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Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft
Zweifel an Rumäniens Kompetenz

Korruption, politische Machtkämpfe und eine umstrittene Justizreform: Mit Rumänien übernimmt am 1. Januar 2019 ein Land die EU-Ratspräsidentschaft, das innenpolitisch auf wackeligen Beinen steht. Viele Beobachter fragen sich deshalb, ob Rumänien den EU-Ratsvorsitz überhaupt schultern kann.

Von Thomas Wagner | 27.12.2018
    Der rumänische Präsident Klaus Iohannis währen des EU-Gipfels zum Brexit am 25. November 2018
    Politische Machtkämpfe: Der rumänische Staatspräsident Klaus Iohannis bezeichnete die Regierung des Landes als "schweren Unfall für die Demokratie" (imago / Thierry Roge)
    Es riecht angenehm nach "Vin fiert", nach Glühwein – und nach "Porumb", nach gerösteten Maiskolben: Der Weihnachtsmarkt im westrumänischen Timisoara, auf dem großen Platz zwischen Oper und Kathedrale, ist noch bis weit in den Januar hinein geöffnet. Cornel, einer der Händler, verkauft Kissen, wärmende Handschuhe und Mützen – und ist so kurz vor dem Jahreswechsel ein klein wenig stolz auf sein Land.
    "Die Übernahme der europäischen Ratspräsidentschaft bedeutet für Rumänien eine große Chance. Es ist für uns eine große Ehre."
    Dann jedoch hält Cornel für einen Moment inne, bevor er fortfährt: "Ein großes Problem ist nur, dass wir eigentlich keine Leute haben, die diese Aufgabe wahrnehmen könnten. Ich persönlich bin enttäuscht, wie fast alle Rumänen. Na, sagen wir mal: 90 Prozent aller Rumäninnen und Rumänen sind enttäuscht über die ‚politische Klasse‘ in unserem Land. Sie arbeiten nur für ihre eigene Tasche, nicht zum Wohl des Volkes."
    Enttäuschung und Wut über die politische Klasse
    Ein paar Stände weiter nippt Bogdan, Anfang 60, an seinem Zuika, einem rumänischen Pflaumenschnaps – und wird noch ein wenig deutlicher:
    "Rumänien ist ein Land, das im Moment einer kriminellen Bande in die Hände gefallen ist. Das ist die Wirklichkeit."
    Enttäuschung, Frust, ja sogar Wut über die, wie es heißt, "politische Klasse" des Landes auf dem Weihnachtsmarkt von Timisoara so kurz vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft – das hat zu tun mit einer Art ‚Kampf der Giganten‘, mit dem Dauerkonflikt gleich zweier Präsidenten.
    Der eine ist Staatspräsident: Klaus Johannis, Jahrgang 1959, rumäniendeutsche Wurzeln – und er spricht von einem "schweren Unfall für die Demokratie Rumäniens, nämlich die Regierung Dragnea-Dancilla. Es gibt keine Perspektive für eine gute Regierungsführung - und für die Anwendung der Grundsätze der Europäischen Union. Das ist sehr schlimm."
    Staatspräsident und Parteipräsident: Vereint in gegenseitiger Abneigung
    Der andere ist Parteipräsident und Präsident des rumänischen Abgeordnetenhauses: Liviu Dragnea, Jahrgang 1962, Chef der "Partidul Social Demokrat PSD", wie sich die regierenden rumänischen Sozialdemokraten nennen:
    "Was wir hier sehen, ist kein Staatspräsident, sondern ein Fake-Präsident, ein falscher Präsident, der einem Parallelstaat vorsteht."
    Will heißen: Der Staatspräsident und der Parteipräsident sind sich in größtmöglicher Abneigung zugetan. Hinzu kommt, dass der Parteipräsident wiederum nicht Ministerpräsident werden kann, weil er 2015 wegen Wahlfälschung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde – und im Spätsommer dieses Jahres zu dreieinhalb Jahren Haft wegen Amtsmissbrauches. Dieses Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig.
    Und so wirkt denn PSD-Parteipräsident Dragnea, immer noch in Freiheit, eher aus dem Hintergrund als mächtiger Strippenzieher der rumänischen Regierungspolitik. Denn seine PSD bildet mit der "Allianz der Liberalen und Demokraten" eine Koalitionsregierung. Und die unternimmt derzeit alles, um dem PSD-Parteipräsidenten Dragnea den drohenden Knast zu ersparen.
