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Ukraine-Konflikt
"Betonköpfe weichklopfen"

Im Ukraine-Konflikt sei der einzige Weg zur Deeskalation der Dialog, sagte der Sicherheitsexperte Wolfgang Richter im Deutschlandfunk. Deswegen sei der heute erstmals stattfindende Runde Tisch in Kiew sinnvoll. Allerdings müssten an ihm auch zwingend die Separatisten aus der Ostukraine sitzen.

Wolfgang Richter im Gespräch mit Dirk Müller | 14.05.2014
    Ein Demonstrant am Platz der Unabhängigkeit in Kiew am 16. Dezember 2013.
    Die Spaltung der Ukraine soll ein Runder Tisch mit möglichst allen Konfliktparteien in Kiew abwenden. (picture-alliance / dpa / Nikitin Maxim)
    Entscheidend sei, dass alle beteiligten Seiten am Ukraine-Konflikt von ihren Maximalpositionen abrückten, sagte der Sicherheitsexperte Wolfgang Richter im Deutschlandfunk. "Die Betonköpfe müssen weichgeklopft werden", sagte Richter.
    Separatisten müssen am Runden Tisch teilnehmen
    Allerdings müssten am Runden Tisch zwingend die Separatisten aus der Ostukraine teilnehmen, so Richter. Da müsse sich die Kiewer Übergangsregierung aber noch bewegen und diese Teilnahme akzeptieren. Der Runde Tisch könne dann den Durchbruch hin zur Beilegung des Konflikts bringen. Als hoffnungsvoll bewertet der Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik die Anzeichen, die aus Russland kommen. Russland habe zurückhaltend auf die Referenden vom vergangenen Wochenende reagiert. Dies könne man als Bereitschaft der Russen zur Deeskalation werten.

    Dirk Müller: Wenn sich keine Seite bewegt, wird alles nur noch schlimmer, sagt ein frustrierter westlicher Diplomat, und kann über die Krise in der Ukraine nur noch mit den Achseln zucken. Wer geht alles nicht konstruktiv, nicht deeskalierend auf den anderen zu? Der Westen, weil er weiterhin an der Sanktionsspirale dreht, Wladimir Putin, weil er nicht mäßigend auf die Separatisten einwirkt, und die Separatisten in Donezk und Lugansk, weil sie auf Abspaltung setzen? Und was ist mit der Regierung in Kiew, die heute einen Runden Tisch zur Krise abhalten will, ohne dabei die Separatisten einzuladen? Wer soll also da noch was wie und wann lösen können? – Darüber sprechen wollen wir nun mit Oberst a.D. Wolfgang Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik, vormals OSZE-Beobachter in Südossetien, Georgien und Dagestan. Guten Morgen nach Genf.
    Wolfgang Richter: Schönen guten Morgen, Herr Müller.
    "Russland hat die OSZE akzeptiert als Vermittler"
    Müller: Herr Richter, ist die Ukraine jetzt schon wieder kleiner geworden?
    Richter: Das scheint, so de facto im Moment zu sein. Es gibt allerdings einige Anzeichen, dass es nicht unbedingt dabei bleiben muss, obwohl man für übertriebenen Optimismus jetzt keinen Anlass mehr hat. Aber es scheint doch einige Möglichkeiten zu geben, doch noch eine diplomatische Lösung herbeizuführen, und da gibt es einige Anzeichen, die vielleicht etwas ermutigend sind. Ich nenne mal an erster Stelle die doch relativ zurückhaltende russische Stellungnahme zu den Ergebnissen des Referendums.
    Der selbst ernannte Vorsitzende der Volksrepublik Donezk, wie sie sich nennen, hat ja immerhin darum gebeten, an Moskau sich gewandt und darum gebeten, der Ukraine entfliehen zu können und Russland beitreten zu können. Dies ist im Unterschied zur Krim nicht sofort auf Unterstützung gestoßen, sondern eher auf eine sehr zurückhaltende Äußerung. Der Kreml hat gesagt, wir respektieren den Volkswillen, aber sie haben nicht gesagt, sie würden ihn anerkennen, und sie haben stattdessen zum Dialog aufgerufen. Dies bedeutet, dass im Moment Russland anders agiert als auf der Krim. Russland genießt nach wie vor die größte Autorität bei den Separatisten, und deswegen ist das russische Wort schon eine wichtige erste Stellungnahme.
