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Ukraine-Wahl
"Geld nur für konkrete Leistung"

Auch nach der Parlamentswahl in der Ukraine werde das Land eine mittel- bis langfristige Herausforderung für die Europäische Union werden, sagte der Leipziger Osteuropahistoriker Wilfried Jilge im Deutschlandfunk. Vor allem in Hinblick auf finanzielle Unterstützung müsse man klare Kriterien formulieren.

Wilfried Jilge im Gespräch mit Christine Heuer | 27.10.2014
    Die ukrainische Flagge ist am 03.03.2014 in Berlin am Rande einer Demonstration vor der russischen Botschaft zu sehen.
    Die Zustimmung zum Staat muss weiter steigen, sagt Wilfried Jilge. (picture-alliance / dpa / Daniel Naupold)
    Christine Heuer: Die Ukrainer haben gewählt und sich dabei klar für einen proeuropäischen Kurs entschieden. Wem sie die Regierung anvertrauen möchten, das wissen wir heute Mittag aber noch nicht. Nach Auszählung von einem Drittel der Wahlzettel zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Partei von Petro Poroschenko und der von Arsenij Jazenjuk ab. Der Präsident, Poroschenko, galt in den Vorwahlumfragen als klarer Favorit, dem Premierminister Jazenjuk wurden viel weniger Stimmen zugetraut.
    In Moskau erreichen wir Wilfried Jilge, Osteuropa-Historiker und Lehrbeauftragter an der Uni Leipzig. Zurzeit forscht er in Russland. Guten Tag, Herr Jilge.
    Wilfried Jilge: Guten Tag, Frau heuer. Ich grüße Sie!
    Heuer: Ich grüße Sie auch. - Es gab ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Überrascht Sie das?
    Jilge: Nein, das überrascht mich nicht, weil die Parteien von Petro Poroschenko und Arsenij Jazenjuk sehr ähnliche Parteiprogramme haben. Sie haben sich im Grunde genommen nur, was die Haltung zu Russland betrifft, etwas die Rollen geteilt. Während Jazenjuk etwas strenger, etwas härter aufgetreten ist in der Bewertung der russischen Position, hat Poroschenko sich vor allem als Mann des Ausgleichs präsentiert. Aber ideologisch-programmatisch und was die Schwerpunkte der Reformagenda angeht, sind sie sich sehr ähnlich.
    Heuer: Wenn die Ukrainer deutlicher, als das vorherzusehen war, Jazenjuk ihre Stimmen geben, dann ist das ein Votum gegen Russland?
    Jilge: Nein, dann ist das kein Votum gegen Russland, nicht gegen Russland, sondern vielleicht ein Votum auch dafür, dass beide Kräfte die Reform mit unterschiedlichen Akzenten weiter fortführen. Es ist aber vielleicht auch ein bisschen die Kontrolle gegenüber Poroschenko, damit er in den weiteren Verhandlungen nicht zu weich auftritt und Positionen vorschnell aufgibt, insbesondere wenn es darum geht, die Einfrierung, die weitere Einfrierung des Konflikts im Osten zu verhindern.
    Reformgesetze haben Jazenjuk geholfen
    Heuer: Heißt das, dass Poroschenko dann unterm Strich doch weniger Stimmen bekommen hat als erwartet? Ist das ein Zeichen dafür, dass die Ukrainer ihm so ganz nicht trauen?
    Jilge: Ich glaube, das eher nicht. Aber man muss sehen, dass in den letzten Wochen vor der Wahl im Parlament noch sehr viel passiert ist, und mit dem Durchbringen einiger Reformgesetze konnte sich vor allem Arsenij Jazenjuk sehr gut in der Öffentlichkeit präsentieren. Da ging es um das Anti-Korruptions-Paket, da geht es zum Beispiel um die wichtige Annahme des Gesetzes zur Reform der Staatsanwaltschaft, das hoch überfällig ist, und ich denke, das könnte gerade auch Jazenjuk noch Pluspunkte beschert haben.
    Heuer: Poroschenko hat ja unter Janukowytsch gedient. Er sucht die Annäherung auch an Russland. Er verdient auch in Russland als Oligarch sehr viel Geld. Wie verlässlich ist sein Europa-Kurs, nicht jetzt auf kurze, sondern auf lange Sicht?
    Jilge: Ich denke, was man zu Poroschenko sagen muss, muss man zu allen sagen, insbesondere zu den beiden führenden Parteien. Eine Fortsetzung des Reformkurses wird es nur unter zwei Bedingungen geben: Erstens, dass die Zivilgesellschaft und die Kräfte, auch die fachliche Zivilgesellschaft, die jetzt schon sehr stark auch durchaus mit Unterstützung von Herrn Poroschenko im Gesetzgebungsprozess eingebunden war und sozusagen die politischen Eliten versucht hat mit zu kontrollieren, dass die weiter eingebunden werden. Zweitens, dass die westlichen Geberländer ganz klare Benchmarks, ganz klare Kriterien definieren, was bei der Fortführung von Zuwendung von Krediten von Seiten der Ukraine zu erfüllen ist.
    Es ist müßig, darüber zu reden, inwieweit Poroschenko auch ein Oligarch ist, oder auch Jazenjuk schon früher irgendwelchen Regierungen gedient hat. Bei diesen politischen Eliten, auch wenn diese jetzige Regierung und dieser Präsident weitaus dialogbereiter sind als alles das, was wir vorher hatten, muss man, darf man sich nicht darauf verlassen, was die machen, sondern man muss den politischen Willen immer wieder unter klaren Bedingungen begleiten. Kritische Solidarität ist angebracht.
