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"Um Zypern steht es ziemlich schlecht"

Die zypriotischen Staatsschulden werden von inländischen Banken gehalten, sagt Matthias Kullas, Fachbereichsleiter für Wirtschafts- und Stabilitätspolitik beim Centrum für Europäische Politik. Ein Schuldenschnitt würde daher zur Folge haben, dass man diese Banken rekapitalisieren müsste.

Matthias Kullar im Gespräch mit Christoph Heinemann | 21.12.2012
    Christoph Heinemann: Über Russland und Brüssel haben wir eben berichtet. Der Brückenschlag von dort nach Zypern fällt nicht schwer, denn angesichts anhaltender Finanznöte des Inselstaates haben sich europäische Politiker und Notenbanker übrigens, übrigens auch Zyperns Präsident Christofias, abermals gegen einen Schuldenerlass für die Mittelmeerinsel ausgesprochen – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Das Pikante – und damit sind wir bei Russland: Medien berichten, auf Zypern hätten besonders viele Russen Geld angelegt, das nicht übermäßig tugendhaft erwirtschaftet wurde, vorsichtig ausgedrückt. Zypern benötigt Hilfen in Höhe von rund 14 Milliarden Euro. Nicht besonders hilfreich ist es da, dass die US-Ratingagentur Standard & Poor’s die Kreditwürdigkeit des Landes um zwei Stufen gesenkt hat. Das Land liegt jetzt bei CCC+ - "Ausblick negativ", behauptet die Agentur.

    Matthias Kullas ist Fachbereichsleiter für Wirtschafts- und Stabilitätspolitik beim Centrum für Europäische Politik in Freiburg. Guten Tag!

    Matthias Kullas: Guten Tag, Herr Heinemann.

    Heinemann: Wie steht es um Zypern?

    Kullas: Um Zypern steht es ziemlich schlecht. Man hat ja den Antrag auf EU-Hilfsgelder gestellt. Zypern hat fiskalische Probleme, realwirtschaftliche Probleme, Bankenprobleme. Der IWF hat jüngst Zypern mit Griechenland verglichen und hat gesagt, die Lage ist noch dramatischer.

    Heinemann: Erwarten Sie einen Schuldenschnitt?

    Kullas: Ich glaube nicht, dass es einen Schuldenschnitt geben wird – aus einem ganz einfachen Grund, weil die Staatsschulden von inländischen Banken gehalten werden. Das heißt, wenn es da einen Schuldenschnitt gibt, trifft das die inländischen Banken und die Bankenrekapitalisierung muss höher ausfallen, und entsprechend muss man dann halt den Banken das Geld geben statt dem Staat. Also das macht keinen Unterschied.

    Heinemann: Wenn es doch dazu käme, welche Folgen hätte eine solche Ankündigung für das drittkleinste Mitgliedsland der Währungsunion an den Märkten?

    Kullas: Zypern ist schon seit mehr als zwei Jahren von den Märkten weg. Also da muss man keine schlimmeren Auswirkungen befürchten, als es ohnehin schon hat. Das Hauptproblem wie gesagt wird sein, dass dann die Banken rekapitalisiert werden müssen.

    Heinemann: Muss der Druck auf die Regierung erhöht werden?

    Kullas: Das auf jeden Fall. Wir haben realwirtschaftliche Probleme, wir haben fiskalische Probleme, das Defizit ist zu hoch, der Schuldenstand muss sinken, ähnlich wie in Griechenland. Es gibt zu viele Angestellte im öffentlichen Dienst, die Wirtschaft ist nicht wettbewerbsfähig, da müssen auf jeden Fall Reformen gemacht werden, die in der Vergangenheit nicht gemacht wurden.

    Heinemann: Nun hat das Parlament in dieser Woche mit großer Mehrheit den Haushalt für 2013 gebilligt, der sowohl massive Ausgabenkürzungen als auch Steuererhöhungen vorsieht. Wir haben gerade Guido Westerwelle gehört. Er hat gesagt, wir helfen bei echten Reformen. Für wie echt halten Sie die jüngsten Beschlüsse?

    Kullas: Wir haben uns die Beschlüsse auch angeschaut. In erster Linie sind es Einnahmensteigerungen durch Steuererhöhungen, die dort erzielt wurden. Die Ausgabensenkungen sind nicht entsprechend. Und vor allen Dingen wie gesagt: Es müssen realwirtschaftliche Reformen her. Der Arbeitsmarkt muss flexibler gestaltet werden, um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu erhöhen.

