
Stefan Heinlein: Jubel von 30.000 Menschen, frenetischer Beifall und "Hoch"-Rufe für den US-Präsidenten – so war es 2009 auf dem Platz vor der Prager Burg, als Barack Obama seine Vision von einer Welt ohne Atomwaffen öffentlich machte. Wir haben es zu Beginn dieser Sendung gehört. Dieser umjubelte Auftritt seines Amtsvorgängers dürfte für Donald Trump ein Motiv gewesen sein, nicht zuerst nach Berlin, London oder Paris zu kommen, sondern nach Warschau. Dort war die Begeisterung über seinen Wahlerfolg lauter als in den meisten anderen europäischen Hauptstädten. In rund einer Stunde wird Donald Trump eine Rede vor großem Publikum halten.
Am Telefon begrüße ich jetzt Piotr Buras vom European Council on Foreign Relations in Warschau. Guten Tag, Herr Buras.
Piotr Buras: Guten Tag.
Heinlein: In etwa einer Stunde werden Sie die Rede des US-Präsidenten live verfolgen vor Ort. Was erwarten Sie vom Auftritt Donald Trumps?
Buras: Generell in Polen sind die Erwartungen an diese Rede und an den Besuch von Donald Trump sehr hoch. Es wird natürlich erwartet, dass Trump die Verpflichtung der Vereinigten Staaten für die Sicherheit Europas und speziell Mittel- und Osteuropas bekräftigen wird, dass er vielleicht den Artikel fünf des NATO-Vertrages erwähnt, und dass generell der polnischen Beitrag zum Bündnis und auch zur Sicherheit der Vereinigten Staaten - Polen ist Mitglied auch in der Koalition gegen ISIS, wir leisten einen großen Beitrag, zwei Prozent des Bruttosozialprodukts, zur Verteidigung der NATO -, gewürdigt wird.
"Stärkere Kooperation im Energiebereich"
Heinlein: Ist man tatsächlich angewiesen in Polen und hofft man auf Washington, dass es Sicherheit gibt vor Russland durch den amerikanischen Beistand und durch die Bündnistreue der USA?
Buras: Ja, das ist natürlich der wichtigste Pfeiler der amerikanisch-polnischen Beziehungen, und man misst dieser amerikanischen Unterstützung im Sicherheitsbereich eine große Bedeutung bei. Aber die Vereinigten Staaten sind auch in einer anderen Hinsicht wichtig geworden, würde ich sagen, für die polnische Regierung in der letzten Zeit. Polen will eine regionale Zusammenarbeit in Mittel- und Osteuropa, das sogenannte Trimarium befördern. Das schließt eine stärkere Kooperation im Energiebereich ein, auch neue Infrastruktur, neue Transportkorridore, und dabei sieht man für Amerika eine große Rolle, vor allem als Lieferant des LNG, also Flüssiggases in die Region, und auch, wenn es um die Investitionen in die Region geht.
"Ideologische Affinität" zwischen Trump, Szydlo und Kaczynski
Heinlein: Also geht es heute nicht nur um die Politik, sondern auch um knallhartes Business, um Geschäftsinteressen?
Buras: Ja. Es ist natürlich nicht zu erwarten, dass heute irgendwelche Verträge unterzeichnet werden. Dieser Besuch ist dafür zu kurz. Und es gibt auch keine Wirtschaftsdelegation, die Donald Trump begleiten würde. Diese Fragen sind schon auch in der Pressekonferenz, die gerade zu Ende ging, angesprochen worden, und das ist natürlich auch der Kern des polnischen Interesses an der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten.
Heinlein: Wie groß sind denn die ideologischen Gemeinsamkeiten zwischen Trump, Szydlo und Kaczynski? Sind das Brüder und Schwestern im Geiste?
Buras: Na ja, in einer gewissen Hinsicht schon. Es gibt eine ideologische Affinität, wenn es zum Beispiel um die Fragen des Konservatismus geht, wenn es um die Migrationsproblematik geht. Da ist die Rhetorik ähnlich. Aber vor allem vielleicht aufgrund dessen, dass sich sowohl Trump als auch die polnische Regierung als Teil einer Anti-Establishment-Bewegung, die weltweit zu beobachten ist, begreifen, und dieser Punkt ist von den polnischen Politikern schon nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten sehr oft und sehr stark betont worden.
