Donnerstag, 25. April 2024

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Ukraine
Kaim: Russland will Einfluss wie zu Sowjetzeiten

Wieso die Zuspitzung auf der Krim? Die russische Regierung sei "getrieben von dem Interesse, als Weltmacht wieder anerkannt zu werden", sagte im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler Markus Kaim. Auf der anderen Seite habe die neue ukrainische Führung zu Beginn ihrer Arbeit "signifikante Fehler" gemacht.

Markus Kaim im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 01.03.2014
    Jürgen Zurheide: Wir wollen uns fragen, was passiert denn gerade auf der Krim und vor allen Dingen, welche Interessen haben die Russen beziehungsweise was steckt dahinter.
    Ich begrüße am Telefon Markus Kaim, den Experten für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Morgen, Herr Kaim!
    Markus Kaim: Guten Morgen, ich grüße Sie!
    Zurheide: Fangen wir mal an mit den strategischen Interessen Russlands. Natürlich, die Schwarzmeerflotte ist dort auf der Krim stationiert. Ist das das wesentliche strategische Interesse von Moskau?
    Kaim: Das scheint mir das unmittelbare militärische Interesse zu sein. Aber es gibt, glaube ich, überwölbende politische Interessen, vor allen Dingen halt die Wiedererrichtung eines Einflussgebietes, was dem sowjetischen Raum alter Provenienz ähnelt - ich verwende jetzt bewusst nicht den Ausdruck eines russischen Imperiums - aber der Zementierung einer Einflusssphäre Russlands, was letztlich deckungsgleich ist oder in weiten Teilen deckungsgleich ist mit dem Gebiet der Sowjetunion. Das sehen wir seit einiger Zeit. Das bevorzugte Instrumentarium ist eben die Eurasische Union, der Versuch, eine Freihandelszone zu errichten unter russischer Führung. Und daneben gibt es, glaube ich, noch das überwölbende politische Interesse, was auch Gesine Dornblüth gerade angesprochen hat, dass Russland eben getrieben ist von einem - oder die russische Führung getrieben ist von einem Bemühen, wieder als Weltmacht anerkannt zu werden nach dem Ansehens- und vor allem nach dem Machtverlust nach dem Ende der Sowjetunion.
    Selbstbestimmungsrecht der Völker
    Zurheide: Jetzt könnte man auf der anderen Seite sagen, in dem Moment, wo der Westen natürlich seine Einflusssphäre ausdehnt - zum Beispiel Polen gehört inzwischen zur NATO, bei der Ukraine weiß man das nicht - dass das die normalen Bewegungen auf dem Schachbrett sind, um jetzt ein Wort von Herrn Obama aufzunehmen, der gerade gesagt hat, nein, wir spielen nicht Schach. Spielt der Westen eben doch Schach.
    Kaim: Nein, nicht wirklich. Weil, es gilt sozusagen ja noch mal in Erinnerung zu rufen, dass wir eine Reihe von Dokumenten haben, die im europäischen und eurasischen Raum die Frage von Selbstbestimmung und Selbstbestimmungsrecht der Völker, und um das geht es ja hier, regeln, die ja auch von Russland unterzeichnet worden sind. Ich denke da vor allen Dingen an die Charta von Paris von 1990, wo die russische Führung damals in großer Einigkeit mit dem Westen gewisse Paradigmen für die europäische Sicherheitspolitik der nächsten Jahrzehnte festgelegt hat. Und ein Eckpfeiler ist, dass Völker in freier Wahl das Schicksal ihres politischen - ihrer Bündnisse wählen können. Und der Westen hat ja bei der NATO-Osterweiterung diese Staaten, die Sie gerade angesprochen haben, in keiner Weise unter Druck gesetzt. Ganz im Gegenteil, es war eine Bewegung hin zur NATO, und die Europäische Union ist ja im Kontext der Ukraine genauso zurückhaltend gewesen wie die NATO. Weil es gilt ja in Erinnerung zu rufen, dass wir seit 2008 von der NATO eine stehende Einladung für eine Mitgliedschaft der Ukraine haben, und die ist mit Blick auf Russland in den letzten Jahren ja gar nicht mehr weiter verfolgt worden. Ich glaube, da ist - gerade der Westen muss sich da nichts vorwerfen lassen.
    Ukrainische Übergangsregierung hat "signifikante Fehler" gemacht
