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Türkei
Attentäter von Suruç identifiziert

Der Attentäter von Suruç ist laut türkischer Behörden identifiziert - sie sprechen von einem türkischen Staatsangehörigen, der 2014 illegal nach Syrien gereist war. An verschiedenen Stellen des Landes kam es erneut zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei, ein Gericht ließ den Kurznachrichtendienst Twitter sperren. In einer anderen Grenzstadt gab es derweil erneut zwei Tote.

22.07.2015
    Demonstranten und die Polizei gerieten aneinander, hier am 21. Juli in Istanbul.
    Demonstranten und die Polizei gerieten aneinander, hier am 21. Juli in Istanbul. (afp / Ozan Kose)
    Zwei Polizisten wurden in der türkischen Stadt Ceylanpinar an der Grenze zu Syrien erschossen in ihrer Wohnung aufgefunden. Türkische Medien zitierten den Gouverneur der Provinz Sanliurfa, Izzetin Küçük, mit den Worten, noch sei es unklar, ob es eine "Verbindung zum Terrorismus" gebe. Beide Polizisten wurden demnach durch Kopfschüsse getötet. Der Ort liegt ebenfalls an der türkisch-syrischen Grenze 100 Kilometer von Suruç entfernt.
    Attentäter aus Suruc identifiziert
    Am Montag hatte ein Bombenanschlag in Suruç 32 Menschen in den Tod gerissen und fast 100 verletzt. Die türkische Regierung vermutet die Terrormiliz Islamischer Staat hinter diesem Anschlag. Der Anschlag in Suruç galt einem Treffen von rund 300 linksgerichteten und prokurdischen Menschen, die über Maßnahmen zum Wiederaufbau der syrischen Grenzstadt Kobane berieten. Kobane war durch wiederholte IS-Attacken weitgehend zerstört worden. Türkische Behörden befürchten, dass das Attentat eine Racheaktion für die kürzlich erfolgte Zerschlagung von Infrastruktur des IS in der Türkei ist. Sollten sie richtig liegen, könnte das Land nun ein besonders verletzliches Ziel für die radikalislamischen Extremisten sein.
    Die türkischen Ermittler identifizierten inzwischen den Selbstmordattentäter von Suruç. Aus DNA-Analysen gehe hervor, dass es sich um einen 20-jährigen Türken aus der südöstlichen Provinz Adiyaman handele, teilte ein Behördenvertreter mit. "Diese Attacke war gegen die Türkei gerichtet, gegen die Demokratie der Türkei, gegen Frieden und das Wohlergehen der Menschen, gegen die öffentliche Ordnung", hatte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu nach dem Anschlag gesagt. Er schwor, die Verantwortlichen aufzuspüren und machte deutlich, dass er den IS dahinter vermutete.
    Die Regierung wollte am Mittwochnnachmittag über eine Verstärkung der mehr als 900 Kilometer langen Grenze zu Syrien beraten. In Suruç befindet sich eines der größten Flüchtlingslager für Syrer, die vor den Kämpfen in ihrem Land fliehen. In dem im Januar eröffneten Camp leben rund 35.000 Flüchtlinge. Insgesamt flohen seit dem Beginn des Bürgerkriegs vor vier Jahren 1,8 Millionen Menschen aus Syrien in die Türkei. Die überwiegend von Kurden bewohnte syrische Grenzstadt Kobane war im vergangenen Jahr monatelang Schauplatz heftiger Kämpfe, nachdem der IS dort eingerückt war. Die Türkei teilt sich mit Syrien und dem Irak eine 1250 Kilometer lange Grenze und befindet sich damit zwangsläufig nahe den Hochburgen des Islamischen Staats.
    Gewaltsame Proteste
    Derweil kam es in der zweiten Nacht in Folge zu Krawallen zwischen der Polizei und Demonstranten. Mindestens elf Menschen wurden in der Nacht zu Mittwoch festgenommen. In mehreren Vierteln in Istanbul, in der Hauptstadt Ankara und in überwiegend von Kurden bewohnten Städten im Südosten kam es zu teilweise gewaltsamen Kundgebungen. Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein.
    Viele Kurden in der Türkei werfen Präsident Recep Tayyip Erdogan und seiner AK-Partei vor, die radikalislamische IS-Miliz im Kampf gegen die Kurden im Nachbarland Syrien zu unterstützen. Die Regierung in Ankara bestreitet das. Im Deutschlandfunk schätzte der Politologe Hüseyin Bagci von der Middle East Technical University Ankara den IS als großes außenpolitisches Problem für die Türkei ein. Dass sich IS-Kämpfer aber auch schon in der Türkei selbst verankert haben, legen Festnahmen in den zurückliegenden sechs Monaten nahe. Mehr als 500 Menschen, die der Zusammenarbeit mit dem IS verdächtigt werden, ließen die Behörden verhaften. Im Juli fassten Beamte nach Ermittlungen in Netzwerken zur Rekrutierung von Kämpfern insgesamt 21 Terrorverdächtige.
    Altes Mittel: Twitter gesperrt
    Die Türkei blockierte zudem den Zugang zum Kurznachrichtendienst Twitter. Ein Regierungsbeamter sagte, die Türkei habe Twitter gebeten, 107 Internetadressen mit Bildern von den Folgen des Bombenanschlags zu entfernen. Twitter habe 50 URLs gelöscht und arbeite daran, weitere problematische Adressen zu entfernen. Sobald dies geschehen sei, werde der Zugang zu Twitter wieder freigegeben. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete jedoch, dass die Regierung Twitter-Nutzer auch davon abhalten wolle, zu regierungsfeindlichen Protesten im Zusammenhang mit dem Anschlag aufzurufen.
    In der Vergangenheit hatte die Türkei immer wieder mit der Sperrung von Twitter oder anderen sozialen Netzen Kritik klein halten wollen. Zuletzt verhängte das Land im April 2015 eine Sperre über Twitter und Youtube, 2014 waren die Kanäle kurz vor den Kommunalwahlen gesperrt worden, nachdem dort Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung bekannt geworden waren. Im letzten Fall hob das Verfassungsgericht die Sperre auf.
    (nch/dk)