Zeigen, dass man auf einen "wichtigen Partner zählen kann"
Heinlein: Herr Buras, vor diesem Hintergrund, den Sie gerade geschildert haben, was erhofft sich denn die polnische Seite vom Besuch des US-Präsidenten, Rückendeckung für diese national-konservative Politik, die in den letzten Jahren in Polen deutlich geworden ist?
Buras: Ich glaube, man erwartet von diesem Besuch eher eine gewisse Verbesserung des polnischen Image in der eigenen Bevölkerung. Polen, die polnische Regierung ist oft auch intern dafür kritisiert worden, dass sie zu einer Marginalisierung, zu einer Isolierung Polens innerhalb der Europäischen Union geführt hat mit ihrer Politik, und jetzt kann sie zeigen, dass sie auf die Unterstützung eines wichtigen großen strategischen Partners zählen kann. Das ist, ich glaube, die eine wichtige Erwartung. Die andere ist, dass Donald Trump diese Rolle Polens als Anführer einer regionalen Zusammenarbeit, einer regionalen Gruppierung im Rahmen der Europäischen Union noch stärker betont, beziehungsweise dass er ihr eine gewisse Glaubwürdigkeit verleiht.
"Nicht alle unterstützen Trump als Person"
Heinlein: Wie inszeniert, Herr Buras, ist denn der heutige Auftritt? Es heißt ja, jeder PiS-Abgeordnete, der die Rede verfolgt, bringt 50 Anhänger mit, der dann die Fähnchen schwenkt und den Präsidenten hochleben lässt.
Buras: Ich habe die Busse mit Trump-Anhängern nicht gesehen, aber angeblich gibt es solche Versuche, Leute nach Warschau mit Bussen zu bringen. Aber man muss auch eins sagen: Die Polen sind generell sehr proamerikanisch und eine gewisse Sympathie, die Amerika als Land insgesamt gilt, wird natürlich auch auf den amerikanischen Präsidenten übertragen, auch wenn nicht alle Trump als Person, als eine politische Figur mit vollem Herzen unterstützen. Auch in Polen sind die Bedenken über Trump und seine Ideologie, die Stoßrichtung seiner Außenpolitik ziemlich groß. Ich glaube, nur vielleicht 20 Prozent der Polen oder leicht über 20 Prozent glauben, dass er Amerika und die Welt in die richtige Richtung führt. Insofern: Das Interesse ist natürlich sehr groß, und ich glaube, Trump kann erwarten, dass er herzlich empfangen wird. Aber daraus soll man auch nicht unbedingt schließen, dass die Trump-Begeisterung in Polen insgesamt so groß ist.
Trumps Motivation für Besuch seien schöne Bilder
Heinlein: Aber das Grundgefühl ist schon Stolz, dass Donald Trump jetzt eben nicht nach Berlin, London oder Paris zuerst reist, sondern nach Warschau?
Buras: Ich weiß nicht, was das Grundgefühl in der Bevölkerung ist. Natürlich: Dieses Argument wird sehr massiv in den nationalen Medien, wie sich die öffentlichen Medien in Polen jetzt nennen, bemüht, und die polnischen Politiker betonen, dass dies ein wichtiges Symbol sei, dass Trump ausgerechnet nach Polen gekommen ist. Wobei man auch sagen muss: Das ist eigentlich fast ein Zufall, dass es zu diesem Besuch gekommen ist. Trump hatte noch vor einem Monat nicht die Absicht, nach Polen zu kommen. Da hatte er seine Meinung geändert nach dem ziemlich desaströsen Besuch in Brüssel. Und die wichtigste Motivation für diesen Besuch in Warschau ist eigentlich, schöne Bilder zu haben und nicht über strategische Kooperation zu reden. Hier ist, muss man auch sagen, die Diskrepanz zwischen den polnischen Erwartungen und Hoffnungen und dem, was eigentlich Trump zu diesem Besuch bewegt hat, relativ groß.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag Piotr Buras vom European Council on Foreign Relations in Warschau. Wir haben das Gespräch kurz vor dieser Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.