Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Ukraine-Konflikt
Will Kiew Gebiete im Osten aufgeben?

Der frühere ukrainische Präsident Krawtschuk hat vorgeschlagen, die von den prorussischen Separatisten besetzten Gebiete im Osten des Landes aufzugeben. Er wisse, dass der jetzige Präsident Poroschenko kurz vor einer solchen Entscheidung stehe. Russland hat daran aber offenbar wenig Interesse.

Von Sabine Adler | 23.08.2015
    Kämpfer der prorussischen Separatisten in der Region Donezk
    Kämpfer der prorussischen Separatisten in der Region Donezk (imago stock&people)
    Unmittelbar vor dem morgigen ukrainischen Nationalfeiertag schlug der erste Präsident des 1991 unabhängig gewordenen Landes vor, die besetzten Gebiete im Osten aufzugeben. Leonid Krawtschuk war im vorigen Jahr vor den Minsker Friedensgesprächen der offiziell von der Regierung eingesetzte Verhandlungsführer der ukrainischen Seite.
    Zwar wird die Diskussion, den Donbass aufzugeben, längst hinter vorgehaltener Hand geführt, doch offen ausgesprochen hat bislang niemand einen derartigen Vorschlag.
    Leonid Krawtschuk schrieb in einem Aufsatz für die ukrainische Nachrichtenagentur UNN, dass auf dem okkupierten Territorium nicht nur Banditen und Separatisten wohnen würden, sondern auch Patrioten. Hilfe für sie sei schwierig und derzeit nicht möglich. Wenn es dort Patrioten gäbe - Krawtschuk meint proukrainische - sollten diese einen Maidan organisieren, wie die Menschen in Kiew, und die Macht der Separatisten davonjagen. Krawtschuk fragt: Zitat: Hat jemand gehört, dass diese Patrioten einen solchen Wunsch geäußert haben? Oder haben sie eine Bitte nach Kiew geschickt, ihnen zu helfen?
    Deswegen dürfe man sich nicht selbst belügen. Die Ukraine müsse sich von dem okkupierten Territorium abgrenzen. So mache man das in der ganzen Welt. Und Krawtschuk fügte hinzu: Er wisse, dass Präsident Petro Poroschenko dicht vor einer derartigen Entscheidung stehe.
    Russland kann Vorschlag wenig abgewinnen
    Bei dem Aufsatz kann es sich um einen Testballon handeln, um zu prüfen, wie ein solcher Vorschlag aufgenommen werden könnte. Unter den freiwilligen proukrainischen Kämpfern dürfte er Empörung auslösen, Poroschenko muss damit rechnen, als Verräter gebrandmarkt zu werden, würde er sich in diese Richtung bewegen. Denn die rund 7.000 getöteten Kämpfer und Zivilisten wären ein hoher Blutzoll, der kaum zu rechtfertigen wäre, wenn das Ziel der Unveränderlichkeit der ukrainischen Grenzen aufgegeben werden würde. Die Ukraine stünde vor einer Zerreißprobe.
    Auch Russland kann einem solchen Vorschlag vermutlich wenig abgewinnen. Moskau hat nach dem vor einem Jahr begonnenen Krieg zu verstehen gegeben, dass es der Bitte um einen Anschluss der selbstausgerufenen Donezker und Lugansker Volksrepubliken nicht nachkommen möchte, es sich das ostukrainische Gebiet anders als die Krim nicht einverleibt. Die Industrie im Donbass ist größtenteils zerstört, veraltet und war schon vor dem Krieg subventionsbedürftig.