Das Attentat auf Ex-Präsident Trump dürfte den US-Wahlkampf maßgeblich beeinflussen - so viel scheint klar. Doch wie? Donald Trump, wenige Sekunden nach dem Anschlag mit Blut im Gesicht und nach oben gereckter Faust: Wird dieses jetzt schon ikonische Bild ihm zusätzliche Stimmen bringen? "Nützt" ihm der gescheiterte Mordanschlag?
Wie reagiert US-Präsident Joe Biden, der in den letzten Wochen in seiner Demokratischen Partei an Rückhalt verloren hatte? Und was bedeutet die Tat für das seit Jahren ohnehin aufgeheizte politische Klima in den Vereinigten Staaten? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum US-Wahlkampf nach dem Attentat.
Wie nutzt Trump das Attentat im Wahlkampf?
Nach Ansicht der deutsch-amerikanischen Politologin Cathryn Clüver Ashbrook zeigt Trumps unmittelbare Reaktion auf das gescheiterte Attentat, dass er „der Instinktpolitiker schlechthin“ sei. Trumps Verhalten verdeutliche, wie er Politik gelernt habe – nämlich nicht durch traditionelle Wahlkämpfe und Parteitage, „sondern auf der Bühne der Reality-TV-Sendungen“.
Ashbrook verweist darauf, dass Trump nach den Schüssen zu den Secret-Service-Beamten, die ihn umringten, sagte, sie sollten kurz warten. „Er kämpft sich diese Lücke zwischen den Beamten frei.“ Dann habe sich Trump die Zeit genommen, den Arm nach oben zu strecken.
„In einem amerikanischen Wahlkampf ist Bildsprache viel wichtiger als alles, was gesagt wird“, so die Politikwissenschaftlerin. Sie erwartet, dass sich Trump nun „als Märtyrer, als Opfer für seine Bewegung" darstellen wird. Auf dem Nominierungs-Parteitag der US-Republikaner in Milwaukee wurde er jetzt offiziell zum Präsidentschaftskandidaten gekürt.
Er habe seine ursprünglich geplante und sehr angriffslustige Rede für den Parteitag nach dem Attentat verworfen, sagte Trump selbst in einem Interview. „Ich will versuchen, das Land zu einen“, wurde er zitiert. „Aber ich weiß nicht, ob es möglich ist.“ Bisher war Trump nicht als Politiker mit Ambitionen aufgefallen, die gespaltene US-Gesellschaft zu versöhnen - sondern eher als Polarisierer, der hetzt und lügt.
Entsprechend skeptisch reagieren Beobachter auf die neuen Töne Trumps. „Derjenige, auf den geschossen wurde, für den ist das natürlich eine kluge politische Strategie“, sagt der USA-Experte Michael Dreyer von der Universität Jena. Man müsse abwarten, wie lange es dauere, bis Trump von der gedämpften Rhetorik wieder in den „normalen Angriffsmodus" zurückschalte.
Zynisch betrachtet könnte man sagen, das gescheiterte Attentat sei ein „Wahlkampfgeschenk, das ihm da gemacht wurde“, so Dreyer. Das Foto Trumps mit der nach oben gereckten Faust nach den Schüssen werde „im metaphorischen und im wortwörtlichen Sinne Gold wert sein“. Man werde dieses Bild auf T-Shirts und Kaffeebechern der Trump-Kampagne wiedersehen. Den kämpferischen Trump nach dem Attentat würden viele Amerikaner nun mit Bildern des „vermeintlich alten und schwachen Joe Biden“ kontrastieren.
Wie hat Präsident Biden auf das Trump-Attentat reagiert?
In einer Fernsehansprache verurteilte Präsident Joe Biden das Attentat und sagte, in den USA sei kein Platz für Gewalt. Zugleich sprach er sich dafür aus, die hitzige Atmosphäre im Wahlkampf runterzukühlen: „Wir alle haben die Verantwortung, das zu tun.“ Gewalt sei nie eine Lösung. „Wir lösen unsere Meinungsverschiedenheiten an der Wahlurne. So machen wir es - an der Wahlurne, nicht mit Kugeln“, sagte Biden weiter.