    Russland hat die OSZE akzeptiert als Vermittler. Das heißt, hier in Person auch des Schweizer Bundesratsvorsitzenden und Bundespräsidenten Burkhalter. Die OSZE ist im Spiel, die OSZE will diese Runden Tische unterstützen. Deutschland hat außerdem einen bewährten Krisendiplomaten dort hingeschickt. Das heißt, es scheint doch noch so zu sein, dass es noch Anzeichen gibt, nicht nur auf Maximalpositionen zu bestehen, und das gilt sowohl für Moskau als auch für den Westen, und es war ja letztlich der Westen, Deutschland insbesondere, der die OSZE ins Spiel gebracht hat und nicht nur Sanktionen, und die Frage wird jetzt sein, ob auch die Kontrahenten innerhalb der Ukraine sich so weit zurückhalten, dass sie sich zumindest an einen Tisch setzen.
    "Es ist schon etwas dort in Bewegung gekommen"
    Müller: Herr Richter, das hört sich so an – ich muss Sie hier mal unterbrechen. Sie haben gesagt, es gibt ein bisschen Bewegung. Ich wollte Ihnen die Frage stellen, sind denn alle aus Beton?
    Richter: Ich glaube nicht, dass alle aus Beton sind. Das habe ich jetzt versucht, gerade an den zwei Positionen Moskaus und des Entgegenkommens der OSZE deutlich zu machen. Innerhalb der Ukraine scheinen im Moment die Separatisten sicherlich auf ihren Forderungen zu bestehen, nicht mehr in die Ukraine zurückkehren zu müssen, aber auch innerhalb der separatistischen Bewegung gibt es unterschiedliche Stimmen. Da muss man genau hinhören. Einige wollen in der Tat sich Moskau anschließen, was im Moment auf eine kühle Reaktion stößt, andere wollen diese Gebiete unabhängig machen, und es gibt einige Stimmen, die durchaus sich vorstellen können, in der Ukraine zu bleiben, allerdings mit einem großen Grat an Autonomie. Das heißt, es ist schon etwas dort in Bewegung gekommen, und die Frage ist, mit wem man dann spricht. Aber das ist genau die Frage, die nicht geklärt ist.
    Der ukrainische Präsident Turtschinow hat gesagt, er sei bereit, auch mit Vertretern der Ostukraine zu sprechen, allerdings nicht mit denen, die Blut an den Händen hätten. Dies ist interpretierbar. Umgekehrt kann man sich ja auch kaum vorstellen, dass es Gespräche gibt, während die militärischen Operationen der ukrainischen Streitkräfte weitergehen. Hier muss man auf beide Seiten einwirken, von Maximalpositionen abzusehen, auf Gewalt zu verzichten, deeskalatorische Schritte einzuleiten und sich in der Tat an einen Tisch zu setzen. Diese Runden Tische haben ja Tradition. Letztlich begannen sie einmal in Deutschland, in der vormaligen DDR, wo man versuchte, sich durch einen Runden Tisch in eine neue Verfassungslage zu bewegen, und ich meine, darauf wird es wahrscheinlich bei der Ukraine auch hinauslaufen.
    "Die wichtigen Akteure müssen in der Tat am Tisch sitzen"
    Müller: Aber wie gravierend, Herr Richter, ist das auch aus Ihrer Erfahrung als OSZE-Beobachter - Sie haben viele Runde Tische auch selbst mit begleitet, mit veranstaltet, auch im kleinen Rahmen, im größeren Rahmen -, wenn die entscheidenden Akteure nicht mit dabei sind?
