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Ukraine-Konflikt
"OSZE soll Waffenruhe überwachen"

Die brüchige Feuerpause in Ukraine sollte nach den Worten von CDU-Außenpolitiker Mißfelder von einer international unabhängigen Organisation kontrolliert werden. Die OSZE sei das richtige Instrumentarium dazu, sagte Mißfelder im DLF. Insgeheim verfolge Russland eine bereits bekannte Taktik.

Philipp Mißfelder im Gespräch mit Peter Kapern | 08.09.2014
    Ukrainische Soldaten stehen neben einem zerstörten Militärfahrzeug in der ostukrainischen Hafenstadt Mariupol.
    Ukrainische Soldaten stehen neben einem zerstörten Militärfahrzeug in der ostukrainischen Hafenstadt Mariupol. (AFP / Philippe Desmazes)
    Die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) seien zuletzt bei ihrer Arbeit in der Ukraine behindert worden. Russlands Präsident Wladimir Putin und sein ukrainischer Amtskollege Petro Poroschenko sollten nun gemeinsam die Organisation bitten, die Beobachtermission zu übernehmen und den Waffenstillstand zu überwachen. Putin habe in seinem Sieben-Punkte-Plan selbst angeregt, die Feuerpause international unabhängig überwachen zu lassen.
    Mißfelder betonte aber auch, dass nicht jeder Schuss automatisch eine Verletzung des Waffenstillstandes sei, der dazu führe, dass das ganze Abkommen nicht mehr gelte. Moskau spekuliere darauf, den Konflikt einzufrieren, weil die Kosten für das Land enorm seien und die verhängten Sanktionen bereits Wirkungen zeigten. Putin könne nun also lange Verhandlungen anstreben, mit dem Ziel, das bisher Erreichte "einzufrieren", sagte Mißfelder. Diese Taktik namens "Frozen Conflict" sei Putin bereits mehrmals gefahren, etwa im Fall von Abchasien.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Peter Kapern: Vor einer Stunde habe ich Philipp Mißfelder, den außenpolitischen Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag, gefragt, ob die brüchige Waffenruhe seiner Meinung nach Bestand haben wird.
    Philipp Mißfelder: Grundsätzlich begrüße ich das natürlich, dass es überhaupt so ein Abkommen gibt. Ich bin auch der Meinung, dass man sehr genau hinschauen muss. Nicht jeder Schuss ist automatisch eine Verletzung des Waffenstillstandes, der dazu führt, dass das ganze Abkommen nicht mehr gilt. Aber natürlich muss man sehr genau schauen, ob nicht dort auch unterhalb dieses Waffenstillstandes einfach so weitergemacht wird wie bisher, um Sanktionen zu verhindern.
    Kapern: Wer muss da schauen?
    Mißfelder: Das ist ja die große Frage, was einer der kritischen Punkte bei diesem Waffenstillstand ist. In dem Sieben-Punkte-Plan, den Präsident Putin vergangene Woche vorgestellt hat, war ja auch die Rede davon, dass auch international hingeschaut werden soll. Ich würde mir natürlich wünschen, dass das eine unabhängige Organisation tun würde. Die OSZE wäre das richtige Instrumentarium dafür. Aber da haben wir ja die Erfahrung schon gemacht, dass die Arbeit der OSZE-Beobachter in der Vergangenheit behindert worden ist.
    Kapern: Wie genau müsste das Vorgehen der OSZE jetzt aussehen und wer kann das voranbringen?
    Mißfelder: Es gibt ja verschiedene Formate, die wir auch in den letzten Wochen intensiv miteinander diskutiert haben. Das könnte zum Beispiel das sogenannte Normandie-Format sein, wo sich ja auf der Präsidialebene auch Putin und Poroschenko direkt unterhalten haben. Und ich würde mir wünschen, dass die beiden Herren die OSZE bitten würden, diese Beobachtermission zu übernehmen und damit auch den Waffenstillstand zu überwachen.
