zehn Jahren auszahlen, wenn man den Regelenergiemarkt nutzt."
    Das Kalkül: Der gespeicherte Strom soll sich als sogenannte Regelenergie verkaufen lassen, die auf Abruf sofort verfügbar ist und dadurch relativ hohe Preise erzielt. Doch wie viel Energie ließe sich überhaupt im Kanal speichern? "Es ist durchaus so, dass hier ein kleinerer Windpark gespeichert werden könnte."
    "Gesamtpotenzial nicht so groß"
    In Zahlen: Bis zu 15.000 Kilowattstunden ließen sich speichern, würde man den Pegel des Kanals oberhalb des Hebewerks um 20 Zentimeter anheben. Rein rechnerisch ließen sich damit 1000 Vierpersonenhaushalte einen Tag lang mit Strom versorgen. Deutschlandweit dürften etwa 40 Schleusen und Hubanlagen als Pumpspeicher infrage kommen. Das bedeutet: "Das Gesamtpotenzial ist nicht so groß, dass es die Lösung für die Probleme der Energiespeicherung der Zukunft wäre. Es ist eine kleine Komponente. Aber die Energiewende braucht viele kleine Komponenten, um das, was wir uns vorstellen, erreichen zu können."
    Dass die Anlage in Lüneburg demnächst umgerüstet wird, scheint unwahrscheinlich, dafür fehlt das Geld. Allerdings ist in einigen Jahren eine neue Schleuse neben dem Schiffsfahrstuhl geplant, sie soll deutlich größere Schiffe bewältigen als das Hebewerk. Und bei ihr dürfte sich die Pumpspeicher-Technik günstiger realisieren lassen als bei der Nachrüstung der bestehenden Anlage, meint Thomas Schomerus. "Ich setze die Hoffnung auf den Neubau, weil man da von Anfang an die Energiespeicher-Komponente mit integrieren kann."
    "Es gibt Einschränkungen"
    Zurück am Schiffshebewerk Lüneburg. Der Trog ist oben angekommen, das Tor hebt sich, der Kohlefrachter setzt sich in Bewegung. "Von der Idee her finde ich das natürlich eine tolle Sache." Grundsätzlich hält Ingenieur Tilman Treber die Sache mit dem Pumpspeicher für interessant, aber: "Es gibt natürlich Einschränkungen. Die Schifffahrt muss immer funktionieren, die Sicherheit des Schiffsverkehrs darf nicht beeinträchtigt werden. Und der Kanal darf auch nicht leiden. Das heißt, man darf nicht zu viel Wasser in die obere Haltung pumpen."
    Um relevante Mengen an Wind- und Solarstrom zu speichern, müsste man den Wasserpegel im Kanal um 20 Zentimeter heben. Treber ist skeptisch, ob das auch für extreme Wetterlagen realistisch ist, für Dürrephasen oder Regenperioden. "20 Zentimeter ist schon eine ganze Menge. Und bei bestimmten extremen Bedingungen könnte ich mir vorstellen, dass das da schon Schwierigkeiten gibt."
    Die Experten fürchten zum Beispiel, dass dann manche Schiffe nicht mehr unter den Brücken hindurch kämen - ein No Go für die Schifffahrt. Was an diesen Befürchtungen dran ist, müssen wohl noch weitere Studien zeigen. Erst dann lässt sich sagen, wie praktikabel die Idee mit den Kanälen als Pumpspeicher tatsächlich ist.