    "Die Regierenden möchten eine Eilverordnung zur Amnestie bringen, natürlich um den Parteivorsitzenden beziehungsweise anderen Politikern aus ihren Reihen eine reine Weste zu verschaffen. Das ist unerhört. Also das heißt. Der Parteichef entscheidet. Die Premierministerin macht eine Eilverordnung. Und der Parteivorsitzende wird reingewaschen." Erregt sich der rumänische Parlamentsabgeordnete Ovideo Gant über den jüngsten Regierungsplan.
    Anti-Korruptionsstaatsanwältin auf Druck der Regierungspartei entlassen
    Gant vertritt das Demokratische Forum der Deutschen im rumänischen Parlament – und zeigt sich besorgt über Schritte zum Abbau der Rechtsstaatlichkeit in Rumänien.
    "Die Tatsache, dass der Justizminister die Staatsanwälte ernennt, entlässt, kontrolliert, Druck machen kann. Jetzt werden der Generalstaatsanwalt attackiert und die Präsidentin des obersten Gerichts unter Druck gestellt."
    Hinzu kommt die Entlassung der obersten Anti-Korruptionsstaatsanwältin auf Druck der Regierungspartei. All dies hat auch die so genannte "Venedig-Kommission" der EU mit allerlei Bedenken auf den Plan gerufen – Bedenken, die bei der Regierung in Bukarest aber auf taube Ohren stießen.
    Vor diesem Hintergrund werde es spannend, ob Rumänien die EU-Ratspräsidentschaft mit allen damit verbunden Aufgaben stemmen wird: "Ich kann nur hoffen, dass Rumänien es schafft und dass sich die Regierung nicht blamiert."
    Regierungschefin Viorica Dancila versucht Blamage abzuwenden
    Die gibt sich alle Mühe, eine Blamage abzuwenden – was nicht einfach ist, weil der für die Vorbereitung der EU-Ratspräsidentschaft vorgesehene Europaminister im November hingeworfen hat und der Amtsnachfolger nun im Schweinsgalopp die anstehenden Aufgaben stemmen muss. Allerdings: Regierungschefin Viorica Dancila hat die wichtigsten Themen zur Chefsache erklärt.
    Vom Brexit über die EU-Agrarpolitik bis hin zu gemeinsamen Positionen zur Migration zählt die Regierungschefin die Themen auf, die während der EU-Ratspräsidentschaft Rumäniens anstehen, und zu deren Lösung man einiges beitragen wolle. Neben ihr sitzt – ein seltenes Bild - der rumänische Staatspräsident Klaus Johannis – eben jener Staatspräsident, der in den vergangenen Monaten die Regierung so häufig kritisiert hat. Nur: Wenn es um Europa geht, müsse man das Kriegsbeil begraben – zumindest vorübergehend.
    "Da klaffen ja, und das ist ja bekannt, riesige Meinungsunterschiede zwischen uns. Aber: Wenn es um die derzeit wichtigste nationale Frage geht, nämlich um die Frage der EU-Präsidentschaft, können wir es uns nicht erlauben, nicht miteinander zusammenzuarbeiten."
    Ratsvorsitz als Chance?
    Ovideo Gant, Parlamentsabgeordneter der rumäniendeutschen Minderheit, sieht in der bevorstehenden EU-Ratspräsidentschaft auch eine Chance – nämlich die, dass vor allem der umstrittene Umbau des Justizsystems, in seinen Augen eine Teil-Demontage des Rechtsstaates, verstärkt in den europäischen Fokus rückt – und auch in den Fokus jener Fraktionsgemeinschaften im EU-Parlament, der auch die regierenden Sozialdemokraten Rumäniens angehören.
    "Ich frage mich wirklich: Wie will Spitzenkandidat Timmermanns, Vizepräsident der EU-Kommission, zuständig für Justiz- und Rechtsstaatlichkeit, aber auch Bundesjustizministerin Barley als Spitzenkandidaten in Deutschland mit solchen ‚Genossen‘, sag ich jetzt mal, Arm in Arm in den Europawahlkampf gehen? Müsste man sich hier nicht deutlich positionieren, dass solche Sachen in unserem gemeinsamen Europa nicht akzeptabel sind."