    Kapern: Nun gehört ja zu den Vereinbarungen von Minsk, die da am Wochenende von der OSZE selbst veröffentlicht worden sind, auch die Festlegung, dass die umkämpften Gebiete im Osten der Ukraine integraler Bestandteil der Ukraine bleiben sollen. Sehen Sie dafür wirklich eine Chance nach Lage der Dinge?
    Über Philipp Mißfelder
    Geboren 1979 in Gelsenkirchen, Nordrhein-Westfalen. Der CDU-Politiker studierte ab 2003 Geschichte in Berlin. Er ist seit 1993 Mitglied der Jungen Union und seit 1995 Mitglied der CDU. Seit 2005 ist Mißfelder Abgeordneter im Deutschen Bundestag und dort seit 2009 außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Seit 2002 ist er außerdem Vorsitzender der Jungen Union.
    Mißfelder: Da sprechen Sie einen ganz wichtigen Punkt an, der ja nicht nur der Ukraine wichtig ist, sondern dem ganzen Westen, dass man sagt, die Ukraine soll als Nation, wie sie heute ist, erhalten bleiben. Und ich glaube, da ist man politisch mit Russland noch sehr weit auseinander, denn das, was zum Teil ja im Westen als Dezentralisierung oder als Föderalisierung angesprochen worden ist, ist in Russland immer ausgenutzt worden in Richtung Spaltung des Landes. Und das ist etwas, was sicherlich in der politischen Diskussion noch eine sehr große Rolle spielen wird.
    Kapern: Das deckt sich mit dem, was unsere Reporterin ja aus dem Osten der Ukraine berichtet. Sie erzählt uns, das haben wir gehört, dass von den Separatisten in den von ihnen kontrollierten Gebieten russische Pässe ausgegeben werden, dass dort Renten in Rubel und nicht etwa in der ukrainischen Währung Hrywnja ausgezahlt werden. Wie deuten Sie das?
    Mißfelder: Es gibt ja immer wieder solche plakativen Ereignisse. Das mögen Einzelereignisse sein, das wäre jetzt eigentlich eine positive Beurteilung. Das kann aber auch sein, dass natürlich dahinter ein struktureller Plan steckt. Aber eines ist ganz klar: Dass das propagandistisch ausgeschlachtet wird und dass das natürlich auch in den Blickpunkt gerückt wird, zeigt ganz deutlich, dass dort natürlich russische Interessen sehr stark betont werden, um deutlich zu machen, das ist russischer territorialer Anspruch. Und das ist eine Sache, wo der Westen ja ganz deutlich gemacht hat, dass das nicht akzeptabel ist. Das gilt nicht nur für die Krim, sondern das gilt auch für den aktuellen Völkerrechtsbruch, der ja ansteht, der Durchbruch auf dem Land hin zur Krim. Das hat nichts mit Versorgungsfragen zu tun, sondern wäre erneut ein Verstoß gegen das Völkerrecht, der dementsprechende Konsequenzen nach sich ziehen würde.
    Kapern: Ein Verstoß gegen das Völkerrecht, der eindeutig auf Rechnung der russischen Regierung geht, denn die Separatisten können ja auf eigene Rechnung keine russischen Pässe ausgeben, oder?
    Mißfelder: Wie gesagt, darüber liegen mir jetzt außer dem, was Sie gesagt haben, keine Informationen vor. Nichtsdestotrotz: Sollten sich solche Informationen verdichten, können Sie ja die Urheberschaft relativ eindeutig lokalisieren, denn natürlich hat Russland in den vergangenen Wochen immer wieder gesagt, sie hätten weder was mit den zehn Fallschirmjägern zu tun, die dort festgenommen worden waren, oder mit den über tausend Soldaten, die angeblich sich im Urlaub dort befunden hätten. Ich glaube, es lässt sich da die Verantwortung schon relativ deutlich festmachen.
