Mittwoch, 24. April 2024

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Türkische Schulen in Deutschland
"Genau überprüfen, welche Inhalte diese Schulen haben"

Gökay Sofuoğlu von der Türkischen Gemeinde in Deutschland ruft zu mehr Gelassenheit bei der Debatte um türkische Schulen in Köln, Berlin und Frankfurt auf. Wichtig sei allerdings, dass die deutschen Bundesländer diese Schulen kontrollierten, sagte der Verbandssprecher im Dlf.

Gökay Sofuoğlu im Gespräch mit Mario Dobovisek | 11.01.2020
Gökay Sofuoglu, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland und ebenso Landesvorsitzender der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg, spricht am 22.07.2017 bei einem Landesparteitag der SPD-Baden-Württemberg in der Stadthalle in Balingen (Baden-Württemberg) zu anwesenden SPD-Parteimitgliedern. Foto: Christoph Schmidt/dpa | Verwendung weltweit
Gökay Sofuoglu ist Bundesvorsitzender des Vereins Türkische Gemeinde in Deutschland (picture alliance / dpa / Christoph Schmidt)
In der Diskussion um drei geplante türkische Schulen in Deutschland ruft Gökay Sofuoğlu zu mehr Besonnen- und Gelassenheit auf. Es gebe auch Dutzende russische Schulen in Deutschland oder etwa Schulen getragen von Vereinen, die der Gülen-Bewegung nahestehen sollen, gab der Bundesvorsitzende des Vereins Türkische Gemeinde in Deutschland zu bedenken.
Wichtig sei allerdings die politische und ideologische Unabhängigkeit der drei zur Debatte stehenden türkischen Schulen, und dass Lehrpläne und Schulaufsicht bei den deutschen Bundesländern lägen. "Es muss genau überprüft werden, welche Unterrichtsinhalte diese Schulen haben werden und welcher Aufsicht sie unterstehen."
Bundesaußenminister Heiko Maas (l, SPD) besucht mit Mevlüt Cavusoglu, Außenminister der Türkei, die Deutsche Schule Istanbul.
Türkei will Schulen in Deutschland gründen
Ankara wünscht sich türkische Schulen in Deutschland, so wie es deutsche Schulen in der Türkei gibt. Bildungspolitiker aus Bund und Ländern sind skeptisch. Sie warnen vor noch stärkerer Einflussnahme Ankaras auf hier lebende Türken.
Vertrauen sei im deutsch-türkischen Verhältnis gerade Mangelware, sagte Sofuoğlu im Dlf. Er nimmt die Debatte über türkische Schulen in Deutschland zum Anlass, um insgesamt mehr Türkischunterricht an deutschen Schulen zu fordern.
Sofuoğlu wünscht sich mehr Türkisch als zweite Fremdsprache an Schulen
Türkisch sei die zweitgrößte Sprache im Land, sagt der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland e.V. und wünscht sich eine Aufwertung als zweite Fremdsprache im Unterricht. "Es ist, glaube ich, eine gute Grundlage, jetzt mal darüber zu diskutieren, ob dieser Bedarf da ist - unabhängig davon, wie skeptisch man den Schulen gegenübersteht, die ja jetzt gerade von Erdogan in Deutschland geplant sind."
Am Freitag war bekannt geworden, dass die Bundesrepublik, die selbst drei deutsche Schulen in der Türkei fördert, mit Ankara über drei türkische Schulen in Berlin, Köln und Frankfurt/Main verhandelt. In diesen Städten gibt es besonders viele Menschen mit türkischen Wurzeln.

Das komplette Interview zum Nachlesen:
Mario Dobovisek: 140 deutsche Auslandsschulen gibt es, verteilt über alle Kontinente. Mit deutschem Unterricht, deutschem Abschluss, zumindest einem, der hierzulande problemlos anerkannt wird. Die Schulen sind unabhängig, getragen von Schulvereinen, stark gefördert werden sie aber von der Bundesrepublik Deutschland, gemeinsam von Bund und Ländern. Eine Bundeseinrichtung vermittelt deutsche Lehrerinnen und Lehrer an diese Auslandsschulen.
