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Ukraine
Erler: Timoschenko ist keine Ikone

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung warnt davor, die Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko als Ikone zu betrachten. Viele Ukrainer hätten nicht vergessen, dass sie nach der Orangen Revolution als Ministerpräsidentin gescheitert sei, sagte Gernot Erler (SPD) im DLF.

24.02.2014
    Friedbert Meurer: Ich habe heute Morgen mit Gernot Erler gesprochen. Der SPD-Politiker ist der Ostbeauftragte der Bundesregierung, und ich habe ihn zunächst gefragt, ob die Europäische Union diesmal die Ukraine nicht im Stich lassen wird.
    Gernot Erler: Die EU lässt nie irgendein Land im Stich. Aber hier geht es um eine schwierige Lage, denn die Ukraine ist tatsächlich am Rande des Bankrotts und Verhandlungen mit dem IWF, mit dem Internationalen Währungsfonds, in der Vergangenheit und der bisherigen Regierung sind gescheitert, vor allen Dingen an den Bedingungen, die der IWF gestellt hat, und nun haben wir auch von der EU gehört, dass eine Bereitschaft besteht zu helfen. Olli Rehn, der zuständige Kommissar, hat das gestern noch mal deutlich gemacht. Aber auch er hat gesagt, das hängt an institutionellen und wirtschaftlichen Reformen, die notwendig sind, und heute fährt ja Baroness Ashton nach Kiew. Ich gehe davon aus, dass das Hauptproblem sein wird, eine handlungsfähige Regierung zu haben, die die Konditionen von finanziellen Hilfen auch tatsächlich umsetzen kann.
    Meurer: Was wären denn, Herr Erler, die Bedingungen aus Sicht des Internationalen Währungsfonds und auch der EU, bis Mittel fließen?
    Erler: Der IWF hat zum Beispiel damals Bedingungen genannt, dass auf jeden Fall der Gaspreis angehoben werden muss, weil der stark subventioniert ist und dadurch praktisch dauernd ein Staatsdefizit durch die Energieversorgung der Bevölkerung entsteht. Es wurde auch eine Verringerung der Staatsausgaben verlangt, was zum Beispiel zu einer Verringerung der Gehaltszahlungen und auch der Rentenzahlungen hätte führen müssen. Das war aus Gründen, die man nachvollziehen kann, ein großes Problem für die damalige Regierung, die sich natürlich ausgerechnet hat, dass man sich damit nicht beliebt macht in der Bevölkerung.
    Meurer: Das heißt, Sie sind mit diesen beiden Bedingungen, Gaspreis, weniger Staatsausgaben, so nicht einverstanden?
    Erler: Die Ukrainer waren damals nicht damit einverstanden. Deswegen sind die Verhandlungen mit dem IWF gescheitert.
    "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die EU konditionslose Kredite gibt"
    Meurer: Und Ihre Meinung dazu?
    Erler: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die EU – und das ist ja auch schon angekündigt – konditionslose Kredite gibt, sondern auch hier wird man natürlich verlangen müssen, dass Reformen stattfinden, die dazu führen, dass demnächst der Defizitbedarf geringer wird. Es kann ja nicht sein, dass wir jedes Jahr dann wieder neu irgendwelche Milliardenhilfen beschließen. Es muss also ein Weg gefunden werden, der zur Konsolidierung der Wirtschaft der Ukraine führt.
    Meurer: Diese Geschichte mit dem Gaspreis: Wenn die Gaspreise angehoben werden, jetzt ist noch Winter, wird das die Liebe zur EU nicht dramatisch abkühlen?
    Erler: Ich weiß jetzt nicht, was Frau Ashton im Gepäck hat heute. Ob sie zum Beispiel ganz konkret diese Forderung, die vom IWF genannt worden ist, die damals im Verhandlungspaket steckte, auch mit in ihrem Gepäck hat. Das muss man abwarten. Aber auch Christine Lagarde hat sich gestern geäußert und hat noch mal die Bereitschaft des IWF, auch zu helfen, gesagt. Aber auch sie hat von Reformen gesprochen.
    Meurer: Die Bundesregierung, Herr Erler, und Außenminister Frank-Walter Steinmeier schreiben es auf ihre Fahnen, dass letzten Donnerstag auch Russland dem Ergebnis der Vermittlungen zugestimmt hat und damit eine konstruktive Rolle gespielt habe. Jetzt dreht Russland aber den Geldhahn zu für die Ukraine. Ist das nicht ein Schlag ins Gesicht, sowohl für die Menschen in der Ukraine als auch für die Europäische Union?
