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Tschechischer Dramatiker Jaroslav Rudis
"Mein Land bleibt auch nach der Wahl auf einem europäischen Kurs"

Der Milliardär Andrj Babis könnte der nächste tschechische Regierungschef werden. Babis werde zwar oft mit US-Präsident Donald Trump verglichen, eine Mauer um Tschechien werde er aber wohl nicht bauen wollen, sagte der Schriftsteller Jaroslav Rudis im Dlf. Tschechien habe immer geblüht, wenn die Grenzen offen waren. Auf diesem Kurs werde das Land auch bleiben.

Jaroslav Rudis im Gespräch mit Stephanie Rohde | 21.10.2017
    Der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudis
    Der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudis (dpa / picture-alliance / Horazny Josef)
    Stephanie Rohde: Ein Milliardär, der kein Politiker sein will, aber Politik machen will, so inszeniert sich Andrj Babis bei den Parlamentswahlen und das, obwohl er wegen Betrugsverdacht angeklagt ist und die EU gegen ihn ermittelt. Was steckt hinter diesem Phänomen Babis – darüber will ich jetzt sprechen mit dem tschechischen Schriftsteller und Dramatiker Jaroslav Rudis, den wir erreichen ungefähr 200 Kilometer von Prag entfernt in der Provinz. Guten Morgen!
    Jaroslav Rudis: Guten Morgen, hallo!
    Rohde: Babis wird ja regelmäßig mit Donald Trump verglichen. Mal andersherum gefragt: Was unterscheidet eigentlich Babis und Trump Ihrer Meinung nach?
    "Babis wird keine Mauer um Tschechien bauen"
    Rudis: Also auf jeden Fall kann ich mir nicht vorstellen, dass Babis so eine Art Mauer um Tschechien bauen oder einen Zaun um Tschechien herum bauen würde. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Land auch nach der Wahl gestern und morgen auf einem europäischen Kurs bleibt, und das ist vielleicht die Unterscheidung. Was sie natürlich zusammen haben, beide sind eigentlich Unternehmer, und wie Sie das schon erwähnt haben, er ist wirklich einer der reichsten Tschechen, und er sagte auch von Anfang an - das ist nicht neu in der Politik - … Also der inszeniert sich so ein bisschen, dass er jetzt gerade ankommt, aber eigentlich seine Protestbewegung ANO ist schon seit einiger Zeit im tschechischen Parlament. Er war Finanzminister in der Regierung, und er sagt auch, ich will unser Land Tschechien als eine Firma verwalten. Das kleine Problem, was ihm viele auch vorwerfen, der macht das wie seine eigene Firma, weil er ist wirklich sehr, sehr populär und als Unternehmer ganz groß.
    Rohde: Sie haben gesagt, er wird keine Mauer bauen. Also er entspricht in diesem Sinne nicht Donald Trump, und man sagt, dass Babis schwierig einzuordnen ist ins politische Spektrum, also weder links noch rechts. Ist er ein Populist der Mitte?
    "Er weiß, dass es ohne EU nicht weitergehen kann"
    Rudis: So ist das. Das ist wirklich bei ihm … ihn zu greifen ist gar nicht so leicht, weil einerseits der kritisiert auch die Europäische Union, was die Flüchtlingsfrage zum Beispiel angeht, auf der anderen Seite profitiert er natürlich davon. Für seine Unternehmen kriegt er auch Förderungen von der Europäischen Union. Er kritisiert Euro, will nicht … Das ist sowieso in Tschechien ein großes politisches Thema, ob wir zu der EU-Zone gehören sollten oder nicht, aber natürlich – er ist Geschäftsmann –, er weiß, dass wir ohne EU nicht …, dass es nicht weitergehen kann. Unsere Wirtschaft ist natürlich mit der Wirtschaft in Europa verbunden. Ich meine auch, wir haben … leider sind andere Parteien beziehungsweise eine Partei, die richtig rechtsextreme Positionen darstellt und die vermutlich auch ins Parlament jetzt zieht, und das sind wirklich Leute, die gerne um den Herren Okamura, der gerne aus der Europäischen Union vielleicht aussteigen würde und ganz radikal gegen die EU vorgeht.
    Rohde: Ich würde gerne bei diesem Aspekt der Wirtschaft bleiben, den Sie eben angesprochen haben. Babis ist ja wegen Betrugsverdacht angeklagt, er soll zwei Millionen Euro von der EU erschlichen haben. Warum erhoffen sich trotzdem so viele Menschen, dass ausgerechnet dieser Mann Korruption bekämpfen wird in Tschechien?
