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Tomáš Halík über die Kirche als Immunsystem
"Gegen die ansteckende Krankheit des Populismus"

Tomáš Halík ist katholischer Priester und Soziologie-Professor. Ein kritischer Kopf, einer der wichtigsten tschechischen Intellektuellen. Sein Wort wird in ganz Europa und darüber hinaus gehört. Tomáš Halík legt sich auch immer wieder an mit den Mächtigen - auch mit Staats- und Kirchenführung.

Von Kilian Kirchgeßner | 26.11.2019
Tomáš Halík mit erhobenem Zeigefinger
Tomáš Halík ist ein tschechischer Priester und Intellektueller (Carl Court / AFP)
Seinen Beobachtungsposten hat Tomáš Halík mitten in der Prager Altstadt, mittendrin im Touristentrubel und nur ein paar Schritte entfernt von der Moldau. Hier öffnet er die Tür zu seiner Wohnung – mit ihren Buchregalen bis zur Decke und all den Bildern und Grafiken an der Wand.
Diese Wohnung ist ein intellektueller Zufluchtsort, und es ist eine Ironie an dieser Geschichte, dass Tomáš Halík von hier aus seinen großen Gegenpol ständig im Blick hat. Er braucht nur einen Schritt aus der Tür zu treten, dann geht sein Blick weithin bis zur Prager Burg. Dort oben sitzt der tschechische Präsident – und gleich daneben, im erzbischöflichen Palais, der Kardinal Dominik Duka. Hier unten in seinem Denkerzimmer zieht Tomáš Halík die Augenbrauen zusammen.
Zwei Lager, zwei Anführer
"Da drüben wird versucht, eine konservative Allianz aufzubauen - eine Allianz der osteuropäischen Episkopate, die sich gegen die Reformen von Papst Franziskus wendet und populistische Politiker unterstützt."
Besuch des Erzbischofs von Prag und Primas von Böhmen, Dominik Jaroslav Kardinal Duka beim Karlsfest in Aachen 2018
Erzbischof Dominik Duka (imago stock&people / Rudolf Gigler)
Einen der Drahtzieher dieser Allianz sieht Tomáš Halík im Prager Erzbischof Dominik Duka. Die Gegnerschaft dieser beiden Männer, Halik und Duka, spiegelt sich in der ganzen katholischen Kirche in Tschechien – zwei Lager mit zwei charismatischen Anführern. Auf der einen Seite: Dominik Duka, Erzbischof – ein Mann, der sich gern volkstümlich gibt, der gut kann mit der weltlichen Macht und so allerlei Konflikte beigelegt hat, die seit der politischen Wende zwischen Staat und Kirche schwelten. Und auf der anderen Seite Tomáš Halík, Soziologieprofessor an der Karlsuniversität in Prag, Priester und katholischer Theologe, einst Mitglied der verfolgten Untergrundkirche.
Heute gilt er in Tschechien als Vorkämpfer des intellektuellen Flügels der Katholiken. Wenn Dominik Duka gegen die Aufnahme von Flüchtlingen Position bezieht, wenn er der populistischen Regierung in Prag das Wort redet, dann meldet sich Tomáš Halík mit großer Wahrscheinlichkeit kurz darauf mit einer Gegenrede.
"Es gibt bestimmte Situationen, in denen die Kirche eine prophetisch-kritische Haltung einnehmen, sich gegen die Meinung der Regierung und der Mehrheit stellen und sich vom Evangelium leiten lassen muss. Mein Gewissen sagt mir: Ich muss mich trotz der anderslautenden öffentlichen Meinung positionieren. Ich gerate so natürlich in gewisser Weise in Opposition zu einigen kirchlichen Autoritäten. Aber viele Christen danken mir und sagen: Es ist sehr gut, dass zumindest einer in unserer Kirche die Position von Papst Franziskus unterstützt."
"Sinn des Konzils wurde nicht verstanden"
Woher aber kommt es, dieses gespaltene Verhältnis vieler mittel-osteuropäischer Christen zum Papst und seinem Reformkurs? Tomáš Halík stützt sein Gesicht in die Hände und schließt die Augen, ein paar Sekunden denkt er konzentriert nach, dann schaut er auf und holt aus zu einer Antwort, die bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil zurückführt.
"Das Konzil wurde in Mittel- und Osteuropa unter den kommunistischen Regierungen nur sehr oberflächlich rezipiert. Die meisten Priester und natürlich auch Laien hatten keine Möglichkeit, jene Quellen zu studieren, die den intellektuellen Kontext des Konzils ausmachen. Die Reformen wirkten sehr oberflächlich hier, wie formale Anordnungen von oben: Wir drehen jetzt den Altar in Richtung des Volkes, wir führen die Nationalsprache ein. Aber der Sinn des Konzils wurde nicht verstanden."
Konservative gegen Franziskus
Das, was derzeit in den katholischen Kirchen Mitteleuropas passiere, sei letztlich eine Folge aus dem Unverständnis dessen, was das Zweite Vatikanische Konzil mit der Öffnung zur Welt wollte, so Tomáš Halík.
Papst Franziskus spricht bei einer Neujahrsmesse im Petersdom im Vatikan
Eine Opposition gegen den Papst und Zustimmung zu den populistischen Regierungen beobachtet Halik in Osteuropa (Andrew Medichini / AP / dpa)
"Nun radikalisiert Papst Franziskus einige Reformen des Konzils. Dagegen bildet sich eine Opposition. In einigen Ländern verbindet sich diese Opposition gegen den Papst mit einer Zustimmung zu den populistischen Regierungen. Das ist sehr offenkundig in Polen, in Ungarn – und solche Versuche gab es auch in der Slowakei, wo allerdings die Unterstützung der Kirche für einen Kandidaten nicht aufging. Denn der war, auch wenn er sich jetzt als konservativer Katholik zu stilisieren versuchte, früher schlicht und ergreifend Kommunist."
