Mittwoch, 24. April 2024

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Ukraine
"Frau Timoschenko ist definitiv nicht unumstritten"

Das Tempo der Veränderungen in der Ukraine habe sie sehr überrascht, sagte Sabine Fischer, Leiterin des Forschungsbereichs Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, im DLF. Bis zur Wahl am 25. Mai müsse sich das gesamte innenpolitische Feld neu ausrichten. Welche Rolle Julia Timoschenko und die anderen Parteien spielen würden, sei noch völlig ungewiss.

Sabine Fischer im Gespräch Christoph Heinemann | 24.02.2014
    Christoph Heinemann: Viktor Janukowitsch ist weg und nach der Flucht des ukrainischen Präsidenten und der dramatischen Entwicklung des Wochenendes rückt auch etwas anderes in den Blick: Das Land ist Pleite. Die Übergangsregierung beziffert den Bedarf auf zunächst umgerechnet 25,5 Milliarden Euro.
    Am Telefon ist Sabine Fischer, die Leiterin des Forschungsbereichs Osteuropa und Eurasien der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag.
    Sabine Fischer: Guten Tag, Herr Heinemann.
    Heinemann: Frau Fischer, hat Sie das Tempo der Veränderungen überrascht?
    Fischer: Ja! Es hat mich überrascht wie viele andere auch. Ich habe nicht damit gerechnet, dass sich das in der Geschwindigkeit und so radikal innenpolitisch umwälzen wird in der Ukraine.
    Heinemann: Womit rechnen Sie? Wer wird jetzt in der Ukraine absehbar die politische Richtung bestimmen?
    Fischer: Im Moment zeichnet sich ab, dass die Partei von Julia Timoschenko Batkiwschtschyna eine starke Position ausbaut. Aber natürlich gibt es eine ganze Reihe von anderen Akteuren, die jetzt in den letzten Monaten auf dem Maidan und um den Maidan herum aktiv waren und eine Rolle gespielt haben. Es gibt natürlich – Frau Adler hat das eben schon angesprochen – auch all diejenigen Akteure, die in der Zwischenzeit in der letzten Woche mit dieser unglaublichen Geschwindigkeit die Fahnen gewechselt haben. Das sind alles Partikularinteressen und insofern wird sich in den nächsten Wochen und bis zu den Präsidentschaftswahlen im Mai, am 25. Mai, aber auch darüber hinaus das gesamte innenpolitische Umfeld neu ausrichten. Was wir jetzt sehen ist eine Stärkung, eine starke Position von Batkiwschtschyna, aber damit ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
    Heinemann: Zumal Frau Timoschenko ja nicht unumstritten ist.
    Fischer: Frau Timoschenko ist definitiv nicht unumstritten. Das hat man teilweise auch spüren können, zum Beispiel an der Reaktion auf ihren Auftritt auf dem Maidan. Man spürt es auch in der Reaktion von Akteuren innerhalb der Ukraine, aber auch außerhalb der Ukraine. Sie hat eine sehr schillernde, auch teilweise sehr problematische Geschichte. Vor der Orangenen Revolution war ihre Rolle umstritten, nach der Orangenen Revolution durchaus auch und natürlich ist das vielen Menschen in der Ukraine auch im Gedächtnis.
    Der 25. Mai - auch ein symbolischer Wahltermin
    Heinemann: Frau Fischer, die Ukraine wählt am 25. Mai einen neuen Präsidenten oder Präsidentin. Das ist zufällig auch der Tag der Wahl zum Europäischen Parlament. Ist das ein symbolischer Wahltermin?
    Fischer: Das ist mit Sicherheit auch ein symbolischer Wahltermin, der anknüpft an den eigentlichen Ursprung, an den Auslöser der Proteste, nämlich die Abkehr der Janukowitsch-Administration von dem Assoziierungsabkommen mit der EU. Daran haben sich die Proteste entzündet und dazu kehren die nun zumindest vorübergehend siegreichen Revolutionäre zurück. Insofern halte ich dieses Wahldatum durchaus für symbolisch.
    Heinemann: Und wird das ganze Land dann wählen, oder rechnen Sie damit, dass der Osten und der Westen getrennte Wege gehen werden?
    Fischer: Was Separationsbewegungen anbelangt – das ist ja das, worauf Sie anspielen -, ich sehe die zum Beispiel im Osten des Landes nicht in der Stärke. Das hat man ja auch in den letzten Tagen beobachten können. Es gab natürlich diesen Kongress in Charkow am Samstag. Aber der hat nicht die Wirkung entwickelt, die viele erwartet haben. Janukowitsch ist dort nicht aufgetreten. Stattdessen ist er wahrscheinlich auf die Krim ausgewichen. Und wenn es Abspaltungstendenzen tatsächlich gibt, dann sehe ich die größte Gefahr, das größte Risiko tatsächlich im Moment auf der Krim. Was sich da in den nächsten zwei Monaten entwickelt, ist auch stark davon abhängig, wie Russland agiert. Insofern: Das ist sehr in der Schwebe. Aber ich persönlich gehe davon aus, dass am 25. Mai die ganze Ukraine wählt.
    Reformvorhaben der künftigen Regierung
