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Ukraine-Konflikt
"Entscheidung liegt ganz bei Herrn Putin"

Der Ukraine-Konflikt könne auf friedliche Weise beigelegt werden, wenn Russland und die Separatisten die in Minsk gegebenen Zusagen einhalten würden, sagte US-Vize-Außenminister Antony Blinken im DLF. Dann könne die Ukraine ihre territoriale Integrität und Souveränität über das Staatsgebiet wieder zurückgewinnen. Er hoffe, dass das geschehen werde, die Entscheidung liege aber ganz bei Herrn Putin.

Antony Blinken im Gespräch mit Christoph Heinemann | 06.03.2015
    Der US-Vizeaußenminister Tony Blinken zu Gast im Hauptstadtstudio Berlin.
    Der US-Vizeaußenminister Antony Blinken zu Gast im Hauptstadtstudio Berlin. (Deutschlandradio / Johannes Kulms)
    Christoph Heinemann: Die EU-Außenminister kommen heute in Riga zu Beratungen über die langfristige Strategie gegenüber Russland zusammen. Unterdessen gibt sich das Außenministerium in Moskau besorgt: Das Ministerium habe Informationen über die Ankunft der ersten US-Soldaten im Westen der Ukraine. "Es ist klar, dass sie dem Land keinen Frieden bringen werden", sagte Außenamtssprecher Alexander Lukaschewitsch. Die US-Amerikaner sollen ukrainische Soldaten im Umgang mit Waffen schulen. US-Medien hatten zuletzt von Plänen für eine Ausbildungszeit vom 5. März bis 31. Oktober in der Westukraine berichtet. Wir hatten gestern Gelegenheit zu einem Gespräch mit Anthony Blinken. Ich habe den stellvertretenden amerikanischen Außenminister gefragt, mit welchem Auftrag sich die US-Soldaten in der West-Ukraine aufhalten?
    Anthony Blinken: Wir haben in den vergangenen Jahren die Ukraine darin unterstützt, ihre Sicherheitskräfte zu professionalisieren. Das haben wir über viele Jahre hinweg getan. Die Ukraine hat an verschiedenen internationalen Missionen teilgenommen, einschließlich derjenigen in Irak und Afghanistan, und wir haben sie darin unterstützt, einen professionellen Stand der Streitkräfte herbeizuführen, so dass die Ukraine auch in der Zukunft an solchen internationalen Einsätzen teilnehmen kann. Das war die Art der Arbeit, die wir geleistet haben. Es ist in höchstem Maße befremdlich zu sehen, dass jetzt die Russen ihre Besorgnisse ausdrücken, nachdem wir über Jahre hinweg Ausbildungshilfe geleistet haben, während die Russen im vergangenen Jahr Tausende von Männern haben einsickern lassen, nicht um die Ukrainer ausbilden zu helfen, sondern um sie zu töten.
    Ich habe also größte Mühe damit herauszufinden, weshalb die Russen jetzt so besorgt sind. Ganz im Gegenteil sollten die Russen sich anstrengen, ihre Wehrtechnik, ihre Panzer, ihre Artillerie aus der Ukraine herauszuholen, mit denen sie die Separatisten ausgestattet haben. Sie sollten auch ihre Spezialkräfte, die die Separatisten unterstützen und denen sie Hilfe leisten und die sie teilweise auch führen, zurückziehen, statt dass jetzt ukrainische Soldaten teilweise in Bedrängnis geraten, oder sogar angegriffen werden von den Separatisten oder den Spezialkräften der Russen selbst.
    Heinemann: Gehen Sie davon aus, dass das Waffenstillstands- und Friedensabkommen von Minsk respektiert und verwirklicht wird?