    "Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit in der EU"
    Rudis: Der weist natürlich alle diese Vorwürfe zurück. Dann spricht er sofort auch über die Lügenpresse. Das ist auch so ein Begriff, was vielleicht er teilt mit Donald Trump und einigen rechten Populisten. Ja, für viele ist das einfach ein erfolgreicher Mensch, ein erfolgreicher Unternehmer. Ich frage mich auch, die tschechische Wirtschaft boomt wirklich tatsächlich in diesem Moment. Also wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit in der ganzen EU. Hier in der Gegend, wo ich gewählt habe gestern Abend, liegt die bei 1,9 Prozent. Also das muss man sich schon vorstellen. Also das gibt es nirgends. Vielleicht haben die Leute ein bisschen Angst, dass sich das ändern könnte und glauben, dass dieser Wirtschaftsmann ihnen einfach auch für die Zukunft ihr Leben irgendwie, behält ihr schönes Leben, aber dieses auch, dass die Leute zugleich nicht zufrieden sind mit ihrem Leben und wollen vielleicht ein bisschen mehr und würden sich gerne noch ein zweites Auto kaufen. Das liegt da auch irgendwie in der Luft. Vielleicht kritisiert er auch die EU … Ich war gestern nach der Wahl einfach mit meinen Freunden … Wir machen das immer so, wir gehen wählen, und dann gehen wir Bier trinken und besprechen die Wahl, und da haben wir das am Nachbartisch gehört, also diese gewisse EU-Kritik und -Skepsis, und da kam es zu einem kleinen Streit, aber sehr niedlich, ein tschechischer Bierstreit, wie wir das auch kennen und machen, da wollten wir uns gegenseitig erklären, wieso es die EU gibt, und wir sind dann trotzdem bei der Meinung geblieben, dass wir vielmehr kriegen auch und haben hoffentlich auch unsere Biernachbarn davon überzeugt.
    Rohde: Nur ein Drittel der Tschechen hat ja eine gute Meinung von der EU. Das sagen Umfragen. Tschechien sieht sich aber selbst immer schon als Brückenbauer zwischen Ost und West in der EU. Könnte es sich nach dieser Parlamentswahl vielleicht einreihen in die Gruppe der populistischen Staaten wie Ungarn, Slowakei oder Polen?
    "Das Land hat immer geblüht, wenn das Land offen war"
    Rudis: Ich bin der guten Hoffnung, dass das nicht passiert. Da bin ich immer ein Optimist. Es ist einfach diese Vorstellung, dass man sich irgendwie von der EU trennt, dass man wirklich im Erzgebirge oder im Böhmerwald so eine Art Mauer baut, das ist natürlich völlig absurd. Das wäre dann wirklich eine tschechische, böse Tragikomödie. Das kann man sich nicht vorstellen. Ich meine, wir meckern zwar gerne und kritisieren gerne, aber ich bin fest davon überzeugt, dass die Leute doch schon auch die EU genießen und dass sie auch für Europa sind und dass sie auch wissen, dass es für uns eigentlich in Mitteleuropa keinen anderen möglichen Weg gibt. Übrigens auch in der Geschichte, wenn man sich die mittelalterliche Geschichte von Böhmen anschaut, da sieht man auch schon ganz deutlich, dass das Land immer profitiert hat und immer geblüht ist, wenn das Land offen war und zugänglich war und wirklich ein Zentrum war, wie das auch heute so ist, also Zentrum von diesem Mitteleuropa, als die Grenzen offen waren. Kurz und knapp, ich meine, wir bleiben auf diesem Kurs.
    Rohde: Das heißt aber, die Sorge der Deutschen, dass Tschechien abdriften könnte, die ist dann unbegründet, Ihrer Meinung nach.
    Rudis: Also das denke ich auch, also das denke ich wirklich, dass sich das nicht in die Richtung wandelt, wie wir das jetzt in Polen oder Ungarn zum Beispiel erleben. Das kann ich mir irgendwie nicht vorstellen.
    Rohde: Werden Sie den Aufstieg von Babis aufnehmen in einem Theaterstück oder in einem anderen Schriftstück?
    "Er ist eine sehr spannende Figur"
    Rudis: Auf jeden Fall ist das eine sehr spannende Figur, also eben, dass man ihn nicht so leicht greifen kann. Also seine Volksnähe, der ist wahnsinnig umtriebig, ist mit den Leuten unterwegs. Das schätzen vielleicht die Leute. Er sagt ganz offen, ich schlafe nur ein paar Stunden am Tag, ich arbeite die ganze Zeit. Das kann vermutlich auch wahr sein, so ist das. Natürlich, er ist der zweitreichste Tscheche und zugleich dann diese Volksnähe auch zu den normalen, bodenständigen Tschechen, das ist schon interessant, dass er irgendwie einfach überzeugt und eigentlich, dass er vielen wahrscheinlich, auch Sozialdemokraten zum Beispiel, viele Stimmen weggebracht hat und wegbringt. Das ist schon erstaunlich. Auf jeden Fall ist das eine sehr spannende Figur.
    Rohde: Also wir werden sehen, ob sie irgendwann auftaucht in einem Theaterstück. Vielen Dank! Das war der tschechische Schriftsteller und Dramatiker Jaroslav Rudis. Besten Dank!
    Rudis: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.