Dienstag, 16. April 2024

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Ukraine
Im freien Fall

Die Unsicherheit in der Ukraine habe "verheerende wirtschaftliche Folgen", sagte der Wirtschaftswissenschaftler Gustav Horn im Deutschlandfunk. Das Land stecke in Schwierigkeiten, obwohl es eigentlich Potenzial habe.

01.03.2014
    Ein Mann steht an einer Gaspipeline.
    Gasförderung: Schlüsselrolle in Ukraines Wirtschaft (dpa/picture alliance/Maxim Shipenkov)
    Jürgen Zurheide: Die militärische Lage in der Ukraine, aber auch die politische Lage ist in diesen Tagen einigermaßen verworren. Wir haben darüber mehrfach in dieser Sendung berichtet. Inzwischen wollen wir uns fragen, was passiert eigentlich ökonomisch und was muss ökonomisch passieren? Darüber wollen wir reden mit Gustav Horn, dem Direktor des Institutes für Makroökonomie der Hans-Böckler-Stiftung. Ich begrüße ihn am Telefon - guten Morgen, Herr Horn!
    Gustav Horn: Guten Morgen!
    Zurheide: Herr Horn, zunächst einmal, wie viel Geld braucht die Ukraine? Da geisterten Zahlen durch die Landschaft, weit über 20 Milliarden wurden da genannt. Christine Lagarde vom Internationalen Währungsfonds hat das jetzt wieder etwas relativiert. Gibt es überhaupt belastbare Zahlen?
    Horn: Nein, das kann man, glaube ich, mit Fug und Recht verneinen, denn man weiß ja nicht einmal, wie der Staatshaushalt im Moment aussieht. Da ist die Rede davon, dass 70 Milliarden verschwunden sind. Für unmittelbare Überbrückungskredite glaubt man 35 Milliarden zu brauchen. All dies ist natürlich sehr schwammig, denn die Institutionen in der Ukraine funktionieren im Moment nicht mehr richtig. Man hat also dann auch keine vernünftigen Statistiken, und man kann diese auch nicht erwarten. Klar ist aber, dass die Ukraine derzeit im freien wirtschaftlichen Fall ist, und dass sie dringend einen Anker braucht, der sie auffängt. Denn die Unsicherheit greift jetzt allmählich um sich in der Bevölkerung, und das hat natürlich verheerende wirtschaftliche Folgen.
    Hilfsprogramme "falsche Medizin"
    Zurheide: Kommen wir noch mal auf den Internationalen Währungsfonds zu sprechen, der ja da eine wichtige Rolle spielt, wenn es denn zu Hilfsprogrammen kommen sollte. In der Vergangenheit sind solche Programme ja hin und wieder abgebrochen worden, weil die Bedingungen nicht erfüllt wurden. Und Bedingungen heißt bei der Ukraine: Die Gaspreise müssten eigentlich auf Weltmarktniveau steigen und Renten möglicherweise gesenkt werden. Das wäre ein sehr hartes Programm für das Land, gerade in der gegenwärtigen Phase, oder?
    Horn: Auf jeden Fall. Das wäre die falsche Medizin, wo die Medizin wahrscheinlich stärkere Nebenwirkungen hätte, als dass sie heilen würde. Denn man muss ja zum Beispiel eines sehen: Bei den Gaspreisen ist die Ukraine in der Zwickmühle. Sie hat auf der einen Seite einen Knebelvertrag mit Russland, der hohe Importpreise für Gas determiniert, das heißt, man muss sehr, sehr viel an Russland zahlen. Gleichzeitig hat sie ein Subventionssystem, mit dem sie diesen sehr hohen Einkaufspreis herunter subventioniert auf relativ günstige Gaspreise für die Haushalte. Und das kostet natürlich enorm viel Geld. Also selbst, wenn jetzt der Haushaltsgaspreis angehoben wird durch Kürzung von Subventionen, schafft man erst einmal eine ganze Menge Not bei den Haushalten, bei den Menschen. Gleichzeitig löst man das Problem im Grunde gar nicht, weil der Knebelvertrag mit Russland ja weiter besteht.
    Zurheide: Was heißt das prinzipiell? Damit ist das Land, wie Sie es gerade beschrieben haben, in einer Zwickmühle, denn Exporte, wenn ich das richtig sehe, laufen auch eher nach Russland. Also, man ist doch ökonomisch sehr abhängig von Russland, oder?