Drei davon befinden sich in der Türkei. Um eine, genauer um jene in Izmir, gab es vor anderthalb Jahren Streit – weil, so sagten es damals die türkischen Behörden, die rechtliche Grundlage für eine solche Schule fehle, wurde sie damals auch vorübergehend geschlossen. Anschließend, so wird inzwischen berichtet, begann die Türkei, mit Deutschland über ein Abkommen zu verhandeln für die drei deutschen Schulen in der Türkei, aber auch für drei türkische Schulen in Deutschland. In Berlin soll demnach eine entstehen, in Köln und in Frankfurt am Main. Am Telefon begrüße ich Gökay Sofuoğlu, er ist Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Guten Morgen!
Gökay Sofuoğlu: Guten Morgen!
Dobovisek: Drei türkische Schulen in Deutschland, in jenen Städten mit besonders vielen Menschen, die türkische Wurzeln haben. Würde Präsident Erdogan damit der Türkischen Gemeinde in Deutschland eine Freude machen?
Sofuoğlu: Zumindest löst es auf jeden Fall eine Diskussion über ein Thema aus, das wir jetzt seit Jahren in Deutschland diskutieren, dass Türkisch an den Schulen als Unterrichtsfach mit integriert wird als zweite Fremdsprache. Es ist, glaube ich, eine gute Grundlage, jetzt mal darüber zu diskutieren, ob dieser Bedarf da ist, unabhängig davon, wie skeptisch man gegenüber den Schulen steht, die ja jetzt gerade von Erdogan in Deutschland geplant sind.
Besser mehr Türkischunterricht an deutschen Schulen
Dobovisek: Es gibt ja erste Schulen in Deutschland, die tatsächlich auch Türkisch als Fremdsprache anbieten, aber wie sinnvoll wären aus Ihrer Sicht drei rein türkische Schulen in Deutschland?
Sofuoğlu: Die würden natürlich das Problem nicht lösen, weil in drei Städten leben zwar Türken, aber jetzt natürlich nicht alle Türken. Deswegen wäre aus meiner Sicht und auch aus unserer Sicht die bessere Lösung, jetzt Türkisch als Fremdsprache als Fach in den deutschen Schulunterricht zu integrieren, sodass auch viele andere Kinder die Möglichkeit haben, in der Schule Türkisch zu lernen. Türkisch ist ja die zweitgrößte Sprache in Deutschland, und deswegen muss es auch entsprechend aufgewertet werden.
Dobovisek: Das könnten ja tatsächlich zwei Gleise sein, auf denen man fährt: einmal mehr Fremdsprachunterricht auch für deutsche Schüler zum Beispiel an deutschen Schulen, aber eben auch diese drei türkischen Schulen. Für wen wären denn solche türkischen Schulen überhaupt interessant aus Ihrer Sicht?
Sofuoğlu: Für die Menschen, die in den Städten leben, könnte es eventuell gut sein, aber das muss genau überprüft werden. Deswegen kann ich diese Skepsis gut nachvollziehen. Es muss genau überprüft werden, welche Inhalte dieser Unterricht haben wird, diese Schulen haben werden und welcher Aufsichtsbehörde sie unterstehen, und es wird ja, so wie ich das deutsche Bildungssystem kenne, natürlich den Landesregierungen unterstellt werden. Es muss genau überprüft werden, mit welchen Inhalten diese ganzen Schulen jetzt ausgestattet werden. Deswegen sehe ich das ganz gelassen, weil wie gesagt in Deutschland sind 30 – ich hab mich mal ein bisschen informiert – 30 russische Schulen, und es gibt viele andere Schulen. Da würde ich jetzt diese ganze Entwicklung unabhängig von der Haltung zu Erdogan ein bisschen besonnen empfangen.
Dobovisek: Sie sagen aber trotzdem, die Schulen müssten unabhängig sein von Ankara.