    "Den Druck, den wir ausüben, beibehalten"
    Blinken: Nun, ich hoffe das. Dank der diplomatischen Anstrengungen von Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Hollande bestand und besteht eine gute Chance, die Krise zu einer diplomatischen Lösung zu führen, und das ist auch die beste Art, wie das beigelegt werden kann. Die entscheidende Frage ist, ob Russland und die Separatisten die in Minsk gegebenen Zusagen einhalten werden. Dann kann nämlich dieser Konflikt auf friedliche Weise beigelegt werden. Die Ukraine kann dann die territoriale Integrität und die Souveränität über das Staatsgebiet wieder zurückgewinnen. Meine Hoffnung ist, dass genau das geschehen wird, aber die Entscheidung liegt ganz bei Herrn Putin.
    Heinemann: Mit welchen Folgen müsste Russland rechnen, wenn sich die Lage verschlechtern würde?
    Blinken: Wenn die Situation sich verschlechtert, dann werden die USA und die EU die wirtschaftlichen Sanktionen aufrecht erhalten. Aber wenn Russland die eingegangenen Verpflichtungen einhält, dann werden wir sie aufheben können. Vorläufig aber müssen wir den Druck, den wir ausüben, beibehalten, um Russland dazu zu bewegen, die Marschrichtung, die es in der Ukraine eingeschlagen hat, zu ändern.
    Heinemann: Die Vereinigten Staaten denken über Waffenlieferungen nach. Halten Sie eine militärische Lösung für möglich?
    Blinken: Ich glaube nicht, dass es eine militärische Lösung geben kann. Die Lösung muss diplomatischer Art sein. Aber wir wissen doch auch: Sollten wir mehr Wehrtechnik bereitstellen, dann könnte Russland jederzeit das Doppelte, das Dreifache oder das Vierfache unserer Einsätze dagegenstellen.
    Jedoch ist es auch wichtig festzustellen, dass die Ukraine Möglichkeiten braucht, um sich selbst zu verteidigen. Wir haben in der Tat nicht tödliche Waffen bereitgestellt, Sicherheitstechnik, die geeignet ist, die Selbstverteidigung der Ukraine zu unterstützen. Aber man muss auch berücksichtigen, dass in der gesamten Krise die Ukraine immer wieder einseitig das Einhalten von Waffenstillstandsvereinbarungen angekündigt hat und dennoch stets wieder von den Separatisten, die von den Russen ausgerüstet und unterstützt worden sind, angegriffen zu werden, und es ist doch klar, dass sie dann unter dem Druck dieser Angriffe sich auch selbst verteidigen mussten. Es ist geradezu ein moralisches Gebot, dass wir dann denjenigen, die angegriffen werden, darin beistehen, sich selbst zu verteidigen, gegen Aggressionen jeder Art.
    Heinemann: Welches Ziel verfolgt Herr Putin? Möchte er eine Art Sowjetunion wiederherstellen?
    "Im 21. Jahrhundert nicht hinnehmbar"
    Blinken: Ich glaube, ihm schwebt vor, den Bereich des russischen Einflusses über die gesamte Staatenwelt der ehemaligen Sowjetunion auszubauen. Was die Ukraine angeht, so gibt es dazu verschiedene Möglichkeiten. Entscheidend bleibt jedoch: Er versucht, dem Volk der Ukraine die Entscheidungsmöglichkeiten über die eigene Zukunft zu nehmen, und das ist schlechterdings nicht akzeptabel in der Demokratie. Nur die Ukrainer selbst können über ihren Weg entscheiden, nicht die USA oder Deutschland oder die EU und ebenso wenig auch Russland. Aber Herr Putin versucht eben, die Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Ukraine einzuschränken, und das ist im 21. Jahrhundert nicht hinnehmbar.
    Heinemann: Präsident Obama hat Russland als eine regionale Macht beschrieben, für die Russen eine Demütigung. Müsste der US-Präsident Herrn Putin nicht das Gefühl geben, dass er gleichrangig ist?
    Blinken: Nun, wir haben in verschiedenen amerikanischen Regierungen über mehr als 20 Jahre versucht, Russland als ebenbürtigen Partner mit einzubinden, nicht nur in dem eigenen Umfeld, sondern auch weltweit. Wir haben mit Russland die Partnerschaft für Frieden im Jahr 1994 abgeschlossen, Mitte der 90er-Jahre stieß Russland zum Europarat, es gab die OSZE-Vereinbarungen, es gab die Gründungsakte zwischen NATO und Russland, die Regierung Obama war sogar der entschiedenste Befürworter des Beitritts Russland zur Welthandelsorganisation.