    Kapern: Die Vereinbarung vom vergangenen Freitag beinhaltet ja nach Angaben der OSZE auch, das Vorhaben so schnell wie möglich Kommunalwahlen in den Regionen im Osten der Ukraine abzuhalten. Halten Sie es überhaupt für machbar, dort freie und faire Wahlen abzuhalten?
    Mißfelder: Ich halte es für machbar. Ich halte es dann für machbar, wenn wir tatsächlich internationale Aufmerksamkeit auch in die einzelnen Städte lenken können. Das bedeutet allerdings, dass erstens bis dahin die Situation sich so beruhigt haben muss, militärisch, dass es überhaupt auch internationalen Beobachtern zumutbar ist, dort hinzugehen, dass sie dann, wenn sie vor Ort sind, zweitens auch die Möglichkeit haben, zu arbeiten. Sollten die beiden Voraussetzungen nicht erfüllt werden, macht es wirklich keinen Sinn, dort von freien und fairen Wahlen zu sprechen, denn irgendjemand muss es ja überprüfen. Und ich bin auch der Meinung, dass diese Wahlen grundsätzlich wichtig sind, denn das ist ja nicht nur die Frage irgendeiner Frage von Legitimation, wer dort als Bürgermeister agiert oder nicht, sondern es ist ja auch die Frage, was wollen die Menschen wirklich. Und da gibt es ja auch unterschiedlichste Angaben dazu, ob die Menschen in der östlichen Ukraine nicht tatsächlich auch an dem Nationalstaat festhalten wollen. Insofern glaube ich dort an der Stelle auch nicht das, was die Separatisten in erster Linie sagen.
    Kapern: Herr Mißfelder, was würde es bedeuten, wenn es Russland gelingen würde, einen weiteren dieser sogenannten frozen conflicts mitten in Europa zu platzieren, wenn die Situation, so wie sie sich derzeit darstellt, auf absehbare Zeit zementiert würde?
    Mißfelder: Um das etwas nüchtern zu sagen: Ich glaube, darauf spekuliert auch Moskau, sozusagen als Bester-Fall-Szenario, dass sie sich überlegen, den Konflikt jetzt einzufrieren. Weil die ökonomischen Kosten dessen, was sie gerade tun, enorm sind und weil ich auch der festen Überzeugung bin, dass die Sanktionen Wirkung zeigen, ist, glaube ich, die Überlegung schon da, zu sagen, gibt es nicht irgendeinen Verhandlungsmodus, wo man über sehr, sehr lange Zeit verhandeln kann, aber das, was man als Status quo bisher erreicht hat, einfriert. Das ist ja das, was Sie mit dem frozen conflict ansprechen. So etwas gibt es in Nagorni Karabach, so etwas gibt es in Transnistrien, so etwas gibt es in Südossetien und Abchasien. Und ich glaube, das wäre dann der vierte frozen conflict, der den Russen vorschwebt.
    Kapern: Das heißt aber doch, wenn das tatsächlich das nüchterne Kalkül von Wladimir Putin ist, dass die Vereinbarung vom vergangenen Freitag, die ja sozusagen die besetzten ostukrainischen Gebiete der Ukraine zusprechen, dass diese Vereinbarung das Papier nicht wert ist, auf dem sie steht.
    Mißfelder: Wissen tun wir es natürlich mit letztendlicher Sicherheit nicht. Das ist ja gar keine Frage. Aber man muss das ja im Kalkül haben, bevor man sich für einen solchen Verhandlungsmodus einsetzt. Die Alternative ist natürlich – und das ist ja das, was auch im Raum stand in den letzten 14 Tagen – eine weitere Eskalation. Und politisch ist uns natürlich schon daran gelegen, die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen und eine größere militärische Konfrontation zu vermeiden. Es ist nicht so, dass man jetzt die Alternative hat zwischen einer guten und einer schlechten Lösung, sondern es kann auch sein, dass man zwischen einer sehr schlechten und einer schlechten Lösung entscheiden muss.
    Kapern: Philipp Mißfelder, der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Mißfelder, danke für das Gespräch, einen schönen Tag.
    Mißfelder: Herzlichen Dank! Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.