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Tragik der Armut in knallbuntem Klamauk

Regisseur Christan Stückl inszeniert am Münchner Volkstheater die "Geschichten aus dem Wiener Wald" als Knallchargenrevue. Dabei übersieht er, dass Autor Ödon von Horváth es mit seinem Drama der kleinen Leute durchaus ernst meinte.

Von Rosemarie Bölts | 26.03.2013
    Der Wiener Wald ist eine Fototapete, davor ragt dichtes Schilf empor. Und wo Schilf ist, muss auch Wasser sein. Hier also eine Pfütze, mal als illusionärer Tümpel, mal als ach so blaue Donau. Das Wasser allerdings ist, im Gegensatz zum Wiener Wald, echt. Und so fragt man sich schon zu Beginn als Zuschauer irritiert, wo der scharfsinnige Menschenbeobachter Horváth mit seinem Stück gelandet ist.

    Wir sind im Münchner Volkstheater, und Regisseur Christian Stückl hat mal wieder maßlos übertrieben. Aufgedonnert kommen seine Figuren auf dieser Schaukastenbühne daher, grell geschminkt und wild entschlossen, mit Gebrüll und Getöse auch noch der letzten Zuschauerreihe klar zu machen, wo der Hammer hängt. Der androgyne Aufschneider Alfred, seine böse Mutter mit festgezurrtem Kopftuch und Sonnenbrille, die kindliche Marianne mit ihren roten Gretelzöpfen im braven Blüschen, der ehrbare Spießer Oskar in seiner blutigen Metzgerschürze, die resolute Prostituierte Valerie, die noch jeden an ihren opulenten Busen drückt, der Zuhälter Ladislaus, der Jus-Student Erwin, der am liebsten für seine Fascho-Wehrsporttruppe im Wald rumballert, Mariannes "Pappa" Leopold mit langem Grauhaar und alberner Fliege als verhinderter "Zauberkünstler" mit seinen saublöden Sprüchen, Schulter klopfend von Mann zu Mann:

    "Niemals die Autorität verlieren! Abstand halten! Kopf hoch. Daumen runter. Die Todgeweihten grüßen nicht. Du schaffst das!"

    Ist ja in Ordnung, den Text auf heute zu bürsten. Hat ja vielleicht auch was, statt des Horvathschen Wiener Walzertakts über weite Strecken so was wie ein Musical draus zu machen, bei dem die Schauspieler zu dem - übrigens echt famosen - Live-Pianisten dissonanten, süßlichen Pop singen, ehe – eine ganze Weile später - so etwas wie die Tragik von Armut und Kleinbürgerengstirnigkeit anklingt.

    Denn eigentlich ging es Horváth ja darum: Bei aller Dummheit und allen Stereotypen zum Trotz das Menschliche der Protagonisten und deren Verstrickung zu zeigen. Die Geschichte der unschuldigen Marianne zu erzählen, die von ihrem Vater dem stieseligen Metzger Oskar versprochen ist, sich aber in den Blondschopf Alfred verknallt, ein Kind bekommt, in die Prostitution rutscht, nach dem Tod des Kindes aber doch noch von Oskar gerettet, das heißt, geheiratet wird:

    "Also, Oskar, am liebsten täte ich dir jetzt was sagen."
    "Sag's nur, auch wenn ich es nicht vertragen könnte. Man soll keine Geheimnisse voreinander haben."
    "Ich weiß nicht, ob das Liebe ist, was ich zu dir empfinde. Also, manchmal, da glaube ich, dass das nicht Liebe ist."
    "Du denkst zuviel! Eine Frau soll überhaupt nicht soviel denken."
    "Ich habe vor dir eine große Hochachtung, ja, eine große Hochachtung. Ich schätze dich sehr!"
    "Gut, das ist doch die Hauptsache. So, und jetzt gehn wir schwimmen."

    Schon wieder müssen die Protagonisten ins Wasser. Und dann fängt es auch noch an zu regnen. Plakativer geht's nimmer. Rote Kussmünder und kniekurze, wippende Faltenröckchen tragen die Frauen, mit gefärbten Haartollen und geschminkten Augen präsentieren sich die Strizzis. Und am Ende sind alle plitschnass.

    Der knallbunte Klamauk soll wohl Spaß bereiten. Nur hat der Regisseur Christian Stückl übersehen, dass der Autor Ödön von Horváth es mit seinem Stück durchaus ernst meinte. Und so ist aus dem Drama der kleinen Leute eine schrille Knallchargenrevue geworden, bei der sich der Originaldialog zwischen Marianne und Alfred wie ein Kommentar zur Inszenierung des Stücks anhört:

    "Keiner darf, wie er will."
    "Nee, nee, keiner will, wie er darf. "
    "Keiner darf, wie er kann."
    "Ach ja? Ich glaube eher, keiner kann, wie er soll."