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Turgut Erçetin
Kreative Klanggestaltung

Der türkische Komponist und Klangforscher Turgut Erçetin kam durch die Geräusche Istanbuls zur Musik. Er misst die Akustik von Räumen und baut Effekte wie Echo und Nachhall in seine Stücke ein. Die Töne seiner Heimat kann er derzeit nicht hören: Er ist auch politischer Aktivist und traut sich nicht mehr in die Türkei.

Von Oliver Kranz |
    Berlin: St. Elisabethkirche in der Invalidenstraße.
    Auch für die Berliner Elisabethkirche hat Turgut Erçetin ein Stück geschrieben. (imago)
    Turgut Erçetin misst die Akustik von Räumen und baut Effekte wie Echo und Nachhall in seine Kompositionen ein. Das hat viel mit Mathematik, aber auch mit kreativer Klanggestaltung zu tun. Da der Komponist zurzeit mit einem Stipendium in Berlin lebt, hat er ein Stück für die Elisabethkirche geschrieben.
    Turgut Erçetin hat die Sängerinnen und Sänger im Raum verteilt, um einen ausgewogenen Klang zu erhalten. Die Gleichberechtigung männlicher und weiblicher Stimmen ist ihm sehr wichtig.
    "Die türkische Kultur ist eine Männerkultur. Das hat sich auch in unsere Sprache eingeschrieben. Wenn wir zum Beispiel sagen wollen: 'Mach etwas richtig', dann sagen wir: 'Mach es wie ein Mann'. Niemand denkt darüber nach. Im kurdischen Widerstand gibt es Gruppen, die von Frauen geführt werden. Das finde ich revolutionär, weil es die herrschende Kultur komplett in Frage stellt. Für mich ist das ein Schlüssel zum Erfolg."
    Von der Umwelt inspiriert - als Künstler und als Aktivist
    Turgut Erçetin ist nicht nur Künstler, sondern auch politischer Aktivist. Er setzt sich für die Gleichberechtigung von Mann und Frau und für die Rechte von Minderheiten in der Türkei ein - zuallererst für die der Kurden. Er warnt vor einer Denkhaltung, die er als türkische Genozidkultur bezeichnet. Was vor hundert Jahren den Armeniern widerfuhr, sagt er, könne sich heute an den Kurden wiederholen. Turgut Erçetin ist selbst Türke. Er wurde 1983 in Istanbul geboren und kam durch die Geräusche der Stadt zur Musik:
    "Ich habe am Bosporus gewohnt, gleich unter der Brücke. Das war ein Alptraum. Andauernd kamen Touristenschiffe mit Musik vorbei. Man hörte das Dröhnen der schlechten Lautsprecher, das von der Brücke reflektiert wurde. Da habe ich angefangen, mich für solche Effekte zu interessieren und solche Musik zu schreiben."
    Turgut Erçetin studierte erst in Istanbul, dann an der Stanford Universität in den USA. 2009, als er die Türkei verließ, war Recep Tayyip Erdoğan schon sechs Jahre Ministerpräsident. Er galt als Hoffnungsträger des Westens. Turgut Erçetin sah ihn kritischer …
    "Ich wusste, dass er aus einem rassistischen, extrem rechtsgerichteten Umfeld stammt. Daher habe ich ihm seine Versprechungen nicht geglaubt. Am Anfang seiner Amtszeit hat er noch betont, er wolle der Ministerpräsident aller Türken sein. Er wolle eine neue Türkei schaffen. Dabei hat sich an der politischen Kultur nichts geändert. Das Land wird von einer bestimmten Klasse beherrscht. Es wurden zwar ein paar Gesichter ausgetauscht, aber im Grunde ist alles beim Alten geblieben. Die Herrschenden in der Türkei waren immer Rassisten. Jetzt können sie diese Haltung offen ausleben."
    "Einzelhaft und Stille: Das ist Folter"
    Viele kurdische Freunde Turgut Erçetins sind inzwischen in Haft. 2011 komponierte er ein Streichquartett, das die Verhältnisse in türkischen Gefängnissen beschreibt.
    "Ich habe die Gefängnisatmosphäre auf der Grundlage von Berichten ehemaliger Gefangener rekonstruiert. Eine Freundin von mir saß in Einzelhaft in einer absolut stillen Zelle. Das war Folter. Der Mensch ist ein soziales Wesen und braucht eine Beziehung zur Außenwelt. In meiner Komposition wandern die Töne um den Zuhörer herum. Ich glaube, dass Bewegung sehr wichtig ist. In meinem Stück geht es um die Mobilität der Klangwelt, die uns umgibt."
    Turgut Erçetin hat auch ein Stück komponiert, in dem er Geräusche der Gezi-Park-Proteste des Jahres 2013 verarbeitet. Inzwischen traut er sich nicht mehr, die Türkei zu besuchen:
    "Das Land ist im Ausnahmezustand, da können Menschen ohne Angabe von Gründen festgenommen werden. Oft erfahren die Inhaftierten erst vor Gericht, was ihnen überhaupt vorgeworfen wird. Das kann jedem passieren. Deswegen traut sich in der Türkei momentan niemand mehr, etwas zu sagen …"
    In der Türkei steht zurzeit viel auf dem Spiel. Präsident Erdoğan plant eine Verfassungsänderung, die ihn zum unanfechtbaren Alleinherrscher machen würde. Deutschland, sagt Turgut Erçetin sollte die türkische Opposition unterstützen.
    Noch gebe es Türken und Kurden, die die Hoffnung auf einen politischen Wandel nicht aufgegeben haben.
    "There are Turkish people and Kurdish people who are still believing in change and believing: it can happen."