Doch Gewalt habe - entgegen Bidens Appellen - sehr wohl einen Platz in der US-amerikanischen Gesellschaft, sagt der Politikwissenschaftler Michael Dreyer. Er verweist auf die lange Geschichte von Mordanschlägen auf US-Präsidenten und auf die sich seit den 1990er-Jahren verschärfende Polarisierung der politischen Debatten.
Von daher müsse man abwarten, was nun geschehe, so Dreyer. Biden habe aber im Prinzip alles richtig gemacht in seiner Reaktion auf das Attentat. Dazu zählt der Politologe auch die Ankündigung, dass es eine unabhängige Untersuchung der Schutzmaßnahmen für Trump geben soll. Verantwortlich für die Sicherheit von Präsidenten und Ex-Präsidenten ist der Secret Service, der Teil der von Biden geführten US-Regierung ist. Den Wahlausgang am 5. November hält Dreyer nach wie vor für offen. Andere Beobachter sehen nun Trump klar im Vorteil.
Was bedeutet das Attentat für Bidens Wahlkampf und seine Erfolgsaussichten?
Das Attentat verschaffe Bidens Herausforderer Trump einen Vorsprung, da er medial jetzt besonders in Szene gesetzt werde, sagt die Politikwissenschaftlerin Cathryn Clüver Ashbrook. Die US-Demokraten müssten nun ihre Strategie gegen Trump überdenken. Ashbrook hält es für richtig, dass die Demokraten zunächst „attack ads“, also gegen Trump persönlich gerichtete Wahlkampfwerbung, zurückgezogen haben.
Joe Biden müsse nun neu Fuß fassen, wenn er denn weiter im Rennen bleiben wolle. „Und die Demokratische Partei wird weiter, auch mit Nachdruck überlegen, ob Joe Biden für sie, für die Partei, der richtige Mann ist“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Der 81-jährige Biden war nach einem altersschwachen Auftritt bei der ersten TV-Debatte gegen Trump Ende Juni von einigen demokratischen Politikerin, Prominenten und Spendern zum Rückzug aufgerufen worden. Der Präsident lehnt dies bisher ab. Als Nachfolgekandidatin wird unter anderem Vizepräsidentin Kamala Harris gehandelt.
Laura von Daniels von der Stiftung Wissenschaft und Politik rechnet nicht damit, dass die Debatte über Biden aufhört. „Für die Demokraten laufen die letzten Tage und Wochen ab, in denen sie noch einen Führungswechsel vornehmen könnten“, mahnt sie. Wenn es bis zur Convention der Demokraten im August in Chicago keinen Führungswechsel gebe, würden die Chancen der Partei, den nächsten Präsidenten zu stellen, „immer geringer“.
Befördert das Attentat auf Trump die politische Spaltung der US-Gesellschaft weiter?
Der Politikwissenschaftler Christian Lammert vom John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin warnt davor, dass das Attentat „zu einer weiteren Polarisierung und Radikalisierung des politischen Diskurses" in den USA führen könnte. Auch das Foto des blutenden Trump mit hochgerecktem Arm könne dazu beitragen. „Das Bild wurde ja vorher auch schon immer gemalt", sagt Lammert: "Er ist von Gott gesendet, um Amerika zu retten, und so inszeniert er sich auch gleich direkt nach diesem Attentat.“
Auch die USA-Expertin Laura von Daniels sagt, man müsse befürchten, dass sich das Land weiter spaltet. Dass es jetzt Aufrufe zur Mäßigung aus beiden großen Parteien gebe, sei einerseits ein hoffnungsvolles Zeichen, andererseits gebe es aber auch prominente Stimmen aus den Reihen der Republikaner, die den Demokraten eine Mitschuld für den Anschlag zuwiesen. „Damit drehen die Republikaner ein Stück weit die Rhetorik um, die sie sonst (selbst) betroffen hat.“ Zuvor sei es meist Trump gewesen, dem vorgeworfen worden sei, dass seine Rhetorik zu politischer Gewalt führe.
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