    Heinemann: Und da ist bisher noch nichts passiert, oder zu wenig?

    Kullas: Da haben wir bisher noch keine Informationen, dass da wirklich entscheidend was passiert ist.

    Heinemann: Warum nicht?

    Kullas: ... , weil es schmerzhaft ist. Das ist einfach eine Sache, die Regierungen ungern machen. Der Staatspräsident hat ja schon angekündigt, dass er nicht mehr regiert, und warum soll er jetzt am Ende seiner Amtszeit noch mal wirklich diese einschneidenden harten Reformen durchboxen. Der Widerstand dagegen wird sehr hoch sein.

    Heinemann: Die Wirtschaft Zyperns wird Prognosen zufolge im kommenden Jahr weiter schwächeln, das Bruttoinlandsprodukt vermutlich um rund 3,5 Prozent schrumpfen und die Arbeitslosigkeit 13,7 Prozent erreichen. Das sind Prognosen, ob es so kommt, wissen wir nicht genau. Kann ein solches Land überhaupt sparen?

    Kullas: Es muss sparen, es gibt keinen anderen Weg.

    Heinemann: Auch auf die Kosten noch höherer Arbeitslosigkeit?

    Kullas: Es gibt Untersuchungen die sagen, dass natürlich solche Einsparungen kurzfristig mit Problemen verbunden sind, aber dass langfristig solche Einsparungen doch positiv wirken. Kurzfristig muss man einfach da in den saueren Apfel beißen und diese Kosten in Kauf nehmen für die langfristige Zukunftssicherheit.

    Heinemann: Herr Kullas, hilft die EU, wenn sie Zypern hilft, auch mutmaßlichen zwielichtigen Anlegern aus dem europäischen fernen Osten?

    Kullas: Wenn Sie jetzt auf die Bankenrekapitalisierung ansprechen, dann wird das wahrscheinlich so sein, ja.

    Heinemann: Wie kann man das verhindern?

    Kullas: Das ist relativ schwierig zu verhindern. Es sind einfach Konten, die, sagen wir mal, von russischen Oligarchen angelegt wurden. Man müsste eigentlich die Einleger mit heranziehen, aber das ist relativ schwierig zu machen – aus dem einfachen Grund, weil in dem Moment, wo das angekündigt wird, ziehen die halt ihr Geld von den Konten ab. Und da ist die Gefahr sehr, sehr groß, dass einfach dann die Bank wirklich Pleite geht und dass dann wieder die Bankenrekapitalisierung noch teurer wird. Ich sage mal: Um den deutschen Steuerzahler zu schützen, ist es wahrscheinlich notwendig, auch die Einlagen solcher Anleger zu schützen. Das wird sich nicht vermeiden lassen. Das wäre natürlich möglich, wenn Russland einspringt und Russland sich beteiligt an dem Rettungspaket, aber danach sieht es ja momentan nicht aus.

    Heinemann: Wie kann man das dem normalen europäischen Steuerzahler vermitteln, dass er für russische Oligarchen zahlt, damit deren Jachten vielleicht noch fünf Meter länger sind?

    Kullas: Man muss da einfach ganz ehrlich sein und sagen, dass das die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das Geld tatsächlich zurückgezahlter wird. Also man kann da zwei Szenarien sehen: entweder wir beteiligen diese Oligarchen daran, was die Wahrscheinlichkeit, dass die Gelder nicht zurückgezahlt werden, erhöht, oder man wählt halt die sicherere Variante. Da muss man sich zwischen entscheiden.

    Heinemann: Herr Kullas, Menschen lieben ja bildhafte Darstellungen schwieriger Themen. Jean-Claude Juncker, der scheidende Chef der Euro-Gruppe, hat heute Früh bei uns im Deutschlandfunk gesagt, die Schuldenkrise sei nicht vorbei, aber der Gipfel sei überschritten. Stimmen Sie dem zu?

