
"Ich sucht nach einem Ort zum Sterben."
Der Satz, mit dem Tomas Espedal seinen Roman "Lieben" beginnt, ist irritierend. Da gibt es ein Ich, aber zugleich einen Erzähler, der von dieser Hauptfigur mit dem Namen "Ich" berichtet. Ich ist der, der spricht, aber zugleich auch ein Anderer.
Der Satz, mit dem Tomas Espedal seinen Roman "Lieben" beginnt, ist irritierend. Da gibt es ein Ich, aber zugleich einen Erzähler, der von dieser Hauptfigur mit dem Namen "Ich" berichtet. Ich ist der, der spricht, aber zugleich auch ein Anderer.
"Ich flucht".
"Ich geht zum Wasser."
"Ich hat versucht, alleine zu leben."
"Lieben" ist der zehnte und letzte Band eines autobiographischen Großprojekts, das der norwegische Autor Tomas Espedal bereits 1999 begonnen hat. Dieses Werk kreist um die großen Themen des Daseins: Liebe, Leben, Tod, Einsamkeit, Verzweiflung, Traum, Sehnsucht – und immer wieder ums Trinken, um Rotwein oder Schnaps, als eine Form der Auslöschung oder auch Steigerung der Existenz. Das Ich ist am Ende dieser poetischen Auslotung des eigenen Lebens nur noch in der dritten Person zu haben. Es hat begonnen, sich von sich selbst zu verabschieden.
"Ich geht zum Wasser."
"Ich hat versucht, alleine zu leben."
"Lieben" ist der zehnte und letzte Band eines autobiographischen Großprojekts, das der norwegische Autor Tomas Espedal bereits 1999 begonnen hat. Dieses Werk kreist um die großen Themen des Daseins: Liebe, Leben, Tod, Einsamkeit, Verzweiflung, Traum, Sehnsucht – und immer wieder ums Trinken, um Rotwein oder Schnaps, als eine Form der Auslöschung oder auch Steigerung der Existenz. Das Ich ist am Ende dieser poetischen Auslotung des eigenen Lebens nur noch in der dritten Person zu haben. Es hat begonnen, sich von sich selbst zu verabschieden.
Das Leben als Traum
In "Lieben" erzählt Tomas Espedal vom letzten Lebensjahr dieses Ich, das sich genau dieses eine Jahr bis zum Suizid einräumt, um alles ein letztes Mal und also besonders intensiv zu spüren. Es ist eine Entscheidung für den Tod, die das Leben gewinnen will, ein Leben, das als Traum erlebt wird, als die Summe einzelner Momente, die sich wie das Flirren des Lichts zu keinem festen Ganzen fügen lassen. Sinnbildlich dafür ist der Baum, über den der Erzähler am Anfang des Romans nachdenkt:
"Jedes einzelne Laubblatt ist einzigartig. Und zugleich auch nicht, die Blätter wachsen durcheinander und umhüllen den Baum wie ein ganzheitlicher Gedanke: Wir sind Baum. Der Baum ist wir. Wir sind Frühling, Sommer und Herbst. Im Winter sind wir nicht da, dann liegen wir unter der Erde. Tot und überwuchert. Im Winter befinden wir uns in Auflösung. Im Winter sterben wir."
Die Entscheidung, mit seinem Leben Schluss zu machen, trägt "Ich" schon seit sechs Jahren mit sich herum, seit er von seiner großen Liebe verlassen wurde. In "Lieben" heißt diese Frau Vali, in früheren Romanen des Zyklus hatte sie einen anderen Namen. Aber um Namen geht es auch nicht, sondern um die Erfahrung tiefer Zusammengehörigkeit und den unüberwindlichen Schmerz der Trennung und immer wieder aufs Neue um die Unmöglichkeit, ohne Liebe zu leben.
Die Entscheidung, mit seinem Leben Schluss zu machen, trägt "Ich" schon seit sechs Jahren mit sich herum, seit er von seiner großen Liebe verlassen wurde. In "Lieben" heißt diese Frau Vali, in früheren Romanen des Zyklus hatte sie einen anderen Namen. Aber um Namen geht es auch nicht, sondern um die Erfahrung tiefer Zusammengehörigkeit und den unüberwindlichen Schmerz der Trennung und immer wieder aufs Neue um die Unmöglichkeit, ohne Liebe zu leben.
