Die Titelmelodie zur TV-Doku-Serie über Korruption in China klingt dramatisch, schwer und zugleich entschlossen. In der ersten Episode muss unter anderem Li Chuncheng vor die Kamera, ehemaliger stellvertretender Parteichef der Provinz Sichuan. Ein sogenannter Tiger, ein hoher Polit-Funktionär der Kommunistischen Partei Chinas. Sein Blick leidend, er schluchzt und weint.
"Es tut mir vor der Partei leid, vor den Menschen und vor den Kadern und Massen, die mir in Chengdu gefolgt sind. Ich hätte ihre Werte positiv beeinflussen sollen. Aber was habe ich nur getan!"
Umgerechnet sechs Millionen Euro soll Li an Korruptionsgeldern kassiert haben. Strafe: 13 Jahre Gefängnis. Oder Bai Enpai, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des Umweltausschusses im Nationalen Volkskongress. Auch er auf dem medialen Beichtstuhl.
"Ich bereue meine Taten zutiefst. Als Parteiführer wurde ich so viele Jahre von der Kommunistischen Partei trainiert und ausgebildet. Wie konnte ich nur so ein korrupter Funktionär werden? Ich habe der Partei großen Schaden zugefügt."
Die Korruptionswächter haben bei Bai Enpai unter anderem Jade-Armbänder im Wert von jeweils zwei Millionen Euro sichergestellt. Bai hat die Todesstrafe mit zwei Jahren Aufschub bekommen. Das bedeutet in der Regel, dass die Strafe nach zwei Jahren in lebenslange Haft umgewandelt wird.
Eine Art Tätigkeitsbericht der Korruptionsjäger
Medien haben die Dokureihe als Chinas reale "House of Cards"-Serie bezeichnet. Und sie kommt zur besten Sendezeit abends um 8 Uhr, wenn hunderte Millionen Chinesen vor dem Fernseher sitzen. Es ist eine Art Tätigkeitsbericht der Korruptionsjäger, die Staats- und Parteichef Xi Jinping zum Beginn seiner Amtszeit eingesetzt hat. Und Präsident Xi selbst gibt in der Doku den Rahmen vor:
"Alle Parteimitglieder müssen verstehen, warum wir mit allen Mitteln die Korruption bekämpfen müssen. Die Menschen vertrauen uns die Macht an. Wir müssen bereit sein, für das Schicksal des Landes und der Partei zu sterben. Wir müssen die Dinge tun, die getan werden müssen. Wenn Leute bestraft werden müssen, müssen wir sie bestrafen. Wenn wir Tausende korrupte Funktionäre nicht bestrafen, stoßen wir 1,3 Milliarden Menschen vor den Kopf."
Chinas Staatssender "CCTV1" strahlt die Serie passend zum Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei aus. Wenn das Treffen der Parteielite heute in Peking beginnt, ist das oberste Thema die Parteidisziplin. Die Doku soll der Öffentlichkeit zeigen, wie erfolgreich der Kampf gegen Korruption unter Xi Jinping bislang verlaufen ist. Sie stellt aber die wichtigen Fragen nicht, sagt Kritiker und Politikwissenschaftler Wu Qiang von der Tsinghua Universität in Peking.
"Auch, wenn viele tränenreich bereuen und bekennen: Die Wurzeln des Problems werden ausgeblendet. Nichts deutet in der Serie darauf hin, dass das Ein-Parteien-System die Wurzel der Korruption ist. Das System der Ein-Parteien-Diktatur monopolisiert die Macht. Vermischt mit Elementen der Marktwirtschaft wird es zum Nährboden für Korruption."
Seit Beginn der Amtszeit Xi Jinpings vor vier Jahren hat der Kampf gegen Korruption oberste Priorität. Tausende führende Parteikader sind festgenommen und angeklagt worden. Experten sehen in der Säuberungskampagne auch den Versuch von Präsident Xi, durch einen orchestrierten Kahlschlag Kritiker und Gegner aus dem Weg zu schaffen und die politische Macht in China weiter zu zentralisieren. Die Dokuserie macht unmissverständlich klar: Chinas Führer sind damit noch nicht am Ende.