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Trio Cherry Glazerr
Junge Wilde aus LA

"Apocalipsticks" hieß das wütende Werk der damals 19-Jährigen Clementine Creevy aus Los Angeles, die energisch zwischen Provokation und Politik hin und her tobte. Mit ihrem aktuellen Album "Stuffed & ready" ist die Wut nicht verschwunden, aber um Selbstreflexion angereichert.

Von Anja Buchmann | 14.04.2019
    Ein Frau in einem hellen Kleid ist grell geschminkt. Sie hebt ein Bein. Im Hintergrund stehen zwei Männer vor einer weißen Wand.
    Mit 15 Jahren begann Clementine Creevy, selbst geschriebene Punksongs ins Internet einzustellen. (Pamela Littky)
    Musik: "Told you I’d be with the guys"
    Clementine Creevy, Frontfrau, Kopf und Bauch der Band Cherry Glazerr, ist zwar nicht in einer Musik-Familie aufgewachsen, hat dort aber sehr viel Unterstützung erfahren für ihre Leidenschaft. Die schon sehr früh begann.
    "Ich glaube, ich habe sehr viele merkwürdige Songs gesungen, die ich selbst erfunden habe - singt: "One day my shoes are gonna be red" - einfach verrückte Sachen."
    Außerdem wurde sie als Kind schon auf ihr späteres Tourleben vorbereitet. Natürlich nicht bewusst, aber die Jahre des Reisens mit ihrer Mutter, bevor sie schließlich in LA landeten, haben Clementine Creevy sehr geprägt.
    "Wir waren einander sehr ähnlich. Meine Mutter war alleinerziehend, sie war sehr kreativ und wir sind sehr oft umgezogen – und ich habe das geliebt. Ich mochte das Umziehen, in all diesen großartigen Städten zu sein. Großenteils lebten wir in Chicago, New York und LA. Ich habe gelernt, wie es ist, auf Achse zu sein, das war normal für mich."
    Musik: "Teenage Girl"
    Teenage Girl, von Creevys erster EP unter dem Namen Cherry Glazerr. Der Bandname bezieht sich übrigens auf die, nur etwas anders geschriebene, Radiomoderatorin Chery Glazer vom US-Radiosender KCRW im Bundesstaat Kalifornien. Damals machte sie noch schrägen DIY-Gitarrenrock, der Gesang leicht verhallt im Hintergrund. Als sie die EP "Papa Cremp" veröffentlichte, war sie tatsächlich erst 15 oder 16 Jahre alt, erinnert sich Creevy. Zunächst hatte sie ein paar Songs auf Soundcloud hochgeladen, dann interessierte sich das kalifornische Independent Label "Burger Records" für sie und brachte 2013 besagte EP und 2014 das Album "Haxel Princess" heraus.
    Musik: "Haxel Princess"
    Als Clem Grevvy zehn Jahre alt war, begann sie Gitarre zu spielen. erst auf der A-, dann der E-Gitarre. Zunächst hatte sie eine Rickenbacker, die sie auch auf ihrem vorletzten Album "Apocalipstick" noch besang, und zwar im Song "Nuclear bomb". Dort heißt es: "Black, like a nuclear bomb. We share the same blood."
    Musik: "Nuclear bomb"
    Aber auch wenn Clementine Creevy und ihre Rickenbacker-Gitarre das gleiche Blut teilen – sie hat sich von ihr getrennt. Und spielt stattdessen eine Strat.
    Rickenbacker und Strat
    "Die Rickenbacker ist wunderschön, aber auch ein bisschen klirrend und dünn im Sound. Diese Gitarre war von 1966 und irgendwann schwierig zu spielen. Insbesondere wenn ich sehr hart geschlagen habe, hatte ich Probleme mit dem Sound, sie klang dann merkwürdig. Also habe ich mein Geld zusammen genommen und mir die Standard-Strat gekauft, da ich mehr mit dem Klang experimentieren wollte und ein Instrument brauchte, das auch auf Tour langlebiger und widerstandsfähiger ist. Ich mag sie sehr, sie ist klar, kräftig und laut. Sie hat den perfekten harten und sauberen, cleanen Ton, den ich sehr mag. Es passt einfach gut zu dem, was ich mache; oft ist es ja eine Art von Punkrock."
    Die Strat ist jetzt ihre neue große Liebe. Clementine Creevy scheint ein sehr inniges Verhältnis zu ihren Gitarren zu haben.
    "Letzte Nacht habe ich geträumt, meine Strat sei geklaut worden. Das war furchtbar traurig. Also: Jetzt über sie nachzudenken und sie ist noch da, macht mich sehr glücklich."
    Musik: "Stupid Fish"
    "Stupid Fish" aus dem aktuellen Album "Stuffed & Ready" von Cherry Glazerr, veröffentlicht im Februar dieses Jahres beim renommierten Indie-Label Secretly Canadian, auf dem Musiker und Bands wie Antony & the Johnsons, Yeasayer oder Animal Collective ihre Alben rausgebracht haben. Auch Cherry Glazerrs Vorgänger "Apocalipstick" wurde hier veröffentlicht; die Labelmitarbeiterinnen und -mitarbeiter hatten eine Show von Cherry Glazerr besucht und anschließend den Platten-Vertrag mit ihr gemacht. Ein Album, auf dem sie zeigt, was sie denkt, auch wo sie politisch steht, während das neue "Stuffed & Ready" mehr sie als Person in den Vordergrund stellt.
