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Transplantationsmedizin
Postmortale Organspenden auf einem Tiefstand

Bedenken von Angehörigen, gesetzliche Rahmenbedingungen und eine mangelnde Identifizierung von potenziellen Organspendern - das sind einige der Gründe, warum die Zahlen von Organspenden zurückgehen. Ändern soll dies ein geplantes Gesetz. Diskutiert wird noch über die Einführung der sogenannten Widerspruchslösung.

Von Christina Sartori | 13.11.2018
    Ein Portemonnaie mit verschiedenen Personaldokumenten, darunter ein Organspendeausweis
    Bei der postmortalen Organspende steht Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern schlecht da (picture alliance/ Imagebroker)
    2017 haben die Organspenden in Deutschland einen neuen Tiefstand erreicht. Professor Bernhard Banas, Leiter des Transplantationszentrums Regensburg und Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft nennt Zahlen: "Wir hatten im ganzen Jahr 2017 nur 797 Organspender bezogen auf über 930.000 Todesfälle. Das ist ein Rückgang von 1.300 Organspendern in 2010."
    Bei der postmortalen Organspende steht Deutschland im Vergleich mit anderen europäischen Ländern schlecht da. Niederlande, Belgien, Spanien - in diesen und anderen Ländern hat es bezogen auf die Einwohnerzahl deutlich mehr Organspenden gegeben als in Deutschland.
    Schlechte Rahmenbedingungen für Organspende
    Nach Meinung von Bernhard Banas liegt das an mehreren Faktoren: "Wir erkennen potentielle Organspender schlecht, wir haben Angehörige die Bedenken haben und eine Organspende nicht freigeben, wir prozessieren Organspender schlecht und wir haben gesetzliche Rahmenbedingungen, die eben weniger Organspenden möglich machen, als woanders der Normalfall ist."
    Vor kurzem erst stellte eine Studie fest, dass in den vergangenen Jahren deutlich weniger hirntote Patienten als mögliche Organspender im Krankenhaus erkannt wurden als früher.
    "Wir müssen Organspender ja auf Intensivstation so lange behandeln, bis der Hirntod dann dokumentiert und festgestellt ist und der Organspende-Prozess beginnen kann. Wenn wir das nicht schaffen, diese Patienten überhaupt auf die Intensivstation zu bringen und zu behandeln, um Hirntoddiagnostik machen zu können, ist auch gar keine Organspende möglich."
    Ein neues Gesetz könnte viel verändern
    Deswegen erhofft sich Bernhard Banas viel von dem geplanten Gesetz der Bundesregierung zur Verbesserung der Organisation von Organspenden.
    "Es wird ja die Zusammenarbeit und Strukturen bei der Organspende verbessern, es wird Transplantationsbeauftragte verpflichtend einrichten, die für jedes Krankenhaus, für jede Intensivstation dann klar Ablaufregeln erstellen. Die Krankenhäuser werden besser finanziert werden, dass die nicht Defizite machen mit einer Organspende, und die Angehörigen werden mehr Informationen auch bekommen."
    Was bewirkt die Widerspruchslösung?
    Professor Christian Hugo, Leiter des nephrologischen Bereichs der Uniklinik Dresden und Generalsekretär der Deutschen Transplantationsgesellschaft, hofft außerdem, dass in Deutschland künftig die Widerspruchslösung eingeführt wird, die in mehr als 20 Ländern Europas gilt: Dort gilt man als Spender, wenn man nicht aktiv etwas anderes angegeben hat. Kritiker befürchten eine Bevormundung der Bürger.
    "Dazu sage ich, dass im Rahmen dieser Widerspruchslösung nicht eine Bevormundung passieren soll, sondern es soll eine Befragung erfolgen, in dem sich dann der jeweilige Bürger erklären muss. Das heißt, er wird nicht bevormundet, er muss natürlich vorher aufgeklärt werden und er kann sich dann völlig frei entscheiden, er kann sich mit einem Nein entscheiden, mit einem Ja entscheiden - aber er muss sich entscheiden."
    80 Prozent sehen Organspenden positiv
    Nach Meinung von Christian Hugo würde die Widerspruchslösung auch die Angehörigen von möglichen Spendern entlasten:
    "In der derzeitigen Situation wird die ganze Verantwortung auf die Angehörigen übertragen, weil meistens ja der Verstorbene sich zu Lebzeiten nicht geäußert hat, was er gerne möchte. Also wird den Angehörigen auf-oktroyiert, dass sie sich jetzt entscheiden müssen für ein Ja oder ein Nein. Und das ist genau das Hauptanliegen, das man mit einer Widerspruchslösung lösen würde."
    Widerspruchslösung bedeutet nicht, dass Angehörige gar nichts mehr zu sagen haben – aber sie müssen nicht mehr alleine die komplette Entscheidung treffen, weil eben jeder sich in irgendeiner Form entscheiden muss. Dazu erhofft sich Christian Hugo aber auch, dass die Grundeinstellung der Gesellschaft sich durch die Widerspruchslösung ändert – und eine Organspende dann nicht mehr die Ausnahme, sondern der Normalfall sein wird.
    "Man könnte noch unterstreichen, dass 80 Prozent der Bevölkerung der Organspende positiv gegenüber stehen und ein Organ empfangen würden. Man muss sich überlegen. Warum dann nicht klar erklären: Auch ich würde dann ein Organspender werden wollen - denn ich will auf der anderen Seite ja auch im Zweifelsfall ein Organ empfangen."
    Schon jetzt gab es in diesem Jahr mehr postmortale Organspenden als in 2017. Doch die Experten sind vorsichtig: Keiner weiß, ob der Trend anhalten wird.