    Wir haben immer wieder bei den Russen vorgetragen, dass unsere beiden Länder zusammen mit der EU hervorragende Chancen hätten, um die Lage zu verbessern. Wir haben daran gearbeitet, unsere strategischen Waffenarsenale wechselseitig zu beschränken. Aber was natürlich nicht hinnehmbar ist, ist, dass Russland versucht, den eigenen Nachbarstaaten zu sagen, welchen Weg sie einschlagen sollten. Das ist etwas, was ins 20. Jahrhundert, aber keineswegs ins 21. Jahrhundert passt. Sollte man hier in den Ansatz der Einfluss-Sphären zurückfallen, so werden wir diesen Ansatz so nicht annehmen können.
    Heinemann: NATO-Erweiterung, die Assoziierungspolitik der Europäischen Union mit der Ukraine - wurden auf Seiten der westlichen Gemeinschaft Fehler gemacht?
    "Man hätte mehr tun können"
    Blinken: Ja, da hätte man sicherlich mehr tun können. Zum Beispiel das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine hätte besser erklärt werden können. Man hätte Russland vermitteln können, dass es keineswegs unvereinbar mit den russisch-ukrainischen Beziehungen war, dass das Ganze sich in einer wechselseitig ergänzenden Beziehung befand und nicht gegen eine starke Partnerschaft zwischen Russland und der Ukraine gerichtet war, sondern den russischen Interessen entsprach. Das hätten wir sicherlich besser machen können. Ich bin ja sogar der Meinung, dass die NATO-Erweiterung im Interesse Russlands lag, weil eben an der Westflanke Russlands dadurch mögliche Quellen für Instabilität beseitigt werden.
    Heinemann: Die sehen das aber anders.
    Blinken: Die NATO hat in jedem Fall niemals auf aggressive Weise die Erweiterung vorangetrieben. Vielmehr ist die NATO ein Verteidigungsbündnis zum Schutz des Territoriums der Mitgliedsstaaten. Wir haben ja auch niemals eine Vorwärtsverteidigung ausgebaut, wir haben unsere Lenkwaffen niemals nach vorne verlegt und die NATO ist niemals in irgendeiner Weise aggressiv oder gegen Russland gerichtet aufgetreten. Nein, die NATO hat einen reinen Verteidigungscharakter.
    Heinemann: In der vergangenen Woche wurde Boris Nemzow, ein führender Oppositioneller gegen Putin, getötet. Hält es die US-Regierung für möglich, dass in einer gelenkten Demokratie wie in Russland solche Dinge ohne irgendeine Unterstützung der Macht geschehen können?
    Blinken: Wir wissen nicht, was bei der Ermordung Nemzows geschah. Ich hatte die Ehre, ihn kennenzulernen als einen überzeugten Patrioten und echten Demokraten, der alles getan hat, um sein Land in das 21. Jahrhundert zu führen. Ich hoffe, dass es eine schnelle, gründliche und unabhängige Tatsachenfeststellung, ein Herausfinden der Wahrheit geben wird. Wir wissen nicht, was tatsächlich geschehen ist. Was wir aber wissen ist, dass sich in Russland zunehmend ein Klima der Angst ausbreitet. Unabhängig davon, wer nun den Finger am Abzug hatte, wissen wir doch, dass sich in diesem Klima der Angst, das schlecht für die Zukunft Russlands ist, durchaus jemand vielleicht zum Gedanken hat verleiten lassen, dass er jetzt ungestraft irgendwelche Verbrechen begehen könnte.
    Diese Wahrnehmung, die jetzt um sich greift, ist eben zunehmend, dass man in den USA oder Deutschland, wenn man die eigene Regierung angreift, dann auch gewinnen kann, dass man, wenn man dasselbe in Russland tut, dass man dann sterben kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.