    Heuer: Herr Jilge, Sie sagen, es ist müßig, darüber zu reden, wer von diesen Kandidaten Oligarch ist. Aber man hat ja den Eindruck, dass die Ukrainer schlicht die Nase voll haben davon, dass Oligarchen immer ihre Geschicke bestimmen. Muss man nicht auch darüber reden, dass diese Wirtschaftsmagnaten, denen Korruption unterstellt wird, abgewählt wurden?
    Jilge: Absolut! Man muss darauf hinarbeiten, dass jetzt bei den Reformen, vor allem bei der Korruptionsbekämpfung, aber auch bei der Reform des Wahlgesetzes, Stichwort transparente Parteienfinanzierung, Stichwort Abschaffung des 50prozentigen Mehrheitswahlrechts, durch das die Oligarchen immer wieder Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments nehmen konnten, dass das gemacht wird, dass die konkreten inhaltlichen Dinge, Finanzkontrolle, Wettbewerbskontrolle, dass das so durchgeführt ist, dass die Oligarchen gezwungen werden, nach Regeln zu spielen, und da ist es ganz wichtig, dass man den weiteren Reformprozess auch von externen Partnern her an ganz klare Kriterien bindet. Dann bin ich gedämpft optimistisch, auch mit Hinblick auf das Auftreten der neuen Partei unter Sadovi, wo ja einige zivilgesellschaftliche Vertreter auch vom Maidan mit auf den Listen sind, da bin ich zuversichtlich, dass es hier - natürlich ein Prozess auch mit Vor- und Rückschritten -, aber dass es hier grundsätzlich in eine richtige Richtung geht.
    Moskau wird Separatisten bei November-Wahl unterstützen
    Heuer: Im Osten und im Süden des Landes war die Wahlbeteiligung niedrig. Im Osten wird am 2. November gewählt. Was passiert dann mit welchen Folgen?
    Jilge: Das ist schwer vorherzusehen. Wenn am 2. November gewählt wird, wird viel auch von der Position Russlands abhängen. Russland hat ja jetzt gerade gesagt, dass es anerkennt, dass Wahlen am Sonntag stattgefunden haben. Es hat sich sogar dazu begeben zu sagen, es ist eine Konstellation entstanden, mit der Probleme in der Ukraine gelöst werden können. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Moskau weiterhin auch nichts dafür tun wird, die Separatisten von den Wahlen am 2. November abzuhalten, oder sie zu drängen, sich den Wahlen zu unterwerfen, die im Dezember nach ukrainischer Gesetzgebung stattfinden sollen. Das heißt, Russland wird schlicht und ergreifend sagen, ohne sich genau zur Legitimität zu äußern, ihr, die Ukrainer, müsst das, was am 2. November passiert, irgendwie anerkennen, und wird versuchen, die Ukraine zu drängen, sich mit diesen Leuten, mit den Separatisten an einen Tisch zu setzen. Dann geht es in die Richtung einer immer stärkeren Einfrierung des Konflikts.
    Heuer: Einfrierung des Konflikts - geht das auch in die Richtung eines höheren Risikos der Spaltung?
    Jilge: Das kommt darauf an, was man jetzt unter Spaltung versteht. Insgesamt, würde ich sagen, ist die Ukraine heute weniger gespalten, als sie das vor Jahren war. Denken Sie mal an die Wahlergebnisse im Süden der Ukraine, wo zwar die Nachfolgeparteien von Janukowytschs Partei der Regionen, na ja, ganz gut abgeschnitten haben, aber übrigens gegen den Block aus den Reformparteien auch keine Mehrheit mehr haben.
    Das heißt, der Süden und der Südosten haben sich ja im Blick auf die Loyalität zum ukrainischen Staat massiv verändert, in den letzten Jahren schon und erst recht unter dem Eindruck der Aggression von Russland und den prorussischen Separatisten. Insofern haben wir ein Problem vor allem im Donbass und da wird es tatsächlich schwierig, dass in den Teilen - die Separatisten kontrollieren ja keineswegs alle Gebiete, sondern allenfalls ein Drittel bis die Hälfte -, in diesen Teilen wird es immer schwieriger, den Einfluss des souveränen ukrainischen Staates geltend zu machen.
    Ukraine bleibt Herausforderung für EU
    Heuer: Die Lage bleibt schwierig. Umso wichtiger ist die Unterstützung aus Europa, übrigens dann auch wirtschaftlicher Natur. Diese Wahlen und die kommende Zeit, das wird für Europa ziemlich teuer, oder, Herr Jilge?
    Jilge: Das ist zu befürchten. Die Ukraine wird eine mittel- bis langfristige Herausforderung für die Europäische Union vor allem werden. Das ist der Hauptansprechpartner. Und deswegen ist es so wichtig, dass man sich jetzt ein klares Bild von den Prioritäten macht, dass man klar weiß, was beim Rechtsstaat, was bei der Korruptionsbekämpfung, was bei der Reform der Sicherheitsorgane und der Verteidigungsstrukturen gemacht werden muss, damit die innere Stabilisierung und Zustimmung zum Staat weiter steigt, und man muss hier klare Kriterien formulieren. Noch einmal: Geld nur für konkrete Leistungen.
    Heuer: Wilfried Jilge, Osteuropa-Historiker und Lehrbeauftragter an der Uni Leipzig. Er forscht zurzeit in Russland und wir haben ihn in Moskau erreicht. Herr Jilge, vielen Dank für das Interview.
    Jilge: Ich danke auch. Auf Wiederschauen!
    Heuer: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.