Sofuoğlu: Das ist auf jeden Fall wichtig, dass die Schulen unabhängig sind, nicht nur von Ankara, sondern auch von irgendwelchen Ideologien. Es gibt ja schon einige türkische Schulen, die ja jetzt nicht unbedingt ideologiefrei sind. Die wurden ja von dieser Gülen-Sekte damals gegründet, die jetzt in verschiedenen Städten in Deutschland existieren, die sind aus meiner Sicht auch nicht unproblematisch.
"Gesamtbildungspolitische Lösung wäre angebracht"
Dobovisek: Da gibt es zum Beispiel auch wirkliche allgemeinbildende Schulen in Berlin, die von dieser Bewegung oder zumindest Vereinen, die der Bewegung nahestehen sollen, betrieben werden. Ist das generell ein Problem, weil man solche Vereine – und es würden ja auch Vereine sind, die diese drei türkischen Schulen in Deutschland betreiben sollen – einfach nicht bis ins letzte Detail kontrollieren kann?
Sofuoğlu: Man kann natürlich nicht alles bis ins letzte Detail kontrollieren. Die Schulen, die jetzt schon existieren, werden auch nicht kontrolliert. Es muss auf einer gewissen Vertrauensbasis passieren, was jetzt gerade leider in dem deutsch-türkischen Verhältnis eine Mangelware ist. Deswegen würde ich von mir aus eher von einem Bedarf ausgehen und diese ganze Diskussion dafür nutzen, welchen Bedarf jetzt türkische Kinder und Schüler haben. Es geht ja nicht nur um manche Schüler, die jetzt in bestimmte Schulen gehen, sondern um alle Schüler und Schülerinnen, die türkischer Herkunft sind, dass man auch wie gesagt diese Möglichkeit auch allen Kindern und Schülerinnen und Schülern in Deutschland anbieten kann. Deswegen wäre eine solche Gesamtlösung, gesamtbildungspolitische Lösung angebracht.
Dobovisek: Die Ditib, die ist auch offiziell ein Verein, ein Verein, wie es denn ja auch Vereine wären, die solche Schulen betreiben würden. Vertrauen Sie der Ditib?
Sofuoğlu: Die Vereine müssen sich auf jeden Fall entscheiden, wie sie sich definieren, ob die Vereine wirklich Vereine, die jetzt die Einwanderungsgesellschaft in Deutschland mit aufbauen wollen, oder ob sie sich einfach als verlängerter Arm einer Regierung oder einer politischen oder einer religiösen Gruppierung sehen wollen. Und da ist die Ditib gerade natürlich in der Diskussion. Die haben ja neulich angefangen, ihre erste Ausbildungsstätte für Imame zu eröffnen…
Dobovisek: Das war jetzt am Donnerstag. Die haben ein eigenes Ausbildungszentrum in der Eifel eröffnet. Schwindet damit die Nähe zu Ankara aus Ihrer Sicht?
Sofuoğlu: Da stellt sich immer wieder die Frage, wie sich die Ditib in Zukunft positioniert, wie sich die Imame jetzt in Zukunft positionieren werden, ob sie weiterhin Beamten des türkischen Staates sein werden oder wirklich Imame in Deutschland, die hier ausgebildet werden und auch entsprechend nach den Bedürfnissen der Menschen in Deutschland ihre religiöse Arbeit vornehmen.
"Landesregierungen obliegt die Aufsichtshoheit"
Dobovisek: Wenn wir also von den Imamen wieder zurück zu Lehrern und Schülern kommen, wer also müsste die Unabhängigkeit garantieren in Deutschland für solche Einrichtungen?
Sofuoğlu: Die Landesregierungen, denen obliegt ja die ganze Aufsichtshoheit. Deswegen müssen die Landesregierungen, in denen jetzt diese Schulen gegründet werden, sehr eng mit den staatlichen… oder mit den Vereinen zusammenarbeiten, die ja später die Schulen tragen sollen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.