Bis 2030 sollen die Emissionen an Treibhausgasen in Deutschland um 65 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 sinken. So steht es im Klimaschutzgesetz. Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden, also kein CO2 mehr ausstoßen. Wie sehr das Land seinem Ziel näher kommt, überprüft der Expertenrat für Klimafragen (ERK) alle zwei Jahre.
Der Rat ist ein unabhängiges wissenschaftliches Gremium aus fünf Mitgliedern verschiedener Disziplinen und prüft die Zahlen des Umweltbundesamtes, bewertet das Klimaschutzprogramm sowie die Sofortprogramme für die Sektoren Gebäude und Verkehr. Nun hat er zum zweiten Mal seinen Prüfbericht veröffentlicht.
Am selben Tag hat sich die Bundesregierung auf eine Reform des Klimaschutzgesetzes geeinigt. Künftig soll das Einhalten von Treibhausemissionszielen nicht mehr rückblickend und nach Sektor kontrolliert werden. Umweltverbände kritisieren die Änderung.
Wie haben sich die Emissionen in Deutschland im Jahr 2023 verändert?
Die CO2-Emissionen sind im Jahr 2023 um rund zehn Prozent zurückgegangen, also von 750 auf 674 Millionen Tonnen. Das ist laut Expertenrat für Klimafragen der höchste prozentuale Rückgang binnen eines Jahres seit 1990.
Die größte Reduktion, um 20 Prozent, gab es bei der Energiewirtschaft. Industrie und Gebäude kamen auf ein Minus von jeweils acht Prozent. Allerdings sind die Daten für den Gebäudesektor zwar plausibel, aber nicht eindeutig, weil sie auf Schätzungen beruhen. Nur der Verkehrssektor verfehlte sein Ziel um 12,8 Millionen Tonnen CO2 und kam nur auf einen Rückgang von einem Prozent. Der Sektor überschritt damit die zulässige Jahresemissionsmenge zum dritten Mal in Folge. Bereits im Vorjahr war der Anteil des Verkehrs an den Gesamtemissionen von etwa 13 Prozent im Jahr 1990 auf fast 20 Prozent im Jahr 2022 gestiegen.
Die gute Nachricht: Zum ersten Mal lag der Anteil an Strom aus erneuerbaren Energien bei über 50 Prozent.
Was sind die Gründe für die Reduktion der Treibhausgase?
Den Grund für den Rückgang der Treibhausgase sieht der Expertenrat nicht in der Klimapolitik, sondern in der generell schwachen Wirtschaftsleistung in Deutschland. So habe etwa ein starker Produktionsrückgang für eine geringere Stromnachfrage gesorgt.
Der geringere Energieverbrauch im Gebäudesektor wird mit dem veränderten Heizverhalten seit den gestiegenen Energiepreisen durch den Krieg in der Ukraine erklärt, aber auch mit der milden Witterung. Ohne diese Voraussetzungen, so der Bericht, hätten die Emissionen deutlich höher gelegen.
Beim Verkehr ist der Emissionsrückgang auf weniger Straßengüterverkehr zurückzuführen und nicht etwa, weil mehr Waren per Bahn transportiert worden wären. Beim Personenverkehr wurden mehr Treibhausgase als noch 2022 ausgestoßen.
Welche Maßnahmen schlägt der Expertenrat vor?
Der Expertenrat hält für die Sektoren Gebäude und Verkehr ein Sofortprogramm für nötig. Das ergebe sich aus dem Gesetz. „Die im Klimaschutzprogramm beschlossenen Maßnahmen für Gebäude und Verkehr reichen nicht aus, um die sektoralen Ziele zu erreichen“, sagt die stellvertretende Vorsitzende, Brigitte Knopf. „Vor allem im Verkehrssektor verbleibt eine erhebliche Erfüllungslücke bis 2030.“
Bereits in seiner Stellungnahme zum Klimaschutzprogramm 2023 merkte der Expertenrat an, dass auch wenn das Programm in die Tat umgesetzt werde, bis 2030 eine Lücke von über 200 Millionen Tonnen CO2 bliebe.
Durch die Kürzungen im Klima- und Transformationsfonds (KTF) werde der finanzielle Spielraum für Klimaschutzmaßnahmen verkleinert. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen Jahr fehlten zunächst 60 Milliarden Euro im Haushalt für Klimaschutzförderung.
In der Vergangenheit hat sich der Expertenrat für mehrere Klimaschutzmaßnahmen ausgesprochen: eine frühere Erhöhung des CO2 Preises, Vorziehen der Obergrenzen im nationalen Emissionshandel, Abbau klimaschädlicher Subventionen wie dem Diesel- und Dienstwagenprivileg sowie ein Tempolimit.
