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Übersäuerte Meere
Die Zukunft der Meere ist völlig offen

Es ist schlichte Chemie: Je höher der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre ist, desto mehr sinkt der pH-Wert der Ozeane, sprich: Ihr Wasser wird saurer. Und das macht wiederum den Meeresbewohnern zu schaffen, die Kalk für ihr Skelett oder ihre Schale einsetzen.

Von Dagmar Röhrlich | 20.08.2015
    Fischerboot vor Warnemünde, Mecklenburg-Vorpommern
    Heute liefen die Veränderungen mindestens zehnmal schneller ab als vor 55 Millionen Jahren - und so wisse niemand, was künftig passieren werde. (imago)
    Klimawandel haben den Meeren im Lauf der Erdgeschichte immer weder zugesetzt, beispielsweise auch vor 55 Millionen Jahren. Damals fluteten Treibhausgase die Atmosphäre, die Temperatur stieg innerhalb weniger tausend Jahre global um fünf Grad Celsius an, und der pH-Wert des Meerwassers sank - sprich es wurde saurer:
    "Ich gehöre zu den Forschern, die mithilfe des Geschehens vor Millionen von Jahren die Zukunft der Meere verstehen möchten. Dafür müssen wir jedoch erst einmal wissen, wie die Organismen damals reagiert haben."
    Deshalb schickt Daniela Schmidt von der University of Bristol unter anderem Rotalgen im Labor auf Zeitreise in ein Meer, das so sauer ist, wie es die Ozeane um 2050 sein werden.
    "Um Ozeanversauerung zu verstehen, untersuchen wir Organismen aus unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlichen Lebensräumen - von der Küste bis in die Tiefsee. Wir analysierten also auch fossile Tiefsee-Einzeller aus der Zeit vor 55 Millionen Jahren, dem sogenannten Paläozän-Eozän-Temperaturmaximum."
    Viele Arten bereits ausgestorben
    Damals starben durch die Umweltturbulenzen viele Arten aus. Seltsamerweise überlebten jedoch andere, nahe verwandte Arten:
    "Wir wollen verstehen, warum - ob sie sozusagen ein "Werkzeug" besitzen, das ihnen das Überleben ermöglichte. Die Einzeller aus der Tiefsee, die wir untersuchten, sind sogenannte Foraminiferen. 40 bis 50 Prozent der von ihnen bekannten Arten damals starben aus. Die Fossilien zeigen uns, dass eine der überlebenden Arten kleiner wurde, aber dafür dickere Schalen entwickelte. Sie konnte also mehr Kalziumkarbonat abscheiden, obwohl sie so klein waren."
    Sie bauten eine Art Schutzpanzer für das Überleben in einer saureren Umwelt auf. Auch die Muscheln und Rotalgen im Labor verändern den Aufbau ihrer Schalen und Skelette - ein Trend, der sich in der Natur seit 100 Jahren beobachten lässt:
    "Die Rotalgen sind Pflanzen, und Kohlendioxid düngt sie. Wir sehen, dass die Zellen größer werden, aber weil der Aufbau ihres Kalk-Skeletts viel Energie verbraucht, werden die Wände dünner und filigraner."
    Stürme und Fressfeinde
    Außerdem ändert sich nicht nur die Struktur der Rotalgenskelette, sondern auch die chemische Zusammensetzung:
    "In Rotalgen sammelt sich Magnesium normalerweise in hübschen Ringen im Kalkskelett um die Zellen herum an. Unter den Bedingungen, wie sie zur Mitte des 21. Jahrhunderts in den Meeren herrschen werden, verschwinden diese Ringe und die Algen nehmen insgesamt weniger Magnesium auf. Ihr Kalkskelett wird deshalb wahrscheinlich weniger elastisch sein und schwächer."
    Für einer Pflanze, die an der Küste lebt und sich mit Stürmen und Fressfeinden auseinandersetzen muss, wäre das ein Nachteil. Ähnliche Veränderungen in der Chemie treten auch bei Muscheln und Foraminiferen auf. Das hat für die Geochemiker Konsequenzen, die Verschiebungen im Verhältnis von Magnesium und Kalzium als Indikator für Temperaturveränderungen nutzen:
    "Verlassen wir uns diesen Indikator, kann das Ergebnis der Rekonstruktion vergangener Klimaereignisse verfälscht werden. Das Ausmaß dieses Fehlers unterscheidet sich von Art zu Art. Wir könnten die Temperatur in den Meeren früherer Zeiten um drei oder vier Grad unter- oder überschätzen."
    Für ein klares Bild müssen also verschiedene Arten untersucht werden - oder man hat Glück und Proben von den richtigen Organismen: Für Tiefseekorallen stellte sich heraus, das sie die Verhältnisse in ihrer Umwelt immer getreulich widerspiegeln. Wie weit die Lehren aus der Vergangenheit in die Zukunft tragen, ist offen, warnt Daniela Schmidt: Heute liefen die Veränderungen mindestens zehnmal schneller ab als vor 55 Millionen Jahren - und so wisse niemand, was künftig passieren werde.