    "Apocalipstick" und "Stuffed & Ready"
    "Es ist direkter, einfacher, härter und mehr geradeaus. Ich finde, das Album ist in vielerlei Hinsicht besser: Ich habe in den Jahren gelernt, noch besser zu hören und auch auszudrücken, was ich will im Studio. Der Produzent Carlos hat mir dabei sehr geholfen. Wir haben eine enge Beziehung, er hat schon meine letzten Alben produziert und wir hatten viel Spaß. "Apocalipstick" war dreckiger, ungeordneter, mehr am Maximum. Ich war an dem Punkt, mich als Musikerin zu beweisen, gegenüber mir selbst und gegenüber anderen Menschen, ich war sehr fleißig, habe in den Texten viele Metaphern benutzt und… Bei "Stuffed and ready" habe ich mir einfach Zeit genommen, zu begreifen, wer ich bin, mich anzuerkennen und mir und anderen nicht mehr soviel beweisen zu müssen. Ich wollte die Songs einfach so lassen, wie sein wollten."
    Musik: "That’s not my real life"

    "That‘s not my real life: In diesem Song geht es um das merkwürdige Phänomen, dass Du dich selbst wie eine Werbung fühlst, dass Du als Mensch sozusagen kommerzialisiert wirst. Das fühlt sich seltsam und neurotisch an. Und natürlich – manchmal schmeichelt es mir auch, dass so viele Menschen unsere Musik mögen und uns auf Instagram folgen, das ist schon auch cool. Aber Instagram als Format ist schon schräg. Man assoziiert damit einfach "Zuckerbergische Silicon Valley-Freaks" oder so."
    Social Media, Kontrolle und die amerikanische Gesellschaft
    Natürlich ist auch Creevy auf Instagram aktiv: Über 50.000 Follower hat sie auf der Plattform, die sie regelmäßig mit neuen Tour-Fotos, Bildern im Studio oder mit der Gitarre vor ihrem Haus versorgt. Und, wie sie schon sagte: Bei aller Kritik an dem Format - es schmeichelt ihr auch, von vielen Menschen geschätzt zu werden. Ein innerer Widerspruch, den Clem Creevy auch nicht auflöst jedoch teilweise in ihren Songs thematisiert: Sie bedient selbst die sozialen Medien, deren Wirkung sie kritisiert. Vielleicht kommt daher auch ihre Wut, die sie musikalisch verarbeitet.
    "Wir sind wütend, wenn wir die Kontrolle verloren haben. Das ist interessant, denn: Warum müssen wir uns kontrollieren? Wofür brauchen wir diese Sicherheit? Ich habe einiges darüber geschrieben: Dieses Kontrollieren-Wollen und die Wut, die damit verbunden ist, die Selbst-Sabotage, die von dem menschlichen Gefühl kommt, sich klein und unterlegen zu fühlen. Und das wiederum kommt zu einem großen Teil aus der amerikanischen Gesellschaft, dort lernen wir das. Und das prägt uns und unsere Art, Entscheidungen zu fällen."
    Die amerikanische Gesellschaft, die immer noch ihren "Alles ist möglich"-Traum weiter bedient: Man kann aufsteigen, wenn man nur hart dafür arbeitet und besser ist als andere.
    "Die amerikanische Gesellschaft bringt uns dazu, uns immer mit anderen zu vergleichen. Dabei sollten wir uns eher an Stimmungen und Atmosphären von Schönheit orientieren. Aber nein, wir vergleichen uns immer mit anderen und in Wirklichkeit sind wir doch alle einzigartig und sollen genau so sein, wie wir sind. Eine merkwürdige Realität ist das manchmal."
    Musik: "Distressor"
    Die Wut der Clemetine Creevy, die sie in kräftigen verzerrten Gitarrenriffs zum Ausdruck bringt, hat natürlich viele Nährstoffe. Einer davon ist die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten. Ihr Album "Apocalipstick" hat Cherry Glazerr 2017 am Tag der Vereidigung des US-Präsidenten veröffentlicht. Ein kleiner Protest gegen die Wahl eines Staatsoberhaupts, das Clem Creevy mit aller Deutlichkeit und Wut ablehnt. Auch wenn sie für die nächsten Wahlen im Jahr 2020 derzeit keine großen Hoffnungen hat, dass sich etwas ändert.
    Wut hat viele Gesichter
    "Ich wäre wohl naiv, wenn ich sagen würde: Trump wird nicht bleiben. Denn er hat diese staatliche TV Propaganda-Maschine Fox News kreiert, die viele Menschen als hauptsächliche Nachrichten-Quelle nutzen und dadurch eine Art Gehirnwäsche erfahren. Die traurige Realität ist, dass er viele Unterstützerinnen und Unterstützer besitzt und eine fast diktatorisch geführte Festung durch sie aufgebaut hat."
