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Über die "Droge Politik"
"Macht ist etwas sehr Zweischneidiges"

"Deutschland wird momentan von Menschen regiert, die das Rentenalter schon überschritten haben", sagte der Politologe Andreas Anter im Dlf. Für viele Politiker sei es schwer, abzutreten. Besonders für jüngere Menschen sei es daher unattraktiv, sich politisch zu engagieren.

Andreas Anter im Gespräch mit Jonas Reese |
    Kanzlerin Merkel und CSU-Chef Seehofer bei einem früheren Treffen
    Kanzlerin Merkel und CSU-Chef Seehofer beraten heute über den künftigen Kurs der Union (afp)
    Jonas Reese: Familientreffen nennt es die FAZ. Die beiden Schwesterparteien CDU und CSU treffen sich heute zu einem Gipfel in Berlin, um zu prüfen, ob sie auch wirklich noch Schwestern sind - inhaltlich. Vor Jamaika-Koalitionsgesprächen soll der gemeinsame Kurs beraten werden.
    Familientreffen nennt es die FAZ. Man könnte es aber auch ketzerisch Seniorentreffen nennen. Mit 63 Jahren gehört Angela Merkel schon zu den jüngeren in dieser Runde. Horst Seehofer 68, Volker Kauder ebenfalls 68, Wolfgang Schäuble 75 Jahre. Sie werden die groben Leitlinien für die kommende Legislaturperiode festlegen. Ihre Ideen werden das Land prägen.
    Frage an Andreas Anter, Politologe an der Uni Erfurt: Deutschland wird von Rentnern regiert. Kann das gut sein für ein Land?
    "Demnächst wird eine deutlich jüngere Mannschaft antreten"
    Andreas Anter: Es hat schon Zeiten gegeben, da wurde Deutschland noch von viel älteren Personen regiert. Als Adenauer Kanzler wurde, war er schon weit über 70. Ich glaube, wir haben es damit zu tun, dass es einen Generationenwechsel bisher noch nicht gegeben hat, den es demnächst geben wird. Dann wird eine deutlich jüngere Mannschaft antreten. Aber im Moment ist es wirklich so, dass Deutschland von Menschen regiert wird, die das Rentenalter schon überschritten haben.
    Reese: Aber das muss nicht schlimm sein?
    Anter: Das muss nichts Schlimmes sein. Im Gegenteil! Es wurde zu allen Zeiten darauf hingewiesen, dass Leute, die älter sind, mehr Erfahrung haben, Lebenserfahrung, politische Erfahrung, und dass das nichts Schlechtes sein muss.
    Reese: Aber man würde jetzt eher von jungen Menschen erwarten, neue Visionen zu entwickeln, neue Ideen. Kann man das von älteren Menschen auch in der Politik?
    "Nicht das Alter ist ausschlaggebend, ob man innovativ ist oder nicht"
    Anter: Ich glaube, man kann nicht pauschal sagen, dass jüngere Menschen immer diejenigen mit den Visionen sind und die Veränderungen anstoßen. Es hat ja auch viele ältere Politiker gegeben, die zu allen Zeiten revolutionäre Veränderungen herbeigeführt haben. Es hat auch viele jüngere Politiker gegeben, die sehr konservativ im wörtlichen Sinne, im Sinne von bewahrend, eingestellt waren. Das heißt, von denjenigen hätte man nie etwas Revolutionäres erwartet. Von daher glaube ich nicht, dass von vornherein das Alter ausschlaggebend ist für die Frage, ob man innovativ ist oder nicht.
    Reese: Sagt das denn was aus über die deutsche Politiklandschaft, wenn die großen Vier, die ich gerade genannt habe, schon knapp vor oder über dem Renteneintrittsalter stehen? Sagt das was aus darüber, dass vielleicht junge Menschen in der deutschen Politik schwerer aufsteigen können?
    Anter: Auf jeden Fall. Das wird auch beklagt, dass wir in einer Zeit leben, was die Parteipolitik angeht, die sehr festgefahren ist und in der es in den Parteien wenig Veränderung gibt. Aus dem Grund gibt es ja populistische Parteien und, sagen wir mal, Protestparteien, die dagegen rebellieren. Es würde diese Parteien nicht geben, wenn es nicht diese Struktur gäbe, dass man den Eindruck hat, dass vieles sich verfestigt hat und wenig sich verändert. Sie fragen nach den jüngeren Leuten. Damit hängt zusammen, dass viele Jüngere das Gefühl haben, dass sie in der Politik nichts zu suchen haben, weil die Politik ihnen keine Angebote macht, dass es viel zu unattraktiv ist, sich politisch zu engagieren, weil die Politik beherrscht wird von älteren Herrschaften, die das Sagen haben.
