Sonntag, 28. April 2024

Archiv

Umfragewerte
"Merkel ist eine Präsidentenkanzlerin"

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel 2005 angetreten sei, hätte sie noch gegen viele Vorbehalte kämpfen müssen, sagte Manfred Güllner, Leiter des Meinungsforschungsinstituts Forsa, im DLF. Ihr sei es gelungen, den Wunsch der Bürger nach Konsens zu bedienen. Nach 14 Jahren als CDU-Chefin habe sie sich den Ruf als Krisenmanagerin erworben.

Manfred Güllner im Gespräch mit Friedbert Meurer | 09.04.2014
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht im Rahmen der Haushaltsdebatte im Bundestag in Berlin.
    Bundeskanzlerin Merkel (CDU) verteidigt den Haushalt als zukunftsgewandt. (dpa picture alliance / Tim Brakemeier)
    Friedbert Meurer: Mit der Bundestagswahl 2005 wurde Angela Merkel Kanzlerin, die erste Frau als Regierungschefin in Deutschland. Der Abend der Wahl war aber zunächst einmal ein Schock für sie. Gerade einmal 33 Prozent nur hatte die Union geholt. Die SPD hätte um ein Haar gegen sie doch gewonnen und deren Leitwolf, Gerhard Schröder also. „Sie werden niemals Bundeskanzlerin", das hat Schröder damals in die Elefantenrunde an ihre Adresse gerufen. Jetzt ist sie es doch, seit achteinhalb Jahren, und steht vielleicht auf dem Höhepunkt ihrer Macht.
    Morgen also überholt Angela Merkel als Kanzlerin Helmut Schmidt, wird dann 14 Jahre lang CDU-Vorsitzende sein. Ihre Kritiker werfen ihr vor, dass Inhalte letztlich keine Rolle spielen, Hauptsache die CDU gewinnt die Wahlen.
    Manfred Güllner ist Leiter des Meinungsforschungsinstituts Forsa und Geschäftsführer. Guten Tag, Herr Güllner.
    Manfred Güllner: Schönen guten Tag!
    Meurer: Warum geht den Deutschen offenbar jedes Bedürfnis ab, sich nach über acht Jahren einmal eine Abwechslung im Bundeskanzleramt zu wünschen?
    Güllner: Na ja, Sie haben ja vorhin schon mal kurz zurückgeblendet auf 2005, als die Kandidatin Merkel noch auf viele Vorbehalte stieß und damals nur auf die 35 Prozent kam, die SPD