    Horn: Das ist richtig. Wenn man zum Beispiel die Zahlen für den deutsch-ukrainischen Handel sieht: Wir beziehen etwa 0,2 Prozent unserer Importe aus der Ukraine, und liefern etwa 0,5 Prozent unserer Exporte in die Ukraine, das ist natürlich kein sehr, sehr starkes Band. Aber es ging ja bei den politischen Auseinandersetzungen ja auch darum, diese wirtschaftlichen Bande mit dem Westen zu stärken. Das ist ja einer der Kerne des Problems, das wir in der Ukraine sehen. Allerdings, unter den gegebenen Umständen heißt das im Klartext, auch die Exportseite ist kurzfristig überhaupt nicht zu beleben. Das Land steckt in sehr, sehr großen Schwierigkeiten, obwohl es langfristig eigentlich ein großes Potenzial hat.
    Institutionen neu aufrichten
    Zurheide: Kommen wir noch mal auf den Internationalen Währungsfonds, der in der Vergangenheit ja häufig Rezepte angewandt hat, ich sage das mal mit aller Vorsicht, die nicht immer wirklich zum Erfolg geführt haben. Die Südamerikaner haben sich irgendwann vom Internationalen Währungsfonds gelöst, weil, die Kurzfassung lautet dann immer, der IWF schützt die Gläubiger, also möglicherweise westliche Gläubiger, und lässt die eigene Bevölkerung bluten. Ist das eine zu harte Kritik, oder beobachten Sie so was auch?
    Horn: Die ist zum großen Teil berechtigt. Der IWF stand ja eigentlich kurz vor der politischen Bedeutungslosigkeit, weil niemand mehr seine Kredite haben wollte, weil man sich fürchtete vor den Auflagen, die mit ihnen verbunden waren, und diese Auflagen die heimische Wirtschaft stärker schädigten, als dass man versucht hat, aus eigener Kraft oder mit anderen Mitteln aus einer jeweiligen Krise herauszukommen. Das hatte sich ein wenig geändert im Vorfeld der Finanzmarktkrise. Dort hatte es einen Kurswechsel beim IMF gegeben, vor allem eingeleitet durch Dominique Strauss-Kahn. Man kann den IMF nur warnen, zurückzukehren zu diesen alten Rezepten, denn das würde auch auf Dauer seine eigene Bedeutungslosigkeit dann zementieren. Was der IMF jetzt tun kann, ist in der Not helfen. Und das heißt, der Ukraine Liquidität bereitstellen, damit sie die dringendsten Kreditverpflichtungen erfüllen kann und zumindest über die nächsten Monate kommt, damit sich die Unsicherheit nicht immer weiter ausbreitet, damit eine Stabilisierung erreicht wird. Aber man braucht ein flankierendes Programm, und da kommen dann vielleicht eher die Weltbank oder die EU ins Spiel. Man muss sicherlich den Ukrainern helfen, ihre Institutionen neu aufzurichten, damit es ein vernünftiges Steuersystem gibt, damit die Korruption bekämpft wird, damit der Verwaltungsapparat richtig funktioniert.
    Zahlungsverkehr einfrieren
    Zurheide: Jetzt haben Sie gerade Korruption angesprochen, damit sind wir fast beim nächsten, ganz wichtigen Thema. Sie haben die Summe auch schon genannt. Ich weiß nicht, ob sie stimmen kann oder ob es verbriefte Zahlen gibt. Wenn wirklich so viel Geld, wie man hört, ins Ausland geschafft worden ist - gibt es eine Chance, dass man diese Gelder erst mal bereitstellt, denn sie gehören ja am Ende nicht Herrn Janukowitsch und anderen, sondern dem Volk möglicherweise.
    Horn: Da, wo dies möglich ist, sollte man das tun. Man muss nur davon ausgehen, dass diese Menschen so geschickt waren, ihre Gelder an Orte zu schaffen, wo sie sicherlich relativ sicher sind. Was machen wir, wenn diese Gelder teilweise in Russland sind oder in irgendeinem Steuerparadies, Cayman Islands oder sonstwo? Dann wird man Schwierigkeiten haben. Aber dort, wo man darauf zugreifen kann, sollte man es unbedingt tun. Man sollte sicherlich auch den Zahlungsverkehr dieser Konten von diesen Menschen einfrieren, damit hat man ja mittlerweile auch Erfahrung. All dies könnte man machen. Nur sollte man sich nicht der Illusion hingeben, dass man damit die Finanzprobleme der Ukraine lösen kann.
    Zurheide: Das sind erste Antworten auf die ökonomischen Probleme in der Ukraine von Gustav Horn, dem Direktor des Institutes für Makroökonomie der Hans-Böckler-Stiftung. Herr Horn, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Horn: Gerne!
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