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Ukraine
Kampf gegen Oligarchen als Zerreißprobe

100 Tage ist die pro-westliche Regierung in der Ukraine im Amt - und eigentlich mit einer soliden Mehrheit ausgestattet. Trotzdem kommen die Reformen kaum voran. Ein Grund dafür sind die Oligarchen. Einer von ihnen ist Ihor Kolomojskij, Gouverneur von Dnipropetrowsk. Präsident Poroschenko versucht ihn in die Schranken zu weisen.

Von Florian Kellermann | 24.03.2015
    Spezialeinheiten des ukrainischen Geheimdienstes schlugen die Türe ein. Erst dann konnte der neue Top-Manager des ukrainischen Öl-Konzerns Ukrtransnafta seine Büro betreten. Die Regierung und Präsident Poroschenko hatten den Führungswechsel beschlossen. Eigentlich ihr gutes Recht: Der Staat hält 100 Prozent an dem Ölkonzern.
    Doch damit trat die Regierung einem der mächtigsten Männer der Ukraine auf die Füße: Ihor Kolomojskij. Der bisherige Chef von Ukrtransnafta war sein Vertrauter, den Schlüssel zu seinem Büro übergab er nicht freiwillig. Auch bei Ukrnafta, einem weiteren staatlich kontrollierten Ölkonzern, bahnt sich ein Führungswechsel an, auch hier zuungunsten von Kolomojskij.
    Die meisten Beobachter sehen darin ein positives Signal: Die Regierung versuche, die Macht der Oligarchen zu beschneiden, so der Politologe Wolodymyr Fesenko:
    "In der Ukraine ist eine paradoxe Situation entstanden: Eine ganze Reihe von Staatsbetrieben werden von Oligarchen kontrolliert, vor allem im Energiesektor. Das gilt auch für die Unternehmen Ukrtransnafta und Ukrnafta, um die es nun geht. Diese Kontrolle will sich der Staat nun zurückholen, damit er etwas hat vom Gewinn der Unternehmen. Kolomojski hat natürlich etwas dagegen."
    Kolomojskij verdiente gut an dem Staatsunternehmen Ukrtransnafta. Es lagerte Öl in den Speichern seiner Firmengruppe "Privat" ein - nach Ansicht von Fachleuten eine unnötige Maßnahme. Und Ukrnafta verkaufte der Privat-Gruppe Benzin immer wieder deutlich unter dem Marktwert.
    Kolomojskij erklärte sein Interesse an den Staatsbetrieben dagegen anders: Von ihnen seien auch seine Konzerne im Öl- und Benzingeschäft abhängig.
    "In dieser Branche hängen alle Unternehmen zusammen, sie bilden einen Komplex. Und Ukrtransnafta ist wie das Adersystem, das den Blutkreislauf in Gang hält. Wenn Ukrtransnafta nicht mehr richtig arbeitet, kommt der ganze Komplex zum Stillstand. Genau daran sind einige interessiert - eine kriminelle Gruppierung um den Parlamentsabgeordneten Jeremejew. Sie steht hinter diesen ganzen Ereignissen."
    Mit anderen Worten: Kolomojskij beschreibt den Konflikt als einen Wirtschaftskrieg, in den auch Poroschenko verwickelt sei. Tatsächlich ist auch der Präsident weiterhin Geschäftsmann. Er hat seine Unternehmensbeteiligungen noch immer nicht verkauft - trotz seines Versprechens. Aber am Ölgeschäft in der Ukraine sei er nicht beteiligt, sagen Experten. Es gehe ihm in diesem Streit um das Staatswohl, nicht um sein eigenes Interesse. Trotzdem geht Poroschenko im Konflikt mit Kolomojskij ein hohes Risiko ein.
    Denn dieser gilt derzeit als mächtigster Oligarch in der Ukraine. Sein Einfluss ist nach dem Umsturz im vergangenen Jahr noch einmal enorm gewachsen. Kolomojskij finanziert Freiwilligen-Bataillone, die im Donezk-Becken gegen Separatisten kämpfen. Seine Heimatstadt Dnipropetrowsk hat eine strategische Bedeutung: Sie befindet sich in der östlichen Zentralukraine und ist mehrheitlich russischsprachig. Pro-russische Parteien haben dort bei Wahlen stets sehr gute Ergebnisse erzielt. Trotzdem gelang es Kolomojskij im vergangenen Jahr, dort keine separatistische Bewegung aufkommen zu lassen. Das habe ihm sogar den Posten des Bezirksgouverneurs eingebracht, so der Politologe Fesenko:
    "Kolomojskij hat die Situation im Osten der Ukraine stabilisiert. Aber jetzt ringt er mit dem Staat. Die Gefahr besteht, dass seine Bataillone jetzt das Land destabilisieren. Bis jetzt gibt es noch keinen offenen Krieg zwischen ihm und Präsident Poroschenko, aber einen friedlichen Kompromiss haben sie auch noch nicht gefunden."
    Kritiker warnten schon früh: Die von Kolomojskij ausgerüsteten Freiwilligen-Bataillone könnten sich zu seiner Privatarmee entwickeln. Und tatsächlich: Als Kolomojskij die Kontrolle über Ukrtransnafta verloren hatte, schickt er Einheiten los - in Tarnkleidung und mit Schusswaffen. Sie besetzten am Sonntag die Zentrale des anderen wichtigen Ölkonzern Ukrnafta in Kiew. Innenminister Awakow setzte Kolomojskij gestern Abend ein Ultimatum. 24 Stunden habe der Oligarch Zeit, seine Kämpfer zurückziehen. Was sonst passieren könnte, führte Awakow nicht aus. Aber das Szenario eines bewaffneten Konflikts mitten in der Hauptstadt würde die Ukraine sicher in eine noch tiefere Krise stürzen.
    Pessimistische Kommentatoren halten es nicht einmal für ausgeschlossen, dass sich Kolomojskij ein Vorbild an den Separatisten im Donezkbecken nimmt und in Dnipropetrowsk selbst ein autonomes Gebiet ausruft.