    Kullas: Es hat sich einiges getan. Wir haben fiskalisch einiges auf den Weg gebracht mit dem Fiskalpakt, mit der Reform des Stabilitätspaktes, wir haben eine Bankenunion auf den Weg gebracht, die Politik hat wieder, sagen wir, die Oberhoheit gewonnen über die Märkte. Die Kosten sind aber sehr hoch gewesen. Die EZB hat einen Teil ihrer Unabhängigkeit aufgegeben, das muss man ganz klar so sagen, und wir haben noch die realwirtschaftlichen Probleme, die gelöst werden müssen. von daher würde ich sagen, es ist ein Stück weit, ein großes Stück haben wir hinter uns gebracht, aber es ist immer noch eine ganze Menge Probleme, die vor uns liegen. Ob das jetzt der Gipfel ist, der überschritten ist, das ist schwer zu sagen, aber irgendwo in der Mitte werden wir uns befinden.

    Heinemann: Könnte vor dem Hintergrund der Kosten, die Sie gerade beschrieben haben, da vielleicht noch ein zweiter, viel höherer Gipfel auftauchen?

    Kullas: Das ist mir unklar. Was meinen Sie?

    Heinemann: Juncker hat ja gesagt, der Gipfel sei überschritten. Kann sein, dass hinter dem einen Gipfel, der jetzt überschritten ist, noch ein zweiter steht?

    Kullas: Die Frage Nummer eins ist, welchen Pfad wir jetzt beschritten haben durch die Maßnahmen, insbesondere dadurch, dass die EZB jetzt einen Teil ihrer Unabhängigkeit aufgegeben hat, indem sie einfach gesagt hat, sie kauft Staatsanleihen auf. Da können natürlich weitere Kosten auf uns zukommen in Form einer höheren Inflation. Dann ist es so: Merkel hat ja gesagt, sie ist bereit für Transfers in einem geringen Ausmaß. Auch da muss man genau abwarten, was dann wirklich kommt, welche Konditionalität damit verbunden ist. Dann sind Eurobonds noch auf dem Tableau. Also da ist noch einiges, wo weitere Gelder auf uns zukommen können. Und was natürlich auch noch klar ist: Bisher ist noch relativ wenig von den Krediten, die wir gegeben haben – das sind ja alles Garantien, und die Frage ist, kann Griechenland das wirklich, kann Spanien das alles zurückzahlen, was sie an Garantien bekommen haben, und da wird auch noch einiges Geld auf uns zukommen.

    Heinemann: Herr Kullas, Sie arbeiten beim Centrum für Europäische Politik. Deutschland haftet für viele, viele Milliarden Euro – übrigens nicht nur Deutschland, die anderen Mitgliedsstaaten natürlich auch. Das Ansehen unseres Landes ist in Teilen Europas auf dem Tiefststand allerdings, Frau Merkel geradezu Hassfigur in einigen Ländern geworden. Was hat die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung da falsch gemacht?

    Kullas: Ich weiß nicht, ob man da wirklich was falsch gemacht hat, weil letztendlich die Reformen, allen voran in Griechenland, die da gemacht werden, die sind schmerzhaft. Und dass man erst mal denjenigen, der diese Reformen da oktroyiert, dass man den erst mal hasst, das ist, glaube ich, eine ganz normale Reaktion.

    Heinemann: Aber Entschuldigung! Auf der Straße wird nicht mit Hollande-Postern demonstriert, sondern mit Merkel-Postern.

    Kullas: Ja Hollande ist auch nicht derjenige, der diese Maßnahmen durchgesetzt hat, das ist schon richtig. Das ist im wesentlichen Deutschland. Wenn es nach Frankreich ginge, Frankreich hätte da deutlich weniger harte Auflagen gewollt. Also das ist schon klar. Das ist Deutschland, das sind die Niederlande, das sind Finnland, aber Deutschland ist da von allen das größte Land, das diese Maßnahmen fordert.

    Heinemann: Also der Überbringer der schlechten Nachrichten haftet?

    Kullas: Es ist nicht nur der Überbringer, er will es auch. Er ist auch der, der sozusagen da einsteht für diese schlechten Nachrichten. Was man hätte machen können von Anfang an ist: man sagt, man hätte das nicht über Deutschland oder den ESM oder europäische Gelder laufen lassen, sondern über den IWF. Das war auch unsere ursprüngliche Forderung, genau auch mit dem Hintergrund, dass man einfach sagt, in anderen Ländern, wo der IWF solche Programme auflegt, wird der IWF gehasst, sodass man da einfach den Hass auch ein bisschen umlenkt und eine Konditionalität sicherstellt.

    Heinemann: Matthias Kullas, Fachbereichsleiter für Wirtschafts- und Stabilitätspolitik beim Centrum für Europäische Politik in Freiburg. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Kullas: Ich bedanke mich auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.