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Trump vs. Clinton
"Die Mehrheit der Amerikaner ist abgestoßen"

Donald Trump stoße mit seinen Verschwörungstheorien eines "Schattenstaates" in den USA nur noch bei seinen Stammwählern auf Zustimmung, sagte der Politologe Crister Garrett im DLF. Der Gedanke, dass man Wahlergebnisse tatsächlich manipulieren könne, sei "aus den Sternen geholt".

Crister Garrett im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 20.10.2016
    Sie sehen Donald Trump während der dritten Fernsehdebatte mit Hillary Clinton im US-Wahlkampf.
    Sie sehen Donald Trump während der dritten Fernsehdebatte mit Hillary Clinton im US-Wahlkampf (picture-alliance / dpa / Jim Lo Scalzo)
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon ist jetzt Crister Garrett, Politikwissenschaftler an der Universität Leipzig. Er hat sich das TV-Duell angeguckt heute Nacht. Schönen guten Tag, Herr Garrett.
    Crister Garrett: Schönen guten Tag, Herr Heckmann.
    Heckmann: Nett, dass Sie sich die Zeit jetzt nehmen.
    Garrett: Gerne.
    Heckmann: Thilo Kößler, unser Korrespondent, hat gerade gesagt, Clinton sei sachlicher, souveräner und präsidialer gewesen. Trump sei es nicht ein einziges Mal gelungen, sie in die Defensive zu bringen. Hatten Sie auch diesen Eindruck?
    Garrett: Genau das. Und dazu würde ich hinzufügen leidenschaftlicher, überzeugender. Sie hat sich wirklich fast selber gefunden gestern Abend an bestimmten Themen, sei es Russland, sei es Frauenrechte, sei es Bundesverfassungsgericht, Wirtschaftspolitik. Ich muss sagen, sie war souverän im Sinne von, sie hat wirklich fast zum Teil freigesprochen, und ich denke, das hat Donald Trump schon aus der Rolle gebracht. Das erlebte man an unterschiedlichen Momenten.
    "Die große Mehrheit der Amerikaner ist von Trumps Botschaft abgestoßen"
    Heckmann: Der CDU-Politiker Friedrich Merz, der Vorsitzende der Atlantikbrücke, der hat heute Früh im Deutschlandfunk seinen Eindruck von Donald Trump geschildert. Hören wir mal kurz rein:
    Garrett: Okay!
    O-Ton Friedrich Merz: "Der Mann ist offensichtlich völlig außer Kontrolle geraten. Das ist einmalig in der Geschichte der amerikanischen Wahlkämpfe, dass ein Spitzenkandidat - und da hat Hillary Clinton richtig formuliert - einer großen amerikanischen Partei - sich weigert, das Wahlergebnis anzuerkennen."
    Heckmann: Trump ist völlig außer Kontrolle geraten, sagt Friedrich Merz. Je mehr er quasi mit dem Rücken an der Wand steht, desto mehr schlägt er um sich. Ist das ein Eindruck, der täuscht?
    Populistische Stimmung auf beiden Seiten des Atlantiks
    Garrett: Das ist nicht ein Eindruck, der täuscht, aber ich würde das vielleicht anders positionieren. Ich denke, das war impulsiv von ihm, andererseits diszipliniert im Sinne von, mit dieser Aussage hat er sein Stammklientel direkt angesprochen und versuchte, es bei sich zu halten. Kurzum: Es gehört zu seinem Klientel, an Verschwörungstheorien zu glauben, an einen sogenannten Schattenstaat, der die Fäden in der Hand hat und versucht, mit den Wählern zu marionettieren, wenn man so will, und das hat er dann eben thematisiert gestern Abend und seine Stammwähler begeistert. Aber wir sehen an den Umfragezahlen, die gerade verkündet worden sind, etwa 30 Prozent, 35 Prozent sind davon überzeugt, die große Mehrheit der Amerikaner nicht, die sind eher von dieser Botschaft abgestoßen.
    Heckmann: Das heißt, ich verstehe Sie richtig: Wenn Donald Trump sagt, das Wahlergebnis, ich werde mal schauen, wie das aussieht, und da ist es gut möglich, dass es da zu Wahlfälschungen gekommen ist, das glauben seine Anhänger auch wirklich?
    Garrett: Ich kann nicht von allen Anhängern sprechen natürlich, aber wenn wir wirklich die populistische Stimmung transatlantisch betrachten, reden wir über die transatlantische Brücke zum Beispiel, sei es mit der Brexit-Abstimmung in Großbritannien oder Front National in Frankreich oder AfD in Deutschland oder Reichsbürgerbewegung, man sieht überall die These, irgendwie gibt es einen Schattenstaat, der uns nicht bedient, und diesem Schattenstaat müssen wir nicht treu bleiben. Dieses Thema prägt auch diese amerikanische Wahlsaison und diese These vertritt Donald Trump und ich denke, dass er sie auch persönlich verkörpert.
    Das Wahlsystem ist "transparenter denn je"
    Heckmann: Aber ist da nicht vielleicht sogar auch was dran? Man muss ja vielleicht nicht unbedingt Schattenstaat sagen, aber dass das Establishment in Washington quasi die Macht unter sich aufgeteilt hat, dieses Gefühl, das in den USA entstanden ist, hat das nicht auch Gründe?