    Zurheide: Was heißt das aber dann im Zweifel für die Krim, wenn die Krim, was Gesine Dornblüth gerade auch angesprochen hat, wenn die Menschen dort - und wir wissen, 58 Prozent der Bevölkerung sind russischer Herkunft -, wenn die dann sagen, na gut, wenn ihr in der Ukraine in den Westen wollt, wir wollen es aber nicht. Was bedeutet das?
    Kaim: Die Frage kann man letztlich nur politisch beantworten. Und die Frage ist, welche Form von Autonomie und Dezentralisierung wir im politischen System der Ukraine in den nächsten Monaten sehen werden. Und ich würde sofort einräumen, dass die ukrainische Führung, die neue ukrainische Führung in den vergangenen Tagen einige, wie ich finde, signifikante Fehler gemacht hat. Zum Beispiel, indem sie das Benutzen von Russisch als Amtssprache in Teilen des Landes wieder unter Strafe gestellt hat; indem sie eben eher auf eine Zentralisierung des politischen Systems hingewiesen hat als auf eine Dezentralisierung. Das sind aber alles Dinge, die kann man letztlich noch ausräumen, und dafür sind ja dezentrale Systeme eigentlich entwickelt worden, dass sie in der Lage sind, bestimmten ethnischen Minderheiten, die sich sprachlich, politisch, historisch von der Mehrheit unterscheiden, bestimmte Sonderrechte einzuräumen. Das legitimiert aber noch lange nicht das militärische Eingreifen von externen Akteuren und das legitimiert noch lange nicht einen militärischen Aufstand dieser Minderheiten. Und was jetzt gefordert ist, ist von beiden Seiten Deeskalation.
    Zurheide: Jetzt haben wir gerade gehört, die russischen Truppenbewegungen, das ist zumindest die Sicht aus Moskau, seien durch entsprechende Abkommen gedeckt. Entspricht das auch Ihrer Einschätzung oder schätzen Sie das ähnlich ein?
    Kaim: Das kann ich nicht im Detail einschätzen. Da müsste man, glaube ich, noch einmal einen Völkerrechtler konsultieren. Die entscheidende Frage wird, glaube ich, sein, was ist denn das politische Ziel dieser Verlegung von 2.000 Mann? Weil mit 2.000 Soldaten, da muss man ja ehrlich sein, wird man jetzt keine voll ausgebildete militärische Invasion der Ukraine durchführen können. Also, zum Ersten hat das, glaube ich, erst mal eine politische Bedeutung, und zum Zweiten wird sich jetzt erst in den nächsten Tagen herausstellen, was denn das politische Ziel oder das militärische Ziel dieser Operation ist. Solange diese Truppen sich auf einem russischen Stützpunkt aufhalten, bedroht das nicht im engsten Sinne die politische Souveränität oder territoriale Integrität der Ukraine. Wenn sich aber herausstellen sollte, dass die eben bestimmte Gebiete besetzen und letztlich auch die politische Führungsgewalt über Teile der Krim übernehmen, dann wird das sicher noch mal ein Fall für den Sicherheitsrat werden.
    Instabilität in der Ukraine könnte europäische Gasversorgung bedrohen
    Zurheide: Kommen wir noch mal zum Schluss ganz kurz auf die ökonomische Bedeutung. Ist die Ukraine überhaupt, wenn es um eine weitere Westanbindung geht, ökonomisch überlebensfähig, oder sind die Beziehungen zu Russland - Stichwort Energielieferungen und Absatzmärkte - in die andere Richtung so wichtig, dass das gar nicht ohne die Russen geht?
    Kaim: Also ich glaube, wir müssen jetzt zu einem differenzierten Bild kommen, was die Ukraine selber betrifft. Und ihre ökonomische Lebensfähigkeit hat ja gerade Christine Görs vom Internationalen Währungsfonds in der vergangenen Nacht noch mal eher entwarnende Signale gegeben und deutlich gemacht, dass sie nicht von einem unmittelbaren ökonomischen Zusammenbruch der Ukraine ausgeht. Sofern wir über die Gaslieferungen sprechen, gilt es darauf hinzuweisen, dass einige Länder Zentraleuropas zu 100 Prozent von russischem Gas, was durch die Ukraine geleitet wird, abhängig sind, und alles, was die Ukraine destabilisiert, dann unmittelbare Folgen für diese Versorgung haben könnte.
    Zurheide: Das war Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Herr Kaim, heute Morgen, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Kaim: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.