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Ukraine
Sanktionen sind keine Lösung

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Pavlo Klimkin, schließt aus, dass die Polizei in Kiew scharf auf Demonstranten geschossen hat. Im Deutschlandfunk sagte Klimkin auch, dass Sanktionen gegen sein Land nichts bewirken würden.

24.01.2014
    Christoph Heinemann: Eine pro-russische Regierung, eine pro-europäische Opposition, dabei auch eine rechtsnationalistische Gruppierung, Unruhen im Westen und in der Zentral-Ukraine, Gewalt auf beiden Seiten und drei Tote. Am Abend trafen der bekannteste Oppositionsführer Vitali Klitschko und zwei weitere Vertreter der Protestbewegung mit dem Präsidenten zusammen.
    Unterdessen wird in Washington über Konsequenzen und in Brüssel laut über Sanktionen gegen die ukrainische Regierung nachgedacht. EU-Kommissar Stefan Füle will heute nach Kiew reisen. - Am Telefon ist Pavlo Klimkin, der Botschafter der Ukraine in Deutschland. Guten Morgen.
    Pavlo Klimkin: Schönen guten Morgen.
    Heinemann: Herr Botschafter, warum bewegt sich die Regierung nicht?
    Klimkin: Ja, es ist wichtig, dass man miteinander spricht, und zwar insbesondere in den letzten zwei Tagen haben zwei Runden der Verhandlungen zwischen dem Präsidenten und drei Oppositionsführern stattgefunden. Man hat auch angekündigt, am 28., am Dienstag, da tagt außerordentlich das ukrainische Parlament, und bei dieser Sitzung kann man auch viele umstrittene Fragen dann klären.
    Heinemann: Zum Beispiel die Frage nach einem Rücktritt der Regierung. Nun hat die Regierung im Parlament die Mehrheit.
    Klimkin: Ja, man hat gesagt, alle Fragen, die im Moment auf dem Tisch sind, können bei dieser Sitzung besprochen werden, und zwar über die Verantwortung der Regierung, aber auch um die Gesetze, die im Eilverfahren am 16. Januar beschlossen wurden.
    Heinemann: Gibt es eine Chance dafür, dass das Parlament den Forderungen der Demonstranten zustimmen wird?
    Klimkin: Ja, es gibt einige Forderungen, und wie Sie in Ihrem Bericht auch mitgeteilt haben, hat man auf Majdan gestern Abend die Lage sich angesehen und hat gesagt, im Moment braucht man weitere Verhandlungen.
    Heinemann: Spielt der Präsident auf Zeit?
    Klimkin: Nein, glaube ich nicht. Bei diesen Gewaltexzessen kann man auf Zeit einfach nicht spielen. Das entspricht nicht der Lage.
    Heinemann: Gewaltexzesse, Herr Botschafter. Ein Video geht zurzeit um die Welt: Sogenannte Sicherheitskräfte zwingen einen Mann, sich zu entkleiden, bei minus zehn Grad, und sie verpassen ihm Ohrfeigen. Sind solche Demütigungen in der Ukraine normal?
    Klimkin: Nein, das ist schockierend und abscheulich. Das Innenministerium hat schon gesagt, sie werden auf diese Sache eingehen. Sie haben sich auch entschuldigt. Aber was da passiert hat, ist wirklich schockierend und abscheulich.
    Heinemann: Es waren offenbar Sondereinsatzkräfte der Berkut. Dass die das vor laufenden Kameras gemacht haben, bezeugt nicht ein hoch ausgebildetes Unrechtsbewusstsein.
    Klimkin: Ja, das ist ein Einzelfall. Aber wie gesagt, das ist wirklich eine Ausnahme, aber wirklich schockierend, und man muss da wirklich prüfen und auch alle möglichen Schritte dann unternehmen, damit so was Ähnliches nie einfach passieren könnte.
    Heinemann: Sie sagten Einzelfall. Wir haben im Bericht von Hermann Krause gehört, dass Verwundete aus den Krankenhäusern geholt und ins Gefängnis gesteckt werden. Sind das auch Einzelfälle?
    Klimkin: Ja, man prüft eigentlich jeden Einzelfall. Es gibt viele Berichte im Moment. Aber wie gesagt: Die Stimmung ist wirklich schwierig und angespannt und man muss einfach dafür sorgen, dass diese Gewalt nicht angewendet wird, von allen Seiten. Sie haben über die angebliche pro-russische Regierung und pro-westliche Opposition berichtet, aber es gibt zwei Seiten in diesem Sinne auch nicht. Es gibt Zivilgesellschaften zwar auf dem Majdan in der Ukraine, man muss irgendwie die Lage in der Ukraine besser verstehen.
    Heinemann: Stichwort Gewalt: Wer ist verantwortlich für die Toten von Kiew?
    Klimkin: Man versucht jetzt, das zu klären. Man hat gestern Abend gesagt, dass zwei Menschen auf Majdan beispielsweise mit Jagdgeschossen, angeblich mit Jagdgeschossen getötet wurden, und diese Jagdgeschosse benutzt das Innenministerium selbstverständlich nicht. Man muss da ganz klar ermitteln, wer ist dafür verantwortlich.
