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Ukraine
Prozess gegen Berkut-Polizisten beginnt

In Kiew beginnt heute der Prozess gegen fünf ehemalige Polizisten der Spezialeinheit "Berkut". Sie sollen am Tod von 48 Demonstranten auf dem Maidan mitschuldig sein. Allerdings kamen bei den Gefechten auch vier Polizisten ums Leben. Das Desinteresse der ukrainischen Medien steht einem fairen Prozess zusätzlich im Weg.

14.04.2016
    Die ukrainische Spezialeinheit Berkut
    Die berüchtigte ukrainische Polizei-Spezialeinheit Berkut (dpa / picture alliance / Alexey Furman)
    Die Institutska-Straße führt in einer langgezogenen Rechtskurve steil nach oben. So verbindet sie unten den Unabhängigkeitsplatz in Kiew, den Maidan, mit dem Regierungsviertel oben auf dem Hügel. Schon fast auf dem höchsten Punkt, kurz vor dem Eingang in eine Metro-Station, stehen Fotos von jungen Männern, auf Eisengestellen ordentlich nebeneinander aufgereiht. Immer wieder bleiben Menschen stehen und bekreuzigen sich. So auch der 25-jährige Alexij, der aus Dnipropetrowsk kommt und mit seinem kahl geschorenen Kopf eigentlich nach einem rauen Burschen aussieht.
    "Hier überkommt einen schon ein Gefühl der Traurigkeit, ein Gefühl, als ob sich das Herz zusammenzieht. Die hier sind für einen politischen Wandel gestorben."
    Die auf den Fotos dargestellten Toten bilden die sogenannte "Himmlische Hundertschaft". Sie starben im Kampf gegen das Regime des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowytsch. Über zwei Jahre ist das her. Hier in der Institutska-Straße fanden die härtesten und blutigsten Kämpfe statt. Hunderte Demonstranten stürmten den Hügel, bewaffnet mit Schilden und Stöcken.
    "Andere Gesichter an der Macht, aber die Mafia ist unbesiegbar."
    Ob die Todesschützen jemals gefasst werden? Nein, meint Alexij und rückt einen Schritt näher.
    "Wir werden hier doch nicht etwa abgehört und verhaftet, hoffe ich? Was ich meine: Es hat sich doch im Prinzip nichts geändert im Staat. Andere Gesichter sind an der Macht, aber die Mafia ist unbesiegbar."
    Und doch könnte bald zumindest ein wenig Licht auf jene Ereignisse fallen. In Kiew beginnt heute der Prozess gegen fünf ehemalige Polizisten der Spezialeinheit "Berkut". Es geht um die Ereignisse an einem Tag, am 20. Februar 2014. Die Polizisten sollen der sogenannten schwarzen Kompanie angehört haben - und am Tod von 48 Demonstranten schuldig oder mitschuldig sein, hier in der Institutska-Straße.
    Auf halbem Weg zwischen Metro-Station und Maidan steht ein Mann, der besonders auf Gerechtigkeit hofft: Wolodymyr Bondartschuk. Der 32-Jährige hat genau hier seinen Vater verloren - Serhij Bondartschuk, einen Physiklehrer. Zwei Fotos von ihm hängen hier am Baum, frontal und im Halbprofil. Der Mann mit dem ernsten Blick trägt eine Wischiwanka, das traditionell bestickte ukrainische Hemd. Sohn Wolodymyr kommt fast jeden Tag hierher, um seinem Vater nah zu sein. Er hält die nun angeklagten Berkut-Polizisten für schuldig.
    "In den Körpern der Erschossenen und Verletzten sind Kugeln gefunden worden. Sie stammen aus Dienstwaffen. Deshalb konnte die Staatsanwaltschaft zumindest in diesen Fällen feststellen, wer da geschossen hat: Es waren diejenigen, die auf der Anklagebank sitzen werden."
    Prozess könnte neues Interesse in der Bevölkerung wecken
    Auch die Schusswunden zeigten klar, aus welcher Richtung die Kugeln gekommen seien, sagt Wolodymyr. Er hat sich intensiv mit den Ermittlungen beschäftigt, auch deshalb, weil der Fall sein Vaters weniger eindeutig ist. Wie bei vielen Opfern durchschlug die tödliche Kugel seinen Leib. Sie kann keine Auskunft mehr geben über den Schützen. Trotzdem hofft Wolodymyr, dass der Prozess die Ermittlungen voranbringt:
    "Ich habe einen Film montiert, der verschiedene Video-Aufnahmen von damals synchronisiert. Aus ihm ergibt sich: Als mein Vater zu Boden sank, stand oben am Eingang zur Metro-Station ein Mann in einer schwarzen Uniform und mit einem gelben Armband - ein Berkut-Polizist. Er gab in rascher Folge sechs Schüsse in Richtung meines Vaters ab. Leider war er maskiert, deshalb suchen wir weiter nach Zeugen."
    Der Prozess, so hofft Wolodymyr, könnte wieder mehr Interesse an den Ereignissen jener Februar-Tage wecken. Zumal auch ganz wesentliche Fragen noch nicht geklärt seien. Die 25 Berkut-Polizisten, die im Einsatz waren, seien zwar für die allermeisten Getöteten verantwortlich, meint Wolodymyr. Aber mindestens ein Demonstrant wurde aus einer anderen Richtung erschossen, mehr seitlich als von oben. Von wo genau und von wem ist bisher unklar. Und dann kamen bei den Gefechten ja auch Polizisten um - am 20. Februar waren es vier Uniformierte.
    Vor Kurzem gestand ein Demonstrant - Ivan Bubentschyk - ein, er habe mit einem Maschinengewehr auf die Polizisten geschossen. Er erklärte:
    "Ich habe es geschafft, dass die Polizisten geglaubt haben, auf dem Maidan gebe es 20 Maschinengewehre und nicht nur eines. Ich bin auf der ganzen Barrikade zwischen den Schilden hin und hergerannt. Von dort aus habe ich den Polizisten in die Beine geschossen. Deshalb sind sie geflüchtet."
    "Die Verteidigung wird versuchen, den Prozess zu verschleppen"
    In einem weiteren Interview soll Bubentschyk gestanden haben, dass er zwei Polizisten sogar erschoss - vom Gebäudes des Konservatoriums am Maidan aus. Auch andere Demonstranten sollen von dort aus geschossen haben. Wolodymyr Bondartschuk jedoch hat Zweifel:
    "Diese Behauptungen passen nicht zu den Fakten, die von der Staatsanwaltschaft ermittelt wurden. Da gibt es viele Widersprüche."
    Dies und die Schusswaffen unter den Demonstranten, möglicherweise erbeutet von Polizisten, werden eine wichtige Rolle auch im heutigen Strafprozess spielen. Die Verteidigung werde vorbringen, dass dadurch schwer beweisbar sei, wer zum Tatzeitpunkt im Besitz der Dienstwaffen war, sagt Wolodymyr. Außerdem werde die Verteidigung den Prozess verschleppen - mit einem Ziel:
    "Die Ukrainer haben ohnehin schon genug von dem Thema, sie sind seiner müde. Ein langwieriger Prozess verstärkt das noch, und das ist schlecht. Denn von der anderen Seite kommen sicher Hunderte ehemalige Berkut-Leute und Polizisten und setzen das Gericht immer wieder unter Druck. Wir brauchen die Gesellschaft, damit sie den Prozess kontrolliert."
    Aber selbst die ukrainischen Medien nähmen kaum noch Notiz, sagt Bondartschuk. Er solle ruhig anrufen, wenn die Urteilsverkündung bevorstehe, teilen ihm Journalisten mit.