"Das treibt die jungen Leute massenhaft aus der Kirche"
Die Partnerschaft von Kirche und Staat führe dazu, dass die Kirche mittelfristig an Einfluss verliere. Er verweist auf Zahlen aus Polen, dem traditionell katholischen Land: Dort sagte der Erzbischof von Krakau unlängst, Homosexuellen heute seien vergleichbar mit dem kommunistischen Terror vor dem Jahr 1989. Solche absurden Äußerungen, sagt Halik, trieben die jungen Leute massenhaft aus der Kirche – selbst in Polen sei die Religion nur noch 16 Prozent der jungen Leute wichtig.
Die Trauerfeier für Karel Gott - mit Bischof und Präsident
Und in Tschechien? Da bahne sich auch eine Allianz von Thron und Altar an, von kirchlicher und weltlicher Macht, fürchtet Tomáš Halík. Ein Beleg ist für ihn die Trauerfeier für den Schlagersänger Karel Gott in der St.-Veits-Kathedrale vor einigen Wochen: Vereint saßen da der Erzbischof, der Staatspräsident und der Regierungschef in der ersten Reihe, etliche prominente Sänger traten auf, das Fernsehen übertrug live – und Tomáš Halík, der das Spektakel kritisierte, bekam viele gehässige Mails.
"Ich habe überhaupt nichts gegen Karel Gott. Aber worauf ich reagiert habe, war die Idee, diesem populären Sänger ein Staatsbegräbnis auszurichten – Staatstrauer in der Kathedrale wie für einen König. Ich finde, aus der Kathedrale sollte kein Saal werden, in dem um beliebte Sänger getrauert wird. Durch einen komischen Zufall, ich würde sogar sagen: durch Gottes Fügung, wurden in einer Woche zwei Menschen in die Ewigkeit abberufen: Vlasta Chramostova, eine Schauspielerin, eine Dissidentin, die lange nicht auftreten durfte. Sie war eine Art Gewissen der Nation, hat viel mit dem späteren Präsidenten Vaclav Havel zusammengearbeitet. Und dann eben Karel Gott. Als würden der Nation zwei Spiegel vorgehalten. Die Mehrheit hat sich – was ich durchaus verstehen kann – eher mit jenem Star identifiziert, der in kommunistischer Zeit Kompromisse gemacht hat, als mit jener, die eine mutige Dissidentin war."
Synodaler Prozess in Tschechien?
Die Kirche aber dürfe sich nicht vor den Karren von populistischen Politikern spannen lassen, die mit einem Staatsbegräbnis Punkte bei den Wählern sammeln wolle. Aber hat die katholische Kirche überhaupt eine andere Chance als die enge Zusammenarbeit - in einem Land, in dem sich überhaupt nur gut zehn Prozent der Bevölkerung zu ihr bekennen? Tomáš Halík widerspricht: Es gebe einen großen Anteil von Suchenden – und die fänden in der derzeitigen Kirche, die immer noch stark von der Volksfrömmigkeit geprägt sei, viel zu wenige Orientierungspunkte.
"Ich schaue mit großem Interesse und viel Sympathie auf die Entwicklung der katholischen Kirche in Deutschland, auf den synodalen Prozess, bei dem sich Laien und Priester treffen und eine Vision für die Zukunft der Kirche diskutieren. Ich bin überzeugt: Ein solcher Prozess sollte auch bei uns stattfinden. Und wenn die Bischöfe nicht zu Initiatoren eines solchen Prozesses werden, so gibt es noch andere Strukturen, die ihn einleiten könnten – etwa die Christliche Akademie, an deren Spitze ich stehe und die ihre Zentren in allen größeren Städten des Landes hat. Wir versuchen diejenigen einzuladen, die am Rand der Kirche stehen, aber mit dem Geist des Evangeliums sympathisieren. Diese Struktur könnte Träger von so etwas wie einem synodalen Prozess werden."
"Allianz gegen politisch-ideologische Infektionen"
Und dann, zum Schluss, kommt Tomáš Halík noch einmal auf die Politik zu sprechen. Er deutet auf ein Foto, das ihn mit Vaclav Havel zeigt, im Flur gleich neben der Eingangstür hängt es. Derzeit werde er ständig zu Diskussionen anlässlich des 30. Jahrestags der Samtenen Revolution eingeladen, die in der damaligen Tschechoslowakei der kommunistischen Herrschaft ein Ende machte. Alle wollten eine Bilanz ziehen. Aber die, sagt Tomáš Halík, gebe es nicht ohne einen Blick in die Zukunft.
"Das Aufkommen des Populismus ist eine gefährliche, ansteckende Krankheit. Es ist nötig, dass es Institutionen gibt, die wie ein Immunsystem wirken. Universitäten, eine freie Presse und die Kirche können dieses Immunsystem sein. Sie sollten eine Allianz bilden gegen diese politisch-ideologischen Infektionen in der Gesellschaft."
Zuletzt erschienen: Tomáš Halík: Theater für Engel - Das Leben als religiöses Experiment, Freiburg / Breisgau 2019, Herder, 240 Seiten, 22 €