    Garrett: Na ja, gut. Man kann über politische und wirtschaftliche Eliten reden, an und für sich völlig legitim: Wall Street und Mainstream, wie es so schön in den USA heißt. Andererseits nimmt man einen Schritt zurück und guckt, was mögliche Wahlfälschung betrifft und Wahlresultate. Der Wahlapparat in den USA ist so was von wettbewerbsbedingt. Beide Seiten nehmen einander rund um die Uhr jeden Tag unter die Lupe, um genau das unmöglich zu machen. Von daher ist dieses System transparenter denn je. Der Gedanke, dass man grundsätzlich irgendwie die Wahlresultate manipulieren kann, ist aus den Sternen geholt, wenn man sachlich und nüchtern bleibt. Aber diese Vermutung, diese Theorie, diese Verschwörungstheorie bewegt und gerade in diesen Zeiten, wo so viele Wähler beunruhigt sind, ängstlich sind, emotionalisiert sind.
    Politisches Theater
    Heckmann: Verschwörungstheorie ist ein gutes Stichwort. Um mal auf Hillary Clinton zurückzukommen: Die hat ja behauptet, Trump sei eine Puppe Russlands, und sie hat sich darauf bezogen, dass ja ihre E-Mails veröffentlicht wurden durch Wikileaks. Die amerikanische Regierung geht davon aus, dass da russische Hacker dahinter stehen. Aber dieser Vorwurf an Donald Trump, sozusagen fünfte Kolonne Moskaus zu sein, ist das nicht auch eine Verschwörungstheorie?
    Garrett: Das ist keine Verschwörungstheorie, aber das ist politisches Theater, wenn man so will. Man muss sagen, an diesem Moment hat sie wirklich gepunktet. Wären die zwei Boxer im Ring, dann hätte sie einen Körperschlag absolut getroffen und gelandet. Man sah, wie schnell er körperlich und emotional darauf reagiert hat, Sie seien eine Marionette. Er war völlig aus der Rolle auf einmal. Taktisch von ihr klug, könnte man behaupten. Aber noch einmal: Wenn er Putin und die chinesische Führerschaft zum Beispiel hervorhebt als Modelle für starke Führung, dann ist es legitim, diese These, dieses Modell anzugehen und zu versuchen, auseinanderzunehmen, und das hat sie auch gesagt. Sie hat das nicht erfunden. Wir haben ein Bundesnachrichtendienst-Establishment hier, das auf den Schluss gekommen ist, es hat durchaus mit Russland zu tun.
    Sagen wir so: Hätte Trump solche Aussagen über Putin und Wikileaks und so weiter in den 80er-Jahren während des Kalten Krieges von sich losgelassen, wäre er innerhalb einer Stunde fertig als Politiker. Das zeigt, wie anders die Zeiten geworden sind.
    "Moderate Politik ist kein Renner in dieser Saison"
    Heckmann: Und dennoch muss man fast festhalten, dass auch Hillary Clinton wenig überzeugend ist unterm Strich für die amerikanische Wahlbevölkerung, auch unbeliebt ist, sehr unbeliebt ist. Sie ist belastet auch durch ihre E-Mail-Affäre. Kann sie von Glück reden, dass sie mit Trump zu tun hat, weil der sich selber erledigt?
    Garrett: Das ist eine interessante Beobachtung. Zum wichtigen Teil ja, das sahen wir vor acht Jahren mit Barack Obama, wie schnell er Hillary Clinton am Ende des Tages überholen konnte. Und mit Trump? Ja, das ist eine Art Geschenk für sie, gar keine Frage. Dass sie so unbeliebt ist, das zeigt ein bisschen: Wir erleben eine populistische politische Zeit zurzeit im Sinne von, sie ist Teil des Establishments, wie Sie genau richtig beobachtet haben, und dieses Establishment ist einfach in Verruf, und man kann sagen, zum wichtigen Teil auch aus guten Gründen. Sei es wie es sei: Sie ist unbeliebt zum Teil auch aus anderen Gründen. Sie vertritt eine moderate Politik. Moderate Politik wird von vielen Wählern zurzeit nicht erwartet auf der linken Seite und auf der rechten Seite, denken wir an Bernie Sanders zum Beispiel. Von daher ist sie ein bisschen ein sachlicher Kartoffelbrei für die amerikanische Politik, und das ist kein Renner in dieser Saison. In anderen Saisons möglicherweise, aber nicht jetzt.
    Trump muss die unentschiedenen Wähler der Mitte gewinnen
    Heckmann: Letzte Frage, Herr Garrett. Friedrich Merz, den ich gerade schon angesprochen habe, der hat gesagt, Clinton dürfte ihren Vorsprung ausgebaut haben, und er geht davon aus, dass Clinton die erste Präsidentin der USA im November werden wird oder gewählt werden wird. Sehen Sie das auch so?
    Garrett: Wir haben drei Wochen vor uns etwa und da kann viel passieren. Wir werden internationale Akteure wohl erleben, die versuchen, die amerikanische Politik weiter zu radikalisieren. Und dazu kommt immer das Unerwartete. Hauptfrage ist: Kann Trump die unentschiedenen Wähler in der Mitte für sich gewinnen? Gestern Abend hat er das nicht gemacht. Das muss er ab heute tun. Wird er das tun? Unwahrscheinlich. Also noch offen, aber immer unwahrscheinlicher. So würde ich das platzieren.
    Heckmann: Der Politikwissenschaftler Crister Garrett war das hier live im Deutschlandfunk. Herr Garrett, danke Ihnen für Ihre Zeit.
    Garrett: Sehr gerne, Herr Heckmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.