    Richter: Ich will meine Rolle bei solchen Runden Tischen jetzt nicht überschätzen. Ich habe versucht, an Operationen teilzunehmen, die der Deeskalation dienten. Aber die wichtigen Akteure müssen in der Tat am Tisch sitzen, und das gilt zunächst mal für die innerukrainischen Akteure, und das kann ja nur auf der einen Seite die Regierung sein. Da hat auch Moskau, die ja immer skeptisch waren gegenüber der Legalität der ukrainischen Regierung, nun doch von den Separatisten verlangt, sie müssten in den Dialog treten mit der Regierung. Und umgekehrt werden die Separatisten das Wort Moskaus nicht auf Dauer überhören können, denn Moskau genießt nach wie vor die größte Autorität.
    Müller: Aber Kiew will das ja auch nicht. Kiew möchte ja die Separatisten nicht mit an den Tisch bringen.
    Richter: Ja, hier wird man, wie ich sagte, beide Seiten noch bewegen müssen. Wenn niemand sprechen will, kann es nur noch schlimmer werden und dann wird die Gewalt weitergehen.
    "Alle Seiten müssen sich jetzt bemühen"
    Müller: Also kann man sich das dann sparen mit dem Runden Tisch?
    Richter: Ich denke, man sollte es sich nicht sparen. Man muss doch jeden Versuch machen, einen Dialog herbeizuführen und einen Ausweg zu finden, denn was ist die Alternative. Die Alternative ist für die Ukraine weiteres Chaos, weitere Gewalt und zunehmende Fragilität und Abspaltung, und für Europa insgesamt wäre die Alternative ein Weg zurück in die Konfrontation. Das kann nicht im Interesse Russlands sein und auch nicht im Interesse des Westens. Das heißt, alle Seiten müssen sich jetzt bemühen, auf die entsprechenden Streithähne einzuwirken und Betonköpfe auch etwas weicher zu klopfen, damit es zum Dialog kommt, und wir sind doch erst am ersten Tag. Ich würde doch jetzt nicht sofort aufgeben.
    Müller: Betonköpfe, Herr Richter, ein Stichwort, was ich eingebracht habe, war ja gezielt auch mit Blick auf Kiew. Die Frage ist jetzt: Der Westen hat gestern, beziehungsweise Brüssel, die Europäische Kommission und die Europäische Union, Milliarden Finanzhilfen freigemacht für die Ukraine, für die Übergangsregierung in Kiew. Ist es da richtig, so viel Unterstützung zu bringen, ohne zu wissen, wie das weitergeht und auf wen man letztendlich setzen muss?
    Richter: Nun, ich denke, dass diese Gelder zunächst einmal freigegeben worden sind, aber sie sind ja noch nicht geflossen und man kann ja durchaus gerade deswegen, weil die Ukraine auch davon abhängig ist, entsprechenden diplomatischen Druck ausüben, dass die ukrainische Regierung sich bewegt. Ich meine, wenn ich das höre, was der Präsident Turtschinow gesagt hat, dann kann man ja davon ausgehen, dass er dialogbereit ist. Er macht die Bedingung, er möchte nicht mit Menschen reden, die, wie er sagt, Blut an den Händen haben. Mittlerweile muss man leider sagen, dass das beide Seiten trifft und dass man sich sehr genau angucken muss, wer dann am Tisch sitzt. Aber es muss politische Vertreter geben aus beiden Lagern.
    Müller: Auch wir die Regierung stellt? Hoch umstritten, ob dort rechte Splittergruppen dabei sind, militaristisch geprägt, die mit Gewalt vorgegangen sind.
    Richter: Das werden die Ostukrainer wahrscheinlich überhaupt nicht akzeptieren, dass da rechte Splittergruppen für sich alleine verhandeln, parallel dazu am Tisch sitzen. Ich denke, es sind offizielle Vertreter der Regierung der Ukraine, und es werden dann die Vertreter sein müssen, die sich politisch hervorgetan haben, aber nicht unbedingt selber nun an Aktionen der Milizen teilgenommen haben oder gar an Verschleppungen oder dergleichen, also an den Gewalttaten, die passiert sind.
    Müller: Bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk Oberst a.D. Wolfgang Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik, vormals Beobachter der OSZE in Südossetien. Vielen Dank!
    Richter: Danke, Herr Müller.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.