Dienstag, 16. April 2024

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Tsunami in Indonesien
Vulkanologe: Katastrophe war mit Einschränkungen vorhersehbar

Der erneute Tsunami in Indonesien, ausgelöst durch einen Vulkanausbruch, hätte nach Ansicht des Vulkanologen Hans-Ulrich Schmincke vorhergesehen werden können. Die unzureichende Besetzung der zuständigen Behörde und politische Druckverhältnisse vor Ort hätten die Katastrophe begünstigt, sagte Schmincke im Dlf.

Hans-Ulrich Schmincke im Gespräch mit Peter Sawicki | 24.12.2018
    Rettungskräfte suchen im Süden der indonesischen Insel Sumatra nach Überlebenden der Tsunami-Katastrophe.
    Rettungskräfte suchen im Süden der indonesischen Insel Sumatra nach Überlebenden der Tsunami-Katastrophe (AFP / Ferdi Awed)
    Peter Sawicki: Am Tag genau vor 14 Jahren blickte die Welt mit Entsetzen unter anderem nach Südostasien: Ein mächtiger Tsunami fegte damals über den Indischen Ozean, eine Viertel Million Menschen wurde getötet, und erst die Hälfte davon in Indonesien alleine. Und das Land wurde jetzt wieder von einem Tsunami erfasst, wieder sind Menschen ums Leben gekommen – zwar nicht in diesem Ausmaß wie 2004, aber die Anfälligkeit des Inselstaats für diese schweren Ereignisse wurde erneut offengelegt. Wir möchten dieses Thema jetzt vertiefen, und am Telefon ist dafür Professor Hans-Ulrich Schmincke. Er leitete früher die Abteilung Vulkanologie am renommierten Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Guten Morgen, Herr Schmincke!
    Hans-Ulrich Schmincke: Guten Morgen, Herr Sawicki!
    Sawicki: Warum wieder Indonesien?
    Schmincke: Weil die indonesischen Inseln im Wesentlichen vulkanischen Ursprungs sind, und sie liegen entlang einer Zone, die Teil des weltumspannenden Vulkangürtels rings um den Pazifik sind, und das ist geologisch, vulkanologisch relativ einfach zu erklären.
    Sawicki: Und hätte man dieses Ereignis jetzt vorhersehen können?
    Schmincke: Mit Einschränkung ja, denn bei den Diskussionen bei dem großen Tsunami-Unglück vor einigen Jahren, was Sie eben erwähnt haben, kam in den Diskussionen immer nur raus, in vielen Diskussionen, dass die Tsunamis produziert werden durch Erdbeben im Meeresbereich, und es kam nie zur Sprache, jedenfalls in den Sachen, die ich gelesen habe, dass die zweitgrößte sogenannte Tsunami-Katastrophe im August 1883 durch den großen Vulkan Krakatau bedingt wurde.
    Da kamen etwa 40.000 Menschen um, weil durch die Massen der großen Vulkaneruption und Absinken von Blöcken ein Tsunami produziert wurde, bei dem sowohl in Java wie auf der gegenüberliegenden Seite in Sumatra eben viele Zehntausend von Menschen umkamen, also Vulkane, vor allem die im Wasser stehen – vor allem im Ozean, aber auch in Seen – ein Tsunami entstehen kann. Und das kann man gleich noch im Einzelnen diskutieren, warum.
    Schmincke: Zuständige Behörde muss vergrößert werden
    Sawicki: Warum denn?
    Schmincke: Es sind immer Massenverlagerungen, die ins Wasser gehen oder unter dem Wasser abgehen, und die drücken dann das Wasser hoch, und das bewegt sich dann von diesem höheren Punkt natürlich zu den niedrigeren Gebieten, zu den Küsten vor allem. Beim Krakatau ist man sich noch nicht so hundertprozentig sicher: Auf der einen Seite wurden riesige Glutwolkenablagerungen produziert, Massen von Kubikkilometern, die sind wohl einer der Gründe für die großen Tsunamis, die die Küstenbereiche in Sumatra und Java produzierten.
    Zum anderen sind Teile des Vulkans einfach eingebrochen – man nennt das dann auch Caldera –, und die führen dann auch zu großen Massenverlagerungen im Ozean. Und dann entstehen Wellen, das sind die Tsunamis, die können dann die Küstenbereiche bedrohen oder auch zerstören.
    Sawicki: Nun ist ja Indonesien, wie Sie sagen, besonders anfällig – wir wissen das ja aus den letzten vielen Jahren für Tsunamis – für solche Ereignisse, und diese ganzen Vorgänge, sind die noch nicht gut genug erforscht dort, oder warum kommen dann immer wieder so viele Menschen ums Leben, werden davon betroffen?