Dabei beginnt das letzte Jahr durchaus komisch. Der Entschluss, sterben zu wollen, reift in dem Moment, in dem "Ich" seinen Rasen mäht und darüber nachdenkt, nicht als jemand in Erinnerung zu bleiben, der einen ungemähten Rasen hinterlässt. Es folgt eine Urlaubswoche mit Freunden in Frankreich, die schönste Woche, die er je erlebt hat, obwohl er "kein Anhänger von Freundschaft" ist, wie es im Text heißt.
Zwischen Handke und Knausgard
An diese Woche schließt sich eine Wanderung bis nach Paris an, zusammen mit der sehr viel jüngeren, dunkelhaarigen Aka. Espedal, inzwischen 60 Jahre alt, knüpft mit diesen Passagen an den Roman "Gehen" an, mit dem er in Deutschland bekannt geworden ist, ein wildes Plädoyer fürs Wandern, das ihn in die Nähe von Peter Handke rückte – so wie er auch stets mit seinem Freund Karl Ove Knausgard als Gegenkonzept autobiographischen Erzählens verglichen wird. Wo Knausgard ausufert und einen radikalen Realismus praktiziert, setzt Espedal auf minimalistische Reduktion, eine verknappte, brüchig poetische Sprache. In jedem Buch sucht er neue Formen, mit denen er sich seinem Ideal, alles romanhaft Festgefügte hinter sich zu lassen, annähert.
Auch die Liebesgeschichte mit Aka, die von ihm schwanger wird, kann den "Ich"-Erzähler nicht von seinem Entschluss zu sterben abbringen. Sein Tod wird sich kurz vor der Geburt des Kindes ereignen. Auf diesen Moment laufen alle Erzählfäden, alle Erinnerungen, alle Handlungsweisen zu. Denn eigentlich ist auch diese neue, beglückende Liebe mit Aka nicht mehr möglich nach der einen, großen, die so schmerzlich zu Ende gegangen war. Die Vorstellung, dass er und Vali sich mit ihren jeweiligen neuen Liebsten begegnen würden, ist nicht zu ertragen.
"Jedes Mal, wenn er das dachte, und das geschah allzu oft, versetzte es ihm einen solchen Stich, dass er kurz davor war, die Besinnung zu verlieren, er bekam keine Luft mehr, der Gedanke war wirklich ein Dolchstoß im Herzen, es tat so weh, dass er staunte, wie viel Schmerz ein Gedanke verursachen konnte: Ob ein Schmerz Herz und Seele so sehr zu treffen vermochte, dass es tödlich war?"
Das unmittelbare, leibliche Empfinden ist typisch für Espedal. Denken, Erinnern, Erzählen sind nicht einfach nur sprachliche, sondern immer auch leibliche Vorgänge. Dichtung geht durch den Körper, durch Schweiß, Blut, Sperma und Erbrochenes auf der Bettdecke: Das Leben ist etwas Stoffliches, Materielles, das in der Ausrichtung auf das Sterben zu leuchten beginnt. Vielleicht ist das Sterben selbst ja langweilig, vermutet der Erzähler einmal, vielleicht ist der Tod tatsächlich bloß dazu da, das Leben in seiner Vergänglichkeit kostbar zu machen.
Offenes Ende
Espedal scheut die großen Gesten und Antworten. Was er formuliert, sind immer nur Vermutungen, die im Augenblick entstehen, die fragwürdig sind und sich gegenseitig aufheben. Er erzählt das Leben als Traum und begreift das Ich als etwas, das sich aus Erinnerungssplittern zusammensetzt – so wie der Baum aus seinen Ästen und Blättern.
Auch das Ende bleibt offen. Der Sprung von der Brücke in den kalten Fjord wird nicht mehr vollzogen, sondern im Futur antizipiert: Gleich wird es geschehen, doch zuvor endet der Roman. Es könnte auch sein, dass "Ich", mit der Ahnung, diesen Sprung ins Nichts schon in der Luft zu bereuen, darauf verzichten wird. Das Leben ist ja nur solange schön, wie man am Leben bleibt und weitererzählt wie Tomas Espedal. Allen erzählerischen und existentiellen Tricks zum Trotz.
Tomas Espedal: "Lieben"
Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Verlag Matthes & Seitz Berlin, Berlin. 118 Seiten, 18 Euro.
Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Verlag Matthes & Seitz Berlin, Berlin. 118 Seiten, 18 Euro.