    Heinemann: Vitali Klitschko sagt heute in der "Bild"-Zeitung, es seien Scharfschützen in Position gegangen.
    Klimkin: Ja, deswegen prüft man das. Und das ist gerade das, was die ganze Lage auch zugespitzt hat.
    Heinemann: Wieso sind denn Scharfschützen in Stellung, wenn sie nicht schießen sollen?
    Klimkin: Nein, man spricht im Moment nicht über die Scharfschützen. Das ist nicht bestätigt. Aber das ist wirklich eine Entwicklung, die man gleich prüfen muss. Und wie gesagt: Diese Information, dass mit Jagdpatronen getötet wurde, das muss ganz, ganz schnell geprüft werden.
    Heinemann: Schließen Sie aus, dass die Polizei gezielt auf Demonstranten schießt, oder Sicherheitssondereinsatzkräfte der Berkut?
    Klimkin: Ja, absolut!
    Heinemann: Da sind Sie ganz sicher?
    Klimkin: Man hat Gummigeschosse zwar angewendet, aber auf keinen Fall dann gezielt geschossen.
    Heinemann: Da sind Sie ganz sicher?
    Klimkin: Absolut!
    Heinemann: Herr Botschafter, die Regierung hat in Windeseile ein Gesetz zur Einschränkung der Pressefreiheit und des Versammlungsrechts beschlossen. Das sind Reaktionen, wie man sie aus Moskau kennt. Ist Putins Russland Maßstab für die ukrainische Regierung?
    Klimkin: Nein! Die Gesetze wurden zwar in diesem Eilverfahren beschlossen. Das hat viele Stimmen dann in der Ukraine ausgelöst. Und da spricht man gerade darüber, was man mit diesen Gesetzen weiter macht. Eine der praktischen Ideen ist, dass man das bei der außerordentlichen Sitzung des Parlaments weiter besprechen soll, und es gibt auch ganz viele Stimmen in der Ukraine, dass man dies nicht nur im Parlament, sondern auch mit der Zivilgesellschaft in der Ukraine absprechen soll.
    Heinemann: Aber das kann man doch nicht erreichen, indem man Demonstrationen verbietet.
    Klimkin: Ja, selbstverständlich nicht.
    Heinemann: Wieso dann diese Gesetze? Warum werden die nicht zurückgenommen?
    Klimkin: Weil diese Gesetze dann jetzt beim Parlament weiter besprochen werden sollen. Das Parlament kann ja sagen, okay, diese Gesetze müssen absolut neuverhandelt werden. Aber ich kann ja nicht sagen, was für eine Entscheidung das Parlament am Dienstag trifft.
    Heinemann: Bei den Mehrheitsverhältnissen, die dort herrschen, kann man das sich an fünf Fingern abrechnen, abzählen.
    Klimkin: Nein. Ich glaube, das ist eine Frage des Konsenses. Das ist keine Frage der Mehrheitsverhältnisse. Das geht einfach weiter.
    Heinemann: Herr Botschafter, US-Vizepräsident Joe Biden und EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso schließen Sanktionen beziehungsweise Konsequenzen nicht aus, zum Beispiel Einschränkung von Visa oder Konten sperren. Wie würde die ukrainische Führung auf solche Sanktionen reagieren?
    Klimkin: Ich glaube, die Sanktionen sind nie eine Lösung. Sie haben zwar so eine Art Signalwirkung, aber sie können in dem Sinne nichts bewirken. Und das Wichtigste ist nicht, über die Sanktionen nachzudenken, sondern die Lage in der Ukraine so schnell wie möglich zu stabilisieren und auch zu gewährleisten, dass man miteinander spricht, dass keine Gewaltexzesse, und zwar nachhaltig, nicht passieren, und dass man einen Konsens, und nicht nur einen politischen Konsens, sondern einen gesellschaftlichen Konsens in der Ukraine schnell findet.
    Heinemann: Könnten denn Sanktionen diese Suche nach einem Konsens beschleunigen?
    Klimkin: Nein, ich glaube nicht. Wir, die Ukraine, wir müssen diesen Konsens finden.
    Heinemann: Herr Botschafter, Deutschland musste nach dem Krieg die Demokratie lernen oder wieder lernen. Hat die Ukraine das noch vor sich?
    Klimkin: Ja ich glaube, so eine Art demokratische Besinnung, so eine Art demokratische Mentalität gab es in der Ukraine immer. Das begründet auch die ukrainische Geschichte mit vielen historischen Zügen. Aber die klassische europäische Demokratie mit so einem Konsensgefühl, mit dieser Konsenskultur muss die Ukraine weiter lernen, und das ist gerade unsere Aufgabe.
    Heinemann: Pavlo Klimkin, der Botschafter der Ukraine in Deutschland. Danke schön für das Gespräch, Kompliment für Ihre Deutschkenntnisse und auf Wiederhören.
    Klimkin: Vielen Dank. Auf Wiederhören.
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