    Reese: Jetzt werden diese Spitzenpositionen entweder frei durch Putsch, oder wenn die Spitzenpolitiker selbst sagen, okay, das war’s, ich trete zurück. Das kann man jetzt von Angela Merkel und Horst Seehofer zumindest kurzfristig nicht erwarten, auch wenn sie angezählt sind nach der Bundestagswahl. Sie haben beide massive Stimmenverluste zu verkraften. Sie machen aber trotzdem weiter. Warum ist es so schwer offenbar, als Spitzenpolitiker abzutreten?
    "Kaum ein Politiker ist freiwillig abgetreten"
    Anter: Vielleicht hat das etwas zu tun mit dem, was man "Droge Politik" nennen kann. Es ist sehr selten vorgekommen, dass Politiker freiwillig gesagt haben, jetzt ist genug, jetzt trete ich ab. Im Gegenteil! Es war so, dass Politiker immer eigentlich gezwungen werden mussten, abzutreten. Das war schon beim ersten Bundeskanzler so, bei Adenauer, den man mitten in der Legislaturperiode absägen musste. Die eigene Partei hatte ihn abgesägt, weil man den Eindruck hatte, es geht mit ihm nicht weiter. Und Helmut Kohl hätte, wenn er früher abgetreten wäre, sicherlich ein besseres Erbe hinterlassen können. Er hat weitergemacht im Wissen darum, dass er gegen Schröder verlieren würde, weil die Wähler ihn nicht mehr haben wollten. Das heißt, abzutreten ist sehr schwer und bisher ist kaum ein Politiker freiwillig abgetreten. Im Gegenteil ist es so, dass meistens die eigene Partei ihn zwingen musste, oder aber eine Wählerentscheidung.
    Reese: Warum ist es so schwer abzutreten? Ist es die Angst vor der Bedeutungslosigkeit? Ist es die Sucht, wie Sie es genannt haben? Oder ist man machtbesessen? Wie erklären Sie sich das?
    Anter: Hier ist interessant, wenn man zurückgreift auf Berichte von ehemaligen Politikern, von denjenigen, die nach einem Abstand von zehn Jahren ihre Memoiren geschrieben haben. Die berichten eigentlich übereinstimmend von diesem Phänomen der Leere, die plötzlich einen befällt, wenn man nicht mehr gefragt wird, wenn man nicht mehr jeden Tag Termine hat und gefragt ist und in einem Hamsterrad sich bewegt. Davor haben viele Angst, davor, dass man nicht mehr derjenige ist, der entscheidet und auf den es ankommt und der gefragt wird. Diese Leere, das ist eine Angst, die viele haben vor dem, was dann eintritt, wenn sie nicht mehr aktiv sind.
    Reese: Um da im Vokabular der Drogen zu bleiben: Man hat dann quasi Entzugserscheinungen?
    "Es gibt keine finanziellen Anreize, in die Politik zu gehen"
    Anter: Man hat Entzugserscheinungen. Wenige sind so offen, dass sie darüber sprechen. Einer der wenigen, die sehr offen darüber gesprochen haben, ist Horst Seehofer. Nachdem das erste Mal seine Karriere geknickt war, berichtete er davon, dass er in seinem Haus saß und das Telefon war still, über Tage lang still. Und er berichtete davon, dass es eine lähmende, eine für ihn furchtbare Erfahrung war, abgehängt zu sein, und wie er sich danach gesehnt hat, sich wieder ins Spiel bringen zu können, wieder in der Partei Fuß zu fassen, wieder der entscheidende Mann zu sein. Das ist ihm geglückt, aber er ist einer der wenigen, die darüber Auskunft gegeben haben, was das bedeutet. Die meisten sind weniger auskunftsfreudig, zumindest in ihrer aktiven Zeit, und halten sich eher bedeckt, was meistens ja auch klug ist, weil diese Dinge werden ja meistens dann gegen einen auch verwendet.
    Reese: Herr Anter, das klingt jetzt ja etwas beunruhigend, wenn man sich vorstellt, man wird sozusagen von einer Reihe von Süchtigen regiert, denen die Wiederwahl wichtiger ist als der Grund, wofür sie wiedergewählt werden.
    Anter: Ich würde nicht sagen, dass das etwas Bedrohliches ist, weil wenn man sich fragt, warum geht man überhaupt in die Politik, dann gibt es natürlich einige Gründe, die man nennen kann. Man möchte etwas bewegen, man möchte seine eigenen Ideen verfolgen und versuchen, sie durchzusetzen. Es gibt keine finanziellen Anreize, dort hinzugehen, weil dafür gibt es andere Bereiche, in denen es wesentlich lukrativer ist, finanziell lukrativer ist. Also muss es irgendetwas geben, was einen daran reizt, dort aktiv zu werden. Und wenn man sich das genauer ansieht, was ist eigentlich dasjenige, was einen in die Politik treibt, und was ist es, worum es in der Politik geht – es geht ja in der Politik darum, sich durchzusetzen, um eigene Ideen zu verwirklichen -, dann muss man sagen, dass die Macht tatsächlich etwas ist, was in der Politik eine große Rolle spielt und ohne die es die Politik gar nicht gäbe.
    Reese: Henry Kissinger hat einmal gesagt, Macht ist das stärkste Aphrodisiakum. Darauf zielen Sie ab?