    Erler: Zunächst einmal glaube ich schon, dass wir einen Wechsel in der russischen Politik gehabt haben, der erfreulich ist. Denn eine Zeit lang wurde nur von Staatsstreich geredet, was ja indirekt sogar auch eine Legitimation bedeutete für das harte Vorgehen mit Sicherheitskräften in Kiew. Und dann ist Wladimir Lukin, der Menschenrechtsbeauftragte des russischen Präsidenten, als Verhandler nach Kiew geschickt worden, der dort sich konstruktiv in die Verhandlungen eingeschaltet hat und der am Ende auch dieses Abkommen mit unterzeichnet hat. Das ist ja eindeutig ein Unterschied, als wenn man von Staatsstreich redet. Und ich finde, das muss man auch anerkennen. Dass natürlich die russische Seite jetzt mit Geld auch zurückhaltend ist – insgesamt hat ja Putin 15 Milliarden Dollar angeboten und sie in Aussicht gestellt, ohne dass man weiß, wer die nächste Regierung bildet und wann wir überhaupt wieder eine echt handlungsfähige Übergangsregierung haben werden.
    Meurer: Aber dieses Angebot wird ja jetzt quasi eingesackt von Putin und damit rückt ein möglicher Staatsbankrott der Ukraine ja in bedrohliche Nähe.
    Erler: Na ja, ich meine, es ist vielleicht nicht so viel anders als die westliche Position, die ja auch nicht sagt, wir legen jetzt sofort Geld auf den Tisch, um den Staatsbankrott abzuwehren, sondern man guckt erst mal nach Bedingungen. Die russischen Bedingungen sind möglicherweise anders, aber zumindest wollen sie abwarten, wer die künftige Regierung denn nun eigentlich stellt.
    Europäische Vermittlung war "entscheidender Schritt" zur Beendigung der Gewalt
    Meurer: Wenn es nach den Plänen vom Donnerstag gegangen wäre, der Vermittlung, an der Frank-Walter Steinmeier, der polnische Außenminister Sikorski, der französische Außenminister maßgeblich beteiligt waren, dann wäre ja der Präsident Janukowitsch noch bis Ende des Jahres im Amt geblieben. Die Demonstranten haben dann dafür gesorgt: So läuft es nicht, Janukowitsch ist jetzt schon weg. War dieses Vermittlungsergebnis doch nicht so gut?
    Erler: Die Entwicklung ist einfach über dieses Vermittlungsergebnis hinweggegangen durch Faktensetzung und daran konnte niemand auch etwas ändern. Ich glaube, dieses Vermittlungsergebnis wird uns in Erinnerung bleiben in der Zukunft als der entscheidende Schritt, an dem westliche Regierungen, westliche Außenminister und auch ein russischer Gesandter mitgewirkt haben, um die Gewalt und diese Gewaltexplosion in Kiew – wir haben ja 82 Tote nur aus dieser einen einzigen Woche zu beklagen – zu beenden. Das ist der entscheidende Vorgang und natürlich war es auch wichtig, dass überhaupt sich die Kontrahenten auf einen Kompromiss geeinigt haben. Dass jetzt die Entwicklung der Zeitgeschichte über dieses Ergebnis sehr schnell hinweggegangen ist, das hat mit der Dynamik der Prozesse in der Ukraine zu tun. Dafür kann man die, die ausgehandelt haben, auf keinen Fall verantwortlich machen.
    Meurer: Wir haben am Samstagabend die Bilder gesehen vom Maidan, dem zentralen Kundgebungsplatz in Kiew, mit Julia Timoschenko auf der Bühne. Welche Rolle wird sie spielen, welche Rolle wäre akzeptabel?
    Erler: Ich glaube, man muss aufpassen, nicht eine neue Ikone hier zu bewundern. Julia Timoschenko ist im Westen vielleicht eher eine Galionsfigur für eine neue Ukraine, als das in der Ukraine selbst gesehen wird. Ich glaube nicht, dass die Menschen vergessen haben, welche enttäuschende Rolle sie nach der Orangen Revolution von 2004 gespielt hat als Ministerpräsidentin, die am Ende gescheitert ist. Und dass sie auch eine Frau ist, die sich in dem damaligen System sehr erfolgreich ein Vermögen verschafft hat, das hat auch niemand vergessen. Das heißt, sie ist sicherlich eine Repräsentantin der Opposition. Sie ist ja sozusagen mit ihrem Namen verbunden mit der Partei Batkiwschtschyna, der Vaterlandspartei, und die Chefin dieser Partei. Und ihr Stellvertreter, Herr Turtschinow, ist gerade der Übergangspräsident. Aber eine Automatik zu einem Vertrauen zu Julia Timoschenko in einer Mehrheit der Ukraine gibt es meines Erachtens nicht. Da wird jetzt vieles davon abhängen, wie sie in den nächsten Tagen und Wochen auftritt und ob sie auch etwas Glaubwürdiges in ihrem Regierungsprogramm, wenn sie denn antritt als Präsidentin, vorweisen kann.
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