    Schmincke: Wir haben mal einige Jahre in Indonesien gearbeitet am Merapi, das ist eigentlich der aktivste Vulkan in dem ganzen Gebiet, und haben viele lokale Kollegen kennengelernt, die an sich sehr gut ausgerüstet sind und auch zum Teil sehr gut unterrichtet worden sind und gelernt haben in den USA, auch in Deutschland. Wir haben selbst einen jungen Mann aus Indonesien hier ausgebildet. Aber es gibt natürlich sehr, sehr viele Vulkane, und ich hab den Eindruck, eigentlich müsste diese Behörde aus Erdwissenschaftlern unterschiedlicher Art noch vergrößert werden.
    Wissenschaftler "haben alles das vorhergesagt"
    Sawicki: Vor Ort oder international, mit internationalen Experten?
    Schmincke: Inzwischen macht man natürlich vieles auch vor Ort, aber ich bin ja hier in Kiel, das ist kein vulkanologisch besonders spannender Ort, aber wir haben Leute ausgebildet aus Mittelamerika, also Doktoranden, oder aus Afrika, aus vielen Ländern. Das ist ja der Normalfall, dass man da hingeht. Ich bin selbst als Student nach USA gegangen, weil da die Ausbildung besser war, und hab da promoviert zu der Zeit. Also das ist eigentlich eine ganz normale Aufgabenverteilung international.
    Was zu diesem Vulkan Krakatau oder Anak Krakatau … Nachdem das große Gebäude im August 1883 zusammengebrochen ist, verbunden mit einem riesigen Ausbruch, der ja in die Kulturgeschichte eingegangen ist, einer der ganz großen der Menschheitsgeschichte, gab es nur noch Restfragmente von diesem alten Krakatau. Und dann bildete sich in den 1920er-Jahren ein neuer Vulkan an einer Stelle, und der wurde das Kind des Krakatau, das heißt Anak Krakatau genannt. Der ist dann mit unterschiedlichen Zeiten aktiv geworden.
    Blick auf den Anak Krakatau vom Meer aus am 26. August 2013. im Vordergrund weht eine indonesische Flagge.
    Eine Eruption des Vulkans Anak Krakatau hat in Indonesien einen Tsunami ausgelöst (dpa / EPA / MAST IRHAM |)
    Und vor ungefähr sechs Jahren ist eine wissenschaftliche Arbeit erschienen von vier Leuten, die praktisch alles das vorhergesagt haben, was jetzt in den letzten Tagen abgelaufen ist. Sie haben gesehen, dass dieser neue Vulkan an einer steilen Abbruchkante des alten Vulkans aufgewachsen ist, er war also sehr instabil, so wie ein Gebäude, das nicht gut gebaut ist, zu hoch ist und irgendwann kollabiert. Und dann haben sie das quantitativ modelliert und haben gesagt, das wird eines Tages zusammenbrechen, es wird noch wachsen durch weitere Eruptionen, und dann …
    Sawicki: Herr Schmincke, ganz kurz, aber wenn dieses Wissen ja dann offenbar vorhanden ist …
    Schmincke: Das ist das, was mich erstaunt hat.
    Sawicki: Warum haben die Behörden dann offenbar zwischenzeitlich eine Entwarnung gegeben und das falsch eingeschätzt?
    Schmincke: Ich habe ja gestern ein paar Nachrichten gehört, und nirgendwo wurde das erwähnt. Meine Frau ist Japanerin, auch Vulkanologin, und die hat mit ihren Kollegen natürlich gechattet in Japan, und von da haben wir diese Veröffentlich hergekriegt. Diese vier französischen Wissenschaftler haben quantitativ berechnet, wie hoch die Wellen sein würden, und haben gesagt, diese Küstenbereiche sind gefährdet. Ich hab keine Ahnung, warum das … Vielleicht müssen das eigentlich einige Leute wissen, und das wäre eigentlich ein Anlass gewesen, das sehr, sehr genau zu überwachen.
    "Große Vulkanunglücke werden in Zukunft abnehmen"
    Sawicki: Also unterschätzt man das immer noch vor Ort, diese Gefahr?
    Schmincke: Ja, weil die Bedürfnisse der Bevölkerung und die politischen Druckverhältnisse immer so sind, und da kann einer vielleicht viel Geld verdienen, wenn er da Gebäude baut, und viele Touristen anlocken. Und das Menschenleben ist kurz, und diese geologischen Vorgänge, die laufen ab über Jahrzehnte oder Jahrhunderte. Man muss eigentlich viele Vulkane immer regelmäßig alle paar Wochen besuchen und verschiedene Sachen messen, und dann kann man sagen, okay, jetzt wird er bald ausbrechen, jetzt müsste evakuiert werden.
    Es gibt ja viele Vulkane, wo relativ wenig Menschen ums Leben kommen, weil die regelmäßig überwacht werden. Große Vulkanunglücke werden in der Zukunft mit Sicherheit abnehmen, weil die Überwachung von Vulkanen von Satelliten und vom Boden aus sich in den letzten Jahrzehnten sehr stark entwickelt haben.
    Sawicki: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Vulkanologe Hans-Ulrich Schmincke. Danke für Ihre Zeit und Ihnen schöne Weihnachtstage!
    Schmincke: Danke schön, Herr Sawicki!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.