Worauf hat sich die Bundesregierung beim Klimaschutzgesetz geeinigt?
Kurz nach der Veröffentlichung des Prüfberichts hat sich die Bundesregierung auf eine Reform des Klimaschutzgesetzes geeinigt. Statt die jährlichen Ziele in einzelnen Sektoren wie Verkehr zu kontrollieren, sollen nur noch Klimaziele insgesamt eingehalten werden. Wenn sich in zwei aufeinander folgenden Jahren abzeichnet, dass die Bundesregierung bei ihrem Klimaziel für das Jahr 2030 nicht auf Kurs ist, muss sie nachsteuern.
"Das neue Klimaschutzgesetz bindet die Bundesregierung erstmals, konkrete Klimaschutzmaßnahmen auch für die Zeit 2030 bis 2040 aufzustellen, erneuert die Verbindlichkeit jedes Sektors und wird CO2-Einsparung intelligenter messen", sagt Julia Verlinden (Grüne). "Mit Blick auf das wesentlich strengere Klimaziel 2040 muss besonders im Bereich Verkehr mehr passieren."
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte damit gedroht, dass nur durch Wochenend-Fahrverbote für Autofahrer die Klimaziele im Verkehrssektor einzuhalten seien. Die Koalitionspartner SPD und Grüne hatten diese Möglichkeit zurückgewiesen. Die FDP betont nach der Einigung dennoch, dass es Fahrverbote nicht geben werde.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kritisiert die Reform: "Statt Verbindlichkeit und Zuständigkeit gibt es jetzt geteilte Verantwortungslosigkeit, sagt der Vorsitzende Olaf Bandt. "Dem Gesetz wurden entscheidende Zähne gezogen. Klimaschutz soll ungestraft auf die lange Bank geschoben werden."
Der WWF Deutschland begrüßt zwar, dass die langfristigeren Ziele bis zum Jahr 2040 in stärker in den Fokus rücken, wirft der Bundesregierung dennoch Kurzsichtigkeit vor, da die Bereiche Verkehr und Gebäude in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr nachsteuern müssen.
"Damit ist das Klimaschutzgesetz seines Kerns beraubt worden", so Viviane Raddatz, Klimachefin des WWF Deutschland. "Ein entkerntes Klimaschutzgesetz wird nicht die Kraft entwickeln, die zukünftige Bundesregierungen brauchen, um das Verfassungsziel zum Klimaschutz sinnvoll zu erfüllen – und auch nicht, um sie vor diesbezüglichen rechtlichen Konsequenzen zu bewahren."
Sie befürchtet Strafzahlungen in Milliardenhöhe, wenn die Klimaziele der Europäischen Union verfehlt werden, also eine Reduktion um 55 Prozent gegenüber 1990 bis zum Jahr 2030 in allen Sektoren. "Wir brauchen ein starkes Klimaschutzgesetz, das alle Sektoren in die Pflicht nimmt, um Planbarkeit und Klarheit für alle Bereiche zu schaffen", so Raddatz.
Das Gesetz sieht zudem ein Solarpaket vor, das den Ausbau der Sonnenenergie fördern soll, indem Bürokratie abgebaut und der Betrieb von Balkonkraftwerken oder die Nutzung von Photovoltaik-Strom in Mehrfamilienhäusern vereinfacht wird. Außerdem soll es mehr Möglichkeiten geben, Solaranlagen auf Äckern und Felder aufzustellen. Eine finanzielle Förderung der deutschen Solarindustrie ("Resilienzbonus") ist am Widerstand der FDP gescheitert.
Volker Quaschning, Energieexperte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, lobt zwar die Solarförderung, bezweifelt aber, dass damit die geschaffenen Probleme gelöst werden. So sei es immer schwieriger, größere Solaranlagen in die Netze zu intergrieren. "Darauf zu hoffen, dass der Solarboom die Versäumnisse im Verkehr ausgleicht, ist eine ziemliche Illusion", so Quaschning. Auch ein Windrad ersetze kein Dieselauto.
"Im Verkehr tut sich nach wie vor nichts", sagt er. "Das wird uns früher oder später auf die Füße fallen." Im vergangenen Jahr seien 900.000 Öl- und Gasheizungen eingebaut worden. Damit seien fatale Entscheidungen getroffen worden, die schwer oder gar nicht mehr zu korrigieren seien. "Man müsste jetzt die richtigen Weichen stellen." Mit dem neuen Klimaschutzgesetz mogle man sich bloß bis zur nächsten Bundestagswahl durch. "Aber dann ist die Klimaneutralität bis 2045 eigentlich nicht mehr erreichbar."
leg, dpa