    "Die Erotik der Macht"
    Anter: Ja. Kissinger war auch jemand, der sehr auskunftsfreudig ist, muss man ja sagen, und er hat sehr offen darüber gesprochen – er hat ja auch Knicke in seiner Karriere gehabt -, was es bedeutet, nicht mehr an entscheidender Stelle zu sein. Er sagt nun Aphrodisiakum. Ich glaube, das ist eine sehr zugespitzte, sagen wir mal, Beschreibung, weil das ja auf die Erotik der Macht abzielt. Kissinger hat sie sicherlich so empfunden, auch Nixon, für den er gearbeitet hat, hat sie so empfunden. Andere haben das weniger in erotischen Kategorien beschrieben wie Willy Brandt, der auch natürlich nach Macht strebte, aber der auch gleichzeitig dieses Zähe und dieses Unerotische der Macht beschrieben hat, das was einen auch abschreckt und was ihn selber auch geängstigt hat.
    Reese: Muss man denn Ihrer Meinung nach Mitleid mit diesen ganzen Spitzenpolitikern haben, die dann in ein Loch fallen, wenn sie nicht mehr diese Spitzenpositionen innehaben?
    Anter: Mitleid wäre sicherlich übertrieben, weil es waren ja Personen, die vieles bewegt haben und im Mittelpunkt der Öffentlichkeit und des Interesses standen und ihre Politik ja oft auch machtvoll durchsetzen konnten. Deshalb ist, glaube ich, Mitleid nicht angebracht. Aber ich glaube schon, dass man verstehen muss, was sich dort abspielt, und dass man Verständnis haben muss für manche vielleicht unorthodoxen Volten, die manche Politiker schlagen, nachdem sie aus dem Amt herausgedrängt wurden oder herausgewählt wurden. Verständnis wäre sicherlich sinnvoll, aber Mitleid eher nicht.
    Reese: Ist Macht ungesund?
    "Macht kommt nicht nur in der Politik vor"
    Anter: Das kann man so nicht sagen. Macht ist ja etwas, was nicht nur in der Politik vorkommt, sondern auch in sozialen Beziehungen, in Institutionen, eigentlich in jedem Berufsleben. Das heißt, wir erleben Macht selbst jeden Tag. Wir üben Macht aus, wir sind Macht ausgesetzt in verschiedenen Positionen, und wir spüren ja auch, dass Macht etwas Vorteilhaftes sein kann. Macht strukturiert Entscheidungen. Wenn wir in jeder Situation neu diskutieren müssten, wer was wem zu sagen hat, das würde sehr anstrengend. Deshalb kann man nicht von vornherein sagen, dass Macht etwas ist, über das man sich Sorgen machen müsste, oder etwas Schlechtes ist, sondern Macht hat zwei Seiten: die positive Seite, die funktionale Seite, die uns allen gut gefällt, weil wir damit gut zurechtkommen und weil sie uns das Leben erleichtert, und diese Seite, die ins Gegenteil umschlägt und in Hybris umschlägt, Machtanmaßung, das Streben nach absoluter Macht. Das heißt, man muss sich dessen bewusst sein, dass Macht etwas sehr Zweischneidiges ist.
    Reese: Sie macht auf jeden Fall abhängig, haben wir gerade gelernt, Herr Anter. Was für einen Rat hätten Sie denn vielleicht an Angela Merkel und Horst Seehofer, um diesen Entzugserscheinungen vorzubeugen und vielleicht einen guten Abgang irgendwann mal hinzulegen?
    Anter: Der Rat wäre eine alte Indianerweisheit, nämlich steig ab, wenn Du merkst, dass Dein Gaul lahm wird.
    Reese: Aber manchmal merkt man es ja gar nicht, wann der Gaul lahmt.
    "Die Umgebung merkt es als erstes, wann es nicht mehr läuft"
    Anter: Das ist richtig. Das ist auch etwas, was kaum als Problem zu lösen ist, weil die Umgebung merkt es ja als erstes, wann der Gaul lahmt und wann es nicht mehr läuft und wann die Gefolgschaft schwindet. Das heißt, die Umgebung merkt es als erstes, und man könnte vielleicht doch raten, dass man sich mit Leuten umgibt, die ein kritisches Urteil haben und die einem rechtzeitig sagen, wann es Zeit ist zu gehen.
    Reese: Würde es auch helfen, sich ein Hobby zuzulegen, vielleicht, dass Horst Seehofer wieder öfter mit seiner Miniatureisenbahn im Keller spielt?
    Anter: Ja, ein Hobby ist immer sehr gut. Das empfiehlt man ja auch denjenigen, die überhaupt in Pension oder in Rente gehen, dass dies das A und O ist, um nicht in ein Loch zu fallen und Altersdepressionen zu bekommen. Das heißt, wenn man weiß, womit man sich beschäftigen kann, etwas Interessantes, was einem Spaß macht, dann ist das immer sehr hilfreich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.