    "Juicy Socks" ist ein Song, in dem Creevy sich gegen Donald Trump wendet. Eine Textzeile lautet: ‚I don't want nobody hurt - but I made an exception with him‘.
    "Dieser Song ist über unseren Präsidenten und das Gefühl, außer Kontrolle zu geraten, hoffnungslos, verzweifelt, durcheinander und beschämt darüber zu sein, dass er unser Präsident ist. Ich bin so frustriert und wütend und habe tatsächlich gewalttätige Gedanken."
    Musik: "Juicy Socks & Trash People"
    Die Band Cherry Glazerr besteht seit etwa sieben Jahren,mit der Bandleaderin als Konstante. Meist war es ein Trio, für zwei Jahre gesellte sich die Musikerin Sasami Ahsworth als vierte dazu und bediente die Synthesizer; inzwischen sind sie wieder zu dritt unterwegs und Sasami geht eigene Solo-Wege. Im März erschien ihr Debut bei Domino Records. Sehr spannend ist Cherry Glazerrs Weg hin zur aktuellen Platte "Stuffed & ready" - denn letztlich gab es zwei Aufnahmeprozesse, relativ kurz hintereinander. Zunächst ging die Band mit John Vanderslice ins Studio, war auch angetan von den Recordings, beschloss aber, dass diese Aufnahmen nicht für das dritte Album geeignet seien.
    Zusammenspiel mit Freunden
    "John ist eher der Typ: "Kommt alle zusammen" und kreiert diesen wunderbaren Livemusik-Moment, diese Verbindung wenn alle in einem Raum zusammen Musik machen. Das ist wunderbar, ich liebe es, das ist in vielerlei Hinsicht das Wesen von Musik: das Zusammenspielen mit deinen Freunden und anderen Musikerinnen und Musikern."
    Eine absolute Qualität, die Clem Creevy sehr an ihrem Kollegen und Freund Vanderslice schätzt. Aber es passte eben nicht zu ihrem dritten Album. Dort wollte sie etwas anderes, wollte die Songs durchdachter, detaillierter bearbeiten. All dies fand sie bei Carlos de la Garza, der schon "Apocalipstick" mit produziert hatte.
    "Carlos ist anders. Bei ihm geht es eher darum, den Song zuerst richtig zu entwickeln und zu arrangieren, einen richtig guten Song zu machen, bevor der dann aufgenommen wird. Aber das Ganze hat auch damit zu tun, dass ich John als Toningenieur engagiert habe und Carlos als Produzenten. Hätte ich John auch als Produzenten gewollt, wäre es vielleicht anders gelaufen. Auf jeden Fall habe ich dann Carlos getroffen, hatte viele Ideen, er hat Bass gespielt, ich Gitarre und dazu gesungen und daraus haben wir die Demos entwickelt, danach über die Arrangements gesprochen und anschließend aufgenommen: Schlagzeug, Gitarre und Bass und zum Schluss den Gesang. Das alles ist in einer Art "Mixing-Raum" geschehen, es war keine live-Aufnahme, wo alle zusammen gespielt haben. Wir haben uns intensiv ausgetauscht und wollten jeden Song sehr fokussiert haben auf den jeweils wichtigen Aspekt. Das hat zu einem Album geführt, das sehr auf Details achtet."
    Musik: "Self explained"
    Insbesondere auf dem Album "Apocalipstick" von Cherry Glazerr hört man einige Songs über Feminismus und weibliche Selbstbestimmung. Aber auch heute das es noch ein wichtiges Thema für sie. Die Frage danach, ob sie sich als Feministin bezeichnet, beantwortet sie mit einem überzeugten:
    "Of course I am"!
    Zur Singleauskopplung "Daddi" wurde auch ein besonderes Video veröffentlicht: Der Song baut auf einem Vierton-Gitarrenmotiv plus schnellem beat auf, im Refrain dann Snare und Bassdrum in stoischen Vierteln, kräftige Beckenschläge und verzerrte Gitarren. Im Video dazu eine einzelne Knet-Gestalt in orange, die von unzähligen anderen, blauen, Gestalten umringt wird, die immer wieder erfolgreich versuchen, mit ihren Händen und Armen nach ihr zu greifen.
    "In "Daddi" geht es um ein Gefühl, dass viele Männer in deinem Leben eine Art patriarchische Vaterrolle übernehmen. Das passiert einfach, weil wir alle im Patriarchat konditioniert sind und das macht mich wirklich verrückt."
    Musik: "Daddi"
    "Ich möchte mich manchmal verstecken. Ich bin auch ein einsamer Mensch, eine Einzelgängerin. Ich bin gern in meiner eigenen Welt und fühle mich gleichzeitig schuldig dafür. Denn ich denke, ich sollte raus gehen und mit Menschen kommunizieren. Aber manchmal möchte ich Kunst am liebsten in einer Art Vakuum kreieren."
    Musik: "Ohio"