    Heinemann: Frau Fischer, die künftige Regierung erwartet höchst schwierige Hausaufgaben. Der SPD-Politiker Gernot Erler, Russland- und Osteuropabeauftragter der Bundesregierung, fasste das heute Früh mal so zusammen:
    O-Ton Gernot Erler: “Der IWF hat zum Beispiel damals gesagt, dass auf jeden Fall der Gaspreis angehoben werden muss, weil der stark subventioniert ist und dadurch praktisch dauernd ein Staatsdefizit durch die Energieversorgung der Bevölkerung entsteht. Es wurde auch eine Verringerung der Staatsausgaben verlangt, was zum Beispiel zu einer Verringerung der Gehaltszahlungen und auch der Rentenzahlungen hätte führen müssen. Ein großes Problem für die damalige Regierung, die sich natürlich ausgerechnet hat, dass man sich damit nicht beliebt macht in der Bevölkerung.“
    Heinemann: Gernot Erler (SPD) heute früh bei uns im Deutschlandfunk. – Kann der IWF solche Forderungen als Bedingung, als Voraussetzung für Hilfe stellen?
    Fischer: Der IWF kann solche Forderungen stellen, denn es handelt sich ja hier um vom IWF gestellte Kredite, und die sind mit Konditionen verbunden.
    Heinemann: Aber müsste dann die nächste Regierung nicht gleich wieder einpacken, wenn sie ankommt mit Rentenkürzungen und solchen Dingen?
    Fischer: Das wird mit Sicherheit zu sozio-ökonomischen Verwerfungen und großen Problemen führen und es ist dann an der Regierung, aber auch an den internationalen Akteuren, die ukrainische Bevölkerung intensiv aufzuklären über die Notwendigkeit der Reformen, die anstehen und die ja die politische Elite in der Ukraine – das ist ja die Tragik dieses Landes – seit 15, 20 Jahren einfach wie eine Gletschermoräne vor sich herschiebt. Diese Reformen sind notwendig, um die Ukraine mittelfristig bis langfristig sowohl wirtschaftlich als auch, wie man jetzt auch wieder gesehen hat, politisch zu stabilisieren. Das muss der Bevölkerung kommuniziert werden. Das ist ein harter Weg, da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Aber es ist die einzige Chance für dieses Land, sich wirklich zu stabilisieren.
    Auch das geopolitische Umfeld ist schwierig
    Heinemann: Schauen wir mal ins geopolitische Umfeld. In anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, in Moldau oder in Georgien, sind ebenfalls pro- und antirussische Tendenzen erkennbar. Stehen diese Länder, sehen Sie das so, ebenfalls vor einer Zerreißprobe?
    Fischer: Das Problem bei diesen Ländern ist, dass sie ja zum Teil schon zerrissen sind, wenn man das so sagen kann, denn in beiden Ländern existieren ungelöste Konflikte. In Moldau geht es um Transnistrien, Georgien sieht sich einem Konflikt ausgesetzt um Abchasien und Südossetien. Hier sind Spaltungen bereits vorhanden und beide Länder – das sollte man vielleicht auch dazu sagen – sind ja jetzt auf dem Weg zur endgültigen Unterzeichnung von Assoziierungsabkommen. Die sind letzten November auf dem Vilnius-Gipfel paraphiert worden und sollen nun im August unterzeichnet werden.
    Ich sehe das größte Destabilisierungsrisiko derzeit in der Republik Moldau, denn hier haben wir tatsächlich auch in Moldau, im unumstrittenen Moldauer Staatsterritorium eine sehr multiethnische Gesellschaft, die sich zum Teil nach Osten und zum Teil nach Westen ausrichtet, plus in Moldau werden im Herbst nationale Wahlen stattfinden. Hier, denke ich, kann es zu einer Destabilisierung kommen, auch weil in den letzten Monaten, im letzten halben Jahr bis Jahr sich die Stimmung sehr stark verändert hat. Sie haben eine pro-europäisch ausgerichtete Regierung und in der Bevölkerung werden aber gleichzeitig immer stärker Zweifel laut an dieser europäischen außenpolitischen Ausrichtung der Republik Moldau. Hier, denke ich, kann es durchaus zu Schwierigkeiten kommen, auch weil die Moldau zuschreitet auf die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens.
    Das liegt auch daran, dass die Moldau wirtschaftlich sehr, sehr stark von Russland abhängig ist, vor allen Dingen von russischen Gaslieferungen, aber auch von Rückzahlungen von Geldströmen, die durch moldauische Arbeitskräfte, die in Russland tätig sind, nach Moldau gehen. Die machen einen wichtigen Anteil des BIP aus. Diese Abhängigkeit besteht in Georgien etwas weniger, aber hier gibt es natürlich über die ungelösten Konflikte auch Einwirkungsmöglichkeiten. Um beide Staaten herum gibt es Spannungen, die sich durchaus verschärfen könnten in den nächsten Monaten.
    Heinemann: Die Voraussage von Sabine Fischer von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Fischer: Vielen Dank Ihnen. Auf Wiederhören!