Korruption in der Ukraine
Selenskyj-Regierung in der Kritik

Durch ein neues Gesetz schränkt Präsident Selenskyi die Arbeit der ukrainischen Antikorruptionsbehörde ein. Damit bringt er nicht nur die Bevölkerung gegen sich auf, sondern erschwert den Weg des Landes in die EU.

    Menschen tragen Schilder und rufen etwas: In Kyiv demonstrieren Menschen gegen das neue Gesetz zur Einschränkung der Antikorruptionsbehörde.
    Tausende Ukrainer haben gegen das neue Gesetz zur Einschränkung der Antikorruptionsbehörde demonstriert. (picture alliance / Danylo Antoniuk)
    Ein neues vom Parlament verabschiedetes und von Präsident Wlodymyr Selenskyj unterzeichnetes Gesetz schränkt die Unabhängigkeit der ukrainischen Antikorruptionsbehörde (NABU) ein. Nichtregierungsorganisationen kritisierten das Gesetz scharf. Trotzdem stimmte eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten für das Gesetz. 
    In den Tagen zuvor ging Ermittlungsbehörden bereits gegen einen Antikorruptionsaktivisten vor. Der Geheimdienst unternahm Razzien bei der nationalen Antikorruptionsbehörde.
    Die EU kritisierte die Gesetzesänderung als "Rückschritt". In der Ukraine kam es zu Protesten gegen das Gesetz. Im Fokus der Kritik: Präsident Selenskyj. Regierungskritiker werfen ihm seit Längerem zunehmend autoritäre Tendenzen vor.
    Selenskyj sicherte als Reaktion einen Plan zur Korruptionsbekämpfung in seinem Land zu. Dieser solle innerhalb von zwei Wochen vorgelegt werden, sagte Selenskyj in Kiew nach einem Treffen mit Vertretern von Antikorruptions- und Sicherheitsbehörden.

    Inhalt

    Was bewirkt das von Selenskyj unterzeichnete Gesetz?

    Das Gesetz ermöglicht dem Generalstaatsanwalt, mehr Kontrolle über das Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) und die auf Antikorruption spezialisierte Staatsanwaltschaft (SAP) auszuüben. Denn NABU und SAP sind von nun an dem Generalstaatsanwalt unterstellt. Dieser wiederum wird von Präsident Selenskyi ernannt.
    Laut der ukrainischen NGO „Anti-Corruption Action Center“ macht das Gesetz die Antikorruptionsbehörden weitgehend bedeutungslos, da der Generalstaatsanwalt "die Ermittlungen gegen alle Freunde" von Präsident Selenskyj einstellen werde.

    Was ist das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU)?

    Das ukrainische Antikorruptionsbüro (NABU) war 2014 nach der pro-europäischen Maidan-Revolution eingerichtet worden. Es untersucht Fälle von Korruption in staatlichen Institutionen, während die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP) andere Korruptionsfälle verfolgt.

    Welche weiteren Vorfälle weisen auf Rückschritte bei der Korruptionsbekämpfung hin?

    Schon zuvor waren Mitarbeiter der Antikorruptionsbehörden und der bekannte Aktivist und Anti-Korruptionskämpfer Vitalij Schabunin ins Visier von Ermittlern geraten.
    Der ukrainische Geheimdienst (SBU) und die Generalstaatsanwaltschaft nahmen Dutzende Razzien bei Mitarbeitern des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) vor. Der Vorwurf: Sie hätten Informationen an den russischen Geheimdienst weitergegeben.
    NABU-Ermittler sollen darüber hinaus mehreren ukrainischen Geschäftsleuten bei der Flucht aus dem Kriegsland geholfen haben. Anderen wiederum wurden Verkehrsunfälle zur Last gelegt. Einer der Mitarbeiter des Antikorruptionsbüros wurde außerdem wegen angeblicher Spionage für Russland festgenommen. Er soll geheime Informationen an einen Sicherheitsmann des 2014 gestürzten ukrainischen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch weitergegeben zu haben. Der Kreml-treue Janukowitsch lebt heute in Russland.
    Auch gegen den bekannten Antikorruptionsaktivisten Vitalij Schabunin ermittelt seit Kurzem der Staat. Die Vorwürfe sind überschaubar, die Methoden bedrohlich. Maskierte Männer haben sein Haus durchsucht. Die Möglichkeit, einen Anwalt zu rufen, wurde seiner Familie zunächst verwehrt. Dutzende Nichtregierungsorganisationen sehen darin den Versuch der politischen Verfolgung gegen einen unliebsamen Kritiker.
    Schabunin selbst wirft Präsident Selenskyj vor, einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einem “korrupten Autoritarismus” gemacht zu haben. Die Nichtregierungsorganisation Transparency International sprach von einem „Versuch der Demontage des Systems zur Korruptionsbekämpfung“.
    Medien vermuten als Hintergrund der Razzien eine Reaktion von Präsident Wolodymyr Selenskyj auf Korruptionsermittlungen von NABU und SAP gegen Ex-Vizeregierungschef Olexij Tschernyschow. Dieser soll Selenskyj nahestehen.
    Statt sich zu den Mutmaßungen zu äußern, ließ Selenskyj das Ministerium jüngst einfach auflösen.

    Wie begründet Selenskyj die Einschränkungen der Antikorruptionsbehörde?

    Die beiden Antikorruptionsbehörden würden unabhängig von den Änderungen weiterarbeiten, sagte der ukrainische Regierungschef Wlodymyr Selenskyj. Doch die ukrainische Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung müsse von "russischen Einflüssen" befreit werden. Der Generalstaatsanwalt sei fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass in der Ukraine Strafen angewendet werden.
    Der Vorwurf der Kollaboration mit Russland kann in der Ukraine schnell schwere Folgen haben. Menschenrechtsgruppen kritisieren das Anti-Kollaborationsgesetz als zu ungenau und vage. Es sei zu umfassend und erfasse auch diejenigen, die nur versucht hätten, die russische Besatzung zu überleben, heißt es in einem Bericht von Human Rights Watch.
    Ein solch schwammiges Gesetz könnte unter Umständen also auch missbraucht werden.

    Welchen Einfluss hat der Krieg auf die Korruptionsbekämpfung in der Ukraine?

    Transparency International zufolge ist die Ukraine eines der korruptesten Länder Europas. Die Zweckentfremdung von Geldern ist ein weitverbreitetes Problem. Und Korruption sei „ein systemischer Teil der Art zu regieren“, sagt Susan Stewart, Expertin für die Ukraine bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.
    Zu Beginn des Krieges sei die Korruption der Wahrnehmung der Bevölkerung nach zwar runtergegangen. Und in einem im Februar 2025 veröffentlichten Artikel attestierte Transparency International der Ukraine noch „Fortschritte bei der Unabhängigkeit der Justiz und der Strafverfolgung von Korruption auf höchster Ebene“.
    Die wahrgenommene Korruption in der Urkaine vom Jahr 2014 bis 2024: Die Entwicklung scheint leicht rückläufig.
    Die Ukraine erreichte im Corruption Perceptions Index (CPI) 2024 einen Indexwert von 35 Punkten und belegte damit Platz 105 von 180 untersuchten Staaten. (Statista / Transparency International)
    Mit den verschiedenen Geldflüssen, um die Ukraine im Krieg zu unterstützen, gebe es nun aber „eine erhöhte Gefahr für Korruption“, sagt Stewart. Zwar gebe es bereits Überwachungsmechanismen. Es könne aber gut sein, dass diese im Krieg nicht gut funktionieren.
    Hinzu komme, dass mit dem Kriegsrecht „die Präsidialadministration noch mehr Macht hat als sonst“. Das schade der Gewaltenteilung. „Der Justizsektor, der sowieso noch nicht richtig reformiert ist, kann nicht ausreichend funktionieren. Das Parlament ist auch teilweise eingeschränkt. Es gibt Einschränkungen für die Gesellschaft und die Zivilgesellschaft“, sagt Stewart. „All das führt zu einer Atmosphäre, in der es leichter ist, korrupt zu sein.“
    Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International landete die Ukraine 2024 auf Platz 105 von 180 Ländern.

    Wie reagiert die EU auf die Einschränkungen der Antikorruptionsbehörden?

    EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos äußerte sich besorgt. Der Abbau wichtiger Schutzmechanismen für die Unabhängigkeit der Behörden sei ein schwerwiegender Rückschritt. Die Bekämpfung der weitverbreiteten Korruption ist eine wichtige Voraussetzung für den von der Ukraine angestrebten Beitritt zur EU und die Sicherung milliardenschwerer westlicher Hilfsgelder.
    Laut dem U4 Anti-Corruption Resource Centre werden die für die EU-Verhandlungen notwendigen Reformen von der ukrainischen Bevölkerung stark unterstützt. Etwa 60 Prozent befürworten die EU-Bemühungen, die Ukraine zur Bekämpfung der Korruption zu ermutigen.

    lkn

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