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Ukraine
Proteste gegen Wahlbetrug in Krywyj Rih

Krywyj Rih ist eigentlich eine Hochburg der prorussischen Partei der Regionen. Doch nun protestieren in der 650.000-Einwohner-Stadt viele Menschen gegen die Fälschung der letzten Kommunalwahl. Bei einer Neuauszählung könnte diese Stadt so an das westlich orientierte Lager fallen - dennoch hält sich der ukrainische Präsident Petro Poroschenko auffällig zurück.

Von Florian Kellermann | 10.12.2015
    Demonstration gegen Wahlbetrug in der ukrainischen 650.000-Einwohner-Stadt Krywyj Rih.
    Demonstration gegen Wahlbetrug in der ukrainischen 650.000-Einwohner-Stadt Krywyj Rih. (Deutschlandradio - Florian Kellermann)
    Über Krywyj Rih wissen die meisten Ukrainer nur zwei Dinge: Die Stadt ist extrem lang gestreckt – über 126 Kilometer. Und sie hat das größte Stahlwerk des Landes. Politisch spielte die Stadt mit ihren 650.000 Einwohnern keine besondere Rolle - bis vor Kurzem. Vor dem Rathaus, einem unansehnlichen Plattenbau, protestieren mehrere tausend Menschen. Unter ihnen auch Natalija Kosudyn, eine 57-jährige Rentnerin:
    "Die Bürgermeisterwahl hier ist gefälscht worden, das regt mich auf. Ich habe für den Oppositionskandidaten gestimmt, aber das ist nicht wichtig. Ich will einfach, dass gerecht ausgezählt wird."
    Angeblich soll der amtierende Bürgermeister Jurij Wilkul die Stichwahl gewonnen haben - mit einem Vorsprung von wenigen hundert Stimmen.
    Diverse Indizien für Wahlfälschung
    Die versammelten Menschen zählen jedoch ein Dutzend verschiedener Methoden auf, wie er und seine Helfer die Wahl gefälscht haben sollen. So soll die Wahlbeteiligung in den Krankenhäusern 100 Prozent betragen haben - und alle Kranken sollen für den Amtsinhaber gestimmt haben. Eine Frau, die ihren Namen nicht nennen will, erzählt:
    "Die Leute des Bürgermeisters haben die Protokolle der Wahlkommissionen einfach gekauft, die leeren Protokolle mit den Unterschriften. Ich war selbst Mitglied einer solchen Kommission, zum ersten und letzten Mal. Ich habe das Geld genommen, was hätte ich alleine schon dagegen unternehmen können."
    Und so schaut die ganze Ukraine derzeit auf Krywyj Rih. Denn die Stadt galt früher als Hochburg der prorussischen Partei der Regionen. Der noch amtierende Bürgermeister Wilkul gehört deren Nachfolgepartei "Oppositioneller Block" an. Sollte die Wahl erfolgreich angefochten und neu gewählt werden, könnte jedoch der prowestliche Herausforderer das Ruder in der russischsprachigen Industriemetropole übernehmen, ein starkes Zeichen wäre das, meint der Kiewer Politologe Wolodymyr Fesenko:
    "Für die pro-europäischen Parteien ist es wichtig, nach und nach auch im Osten Fuß zu fassen. Bisher ist ihnen das in Mykolajiw, Dnipropetrowsk, und jetzt vielleicht auch in Krywyj Rih gelungen. Das sind noch nicht viele Beispiele, aber die Tendenz ist deutlich."
    Der amtierende Bürgermeister hat einiges unternommen, um im Amt zu bleiben. In den Monaten vor der Wahl hat er sämtliche Straßen im Stadtzentrum sanieren lassen. Gegenüber dem Rathaus ist eine Stahlkonstruktion entstanden, mit Blumenrabatten und einer riesigen Uhr. Nicht nur die Demonstranten konnte er damit nicht überzeugen. Kolja, ein 53-jähriger Taxifahrer, findet:
    "Ja, wenn wir öfter Wahlen hätten, am besten jedes Jahr - dann wäre er vielleicht ein guter Bürgermeister. Ob der andere besser ist, weiß ich allerdings auch nicht. Ich weiß nur eines: Das Leben wird immer schwieriger. Der Gaspreis ist jetzt so hoch, dass die Leute wieder Öfen in ihren Häusern aufstellen und mit Holz heizen."
    Die Demonstranten haben inzwischen auch die Eingangshalle des Rathauses in Beschlag genommen, an Tischen können sich Bürger für den sogenannten Wachdienst vor dem Gebäude eintragen.
    Ergebnis auch für die Regierung in Kiew wichtig
    Die Ereignisse in Krywyj Rih wirken sich auch auf die Regierung in Kiew aus: Der prowestliche Bürgermeisterkandidat gehört der Partei "Samopomitsch" an, auf Deutsch "Selbsthilfe". Sie ist zwar Teil der Regierungskoalition, geht aber immer öfter auf Konfrontationskurs mit Präsident Petro Poroschenko. Das Staatsoberhaupt hält sich deshalb aus dem Streit um Krywyj Rih heraus. Und provoziere damit eine Koalitionskrise, meint der Samopomitsch-Abgeordnete Jehor Sobolew:
    "Der Präsident muss sich im Klaren sein: Entweder steht er zum Volk, oder das Volk ergreift die Macht - erst hier in Krywyj Rih und dann in Kiew. Er soll tun, was er versprochen hat, und das Land zu einem europäischen Land machen."
    Einen ersten Erfolg haben die Demonstranten schon errungen: Ein Gericht hat Fälschungen in einem der Wahlbezirke festgestellt. Ein anderes Gericht wiederum hat den Sieg von Amtsinhaber Wilkul insgesamt bestätigt. In dieser Pattsituation ist nun das ukrainische Parlament gefragt, das in Krywyj Rih Neuwahlen ansetzen könnte.