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Ukraine
"Das Problem ist Russland"

Die Lage in der Ukraine scheint festgefahren. Für Gespräche mit Präsident Viktor Janukowitsch hat die Opposition Vorbedingungen gestellt. Viel hängt von der Haltung Russlands ab, meint Andreas Umland, Dozent für Deutschland- und Europastudien an der Universität Kiew.

Andreas Umland im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 12.12.2013
    Christiane Kaess: Die USA haben die ukrainische Regierung vor dem Einsatz des Militärs gegen die proeuropäischen Demonstranten in Kiew gewarnt. In einem Telefongespräch mit dem ukrainischen Verteidigungsminister Lebedew habe Pentagon-Chef Hagel davor gewarnt, in irgendeiner Weise militärische Gewalt gegen die Protestbewegung einzusetzen. So hieß es in Washington. In Kiew waren Spezialeinheiten der Polizei in der Nacht zum Mittwoch gegen Demonstranten vorgegangen und hatten versucht, den Unabhängigkeitsplatz als Zentrum der Protestbewegung zu räumen. Unter dem Druck der Protestierenden zogen sich die Polizisten später aber wieder zurück und Präsident Janukowitsch bietet jetzt der Opposition Gespräche an.
    Mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann hat gestern Abend mit Andreas Umland gesprochen. Er ist Dozent für Deutschland- und Europastudien und Historiker an der Nationalen Universität Kiew. Dirk-Oliver Heckmann hat ihn zuerst gefragt: Wie würden Sie die Stimmung der Demonstranten beschreiben und wie groß schätzen Sie ihr Durchhaltevermögen ein?
    Andreas Umland: Wie sich in der vergangenen Nacht gezeigt hat, wo es einen Stürmungsversuch gegeben hat - die Polizei hat versucht, das Lager auf dem Unabhängigkeitsplatz zu erstürmen -, sind die Demonstranten sehr entschlossen und haben diesen Angriff quasi zurückgeschlagen und werden von den Kiewern unterstützt. Die Entschlossenheit ist groß und es gibt viele, die sagen, die gehen nicht weg, bevor es keine Lösung gibt.
    Dirk-Oliver Heckmann: Das heißt, die Demonstrationen bekommen eher noch Zulauf?
    Umland: Ja, ja. Je stärker die Unterdrückung, desto stärker wird der Gegendruck aus der Bevölkerung.
    Heckmann: Präsident Janukowitsch, der spricht über drei Stunden lang mit der Außenbeauftragten der EU, mit Lady Ashton. Gleichzeitig ließ er die Sicherheitskräfte in Marsch setzen gestern Nacht. Er gibt sich offenbar gar keine Mühe mehr, sein doppeltes Spiel zu kaschieren. Welchen Eindruck macht das auf Sie?
    Umland: Ja, das sieht tatsächlich merkwürdig aus. Ich weiß nicht, was da für Kalkulationen dahinter stehen. Vielleicht war eine Kalkulation, dass sich die Demonstranten in der Anwesenheit der EU-Außenbeauftragten quasi sicher fühlen würden und man dann größere Chancen hätte, das Lager zu räumen. Aber es hat eine sehr schnelle Mobilisierung gegeben, das geschah alles in tiefer Nacht, und dann sind viele Kiewer auf die Straße gekommen und haben die Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz unterstützt.
    Das Misstrauen gegenüber Janukowitsch ist groß
    Heckmann: Jetzt lädt ja Janukowitsch die Opposition zu Gesprächen ein. Er signalisiert Verhandlungsbereitschaft, zumindest Dialogbereitschaft. Die Opposition hat das abgelehnt. Zurecht aus Ihrer Sicht?
    Umland: Das ist eine schwierige Frage, weil einerseits es Verhandlungen geben muss, aber die Opposition hat verschiedene Vorbedingungen gestellt und will erst mal offenbar ein Signal bekommen, dass Janukowitsch tatsächlich kompromissbereit ist. Ob das jetzt richtig war, gar nicht bei den Verhandlungen zu erscheinen, ist schwer einzuschätzen. Offenbar ist das Misstrauen gegenüber Janukowitsch so groß, dass man erst mal gar nicht mehr mit ihm sprechen möchte.
    Heckmann: Ist das Misstrauen aus Ihrer Sicht zurecht so groß, oder tut man dem Präsidenten da möglicherweise auch ein bisschen Unrecht?
    Umland: Das ist auch eine schwierige Frage. Janukowitsch hat natürlich sehr viel getan, um Misstrauen zu säen. Trotzdem muss natürlich jetzt eine Lösung gefunden werden. Vielleicht kalkuliert die Opposition auch, dass Janukowitsch so viel Autorität verloren hat, dass man im Grunde nur warten muss, bis das Regime in sich zusammenbricht.
    Heckmann: Janukowitsch verfolgt ja so etwas wie eine Schaukelpolitik. Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass er am Ende als Verlierer dasteht und zwischen allen Stühlen sitzt?
    Mit großen Schilden und Helmen ausgerüstete Polizisten stehen auf einer Straße.
    Martialischer Anblick: In Kiew sind Sondereinheiten aufmarschiert. (Anatoly Maltsev / picture alliance / dpa)
    Umland: Ich sehe ihn schon eher als Verlierer, weil er hat sich schon zu sehr verkalkuliert. Er hat diese Großdemonstrationen ganz offenbar nicht vorausgesehen. Diese Unterdrückungs- und Repressionsversuche, die haben alle nicht funktioniert. Das ist schon eine traurige Geschichte, die er da geliefert hat. Vielleicht kalkuliert die Opposition richtig, dass man im Grunde nur warten muss, bis die Regierungspartei auseinanderläuft.
    EU soll auch über Sanktionen gegen Russland nachdenken
    Heckmann: Wie sollte aus Ihrer Sicht jetzt die Europäische Union reagieren? Sollte sie ihr Angebot für Verhandlungen noch mal nachbessern? Heute wurde ja die Forderung aufgestellt, 20 Milliarden Kredite, dann könnte man sich das noch mal überlegen mit der Annäherung an die EU.
    Umland: Ja, ja. Sicherlich muss die EU irgendwie in der jetzigen Situation der Ukraine helfen, unter welcher Regierung auch immer dann die Ukraine ist. Die große Frage, die sich hier aber immer noch stellt, ist, wie sich die EU gegenüber Russland verhält, denn diese ganze Spannung hier ist ja entstanden durch den russischen Druck auf die Ukraine. Der hat meiner Ansicht nach Janukowitsch veranlasst, das Assoziierungsabkommen bei dem Ostpartnerschaftsgipfel in Vilnius nicht zu unterschreiben. Und solange sich die EU nicht in diese Geschichte einmischt, wird Janukowitsch in dieser Zwickmühle sein, dass er einerseits die Forderung hat, das Assoziierungsabkommen zu unterschreiben, andererseits die Drohungen Russlands, dann Sanktionen einzuführen und dann die entsprechenden Betriebe in der Ostukraine mit diesen Sanktionen lahmzulegen.
    Heckmann: Jetzt behauptet Janukowitsch ja, der Kurs der Annäherung an die EU sei ja gar nicht beendet. Gesetz den Fall, dass da was dran sein sollte und nicht nur reine Rhetorik, wie wahrscheinlich wäre es denn, dass Moskau einer Annäherung der Ukraine an die EU zulässt?
    Umland: Ich bin der Meinung, es gibt bestimmte Kommentatoren, die sagen, Janukowitsch will das überhaupt nicht, diese EU-Annäherung. Ich denke, er möchte das schon, nicht, weil er die EU so gut findet, sondern weil er sich selbst durch den Assoziierungsvertrag schützen könnte. Das Problem ist aber Russland und ich denke, Russland muss von der EU umgestimmt werden, und was im Grunde die EU machen müsste, ist, dass sie quasi die Assoziierung mit der Ukraine auch als eine Assoziierung für sich selbst betrachtet. Das heißt, dass sie zum Beispiel eine Warnung an Russland ausspricht, dass, wenn Russland Sanktionen gegen die Ukraine verhängt, dann die EU proportional Sanktionen gegen Russland verhängen würde. Russland ist nämlich ökonomisch abhängig von der EU. Der Großteil der Exporte Russlands geht in die Staaten der Europäischen Union.
    Heckmann: Und Sie denken, dass sich Moskau durch einen solchen Druck beeindrucken lässt?
    Umland: Ja natürlich! Wenn zum Beispiel die EU ankündigen würde, dass sie dann ihre Gaslieferungen aus Russland zurückfahren würde und das ersetzen würde mit Flüssiggas aus anderen Quellen oder mit Schiefergas und so weiter, dann wäre das ein großes Problem für Putin, denn wirtschaftlich sieht es in Russland zurzeit auch nicht gut aus.
    Keiner aus dieser korrupten Politikerkaste
    Heckmann: Schauen wir mal auf die andere Seite, auf Vitali Klitschko, der sich ja mehr und mehr zum Sprecher der Opposition jetzt gemacht hat. Ist die Hoffnung, die auf ihn gerichtet ist, berechtigt?
    Umland: Meiner Ansicht nach schon. Er ist kein professioneller Politiker, er hat noch Probleme, sich flüssig auszudrücken, er ist eben ein Boxer vom Hintergrund her. Aber was viel wichtiger ist, ist meiner Ansicht nach, dass er als moralisch integer erscheint und dass er nicht aus dieser korrupten Politikerkaste kommt und wahrscheinlich auch deswegen von vielen hier akzeptiert wird, und er ist natürlich eine Art Nationalheld mit diesen ganzen Weltmeistertiteln, die er hat.
    Heckmann: Was aber nicht heißt, dass bei etwaigen Neuwahlen nicht Janukowitsch möglicherweise wieder als Sieger hervorgehen könnte.
    Umland: Das halte ich für sehr unwahrscheinlich, weil die Umfragen sagen, dass Janukowitsch gegen Klitschko ganz eindeutig verlieren würde. Der Abstand ist sehr groß in einer zweiten Runde. Mein Vorschlag, aus diesem ganzen Dilemma herauszukommen, wäre eher, das Präsidentenamt gänzlich abzuschaffen. Dann wäre auch für Janukowitsch nicht so sehr die Gefahr, dass dann ein quasi rachsüchtiger neuer Präsident an die Macht kommt, der dann womöglich Janukowitsch ins Gefängnis bringt.
    Kaess: Andreas Umland, er ist Dozent für Deutschland- und Europastudien und Historiker an der Nationalen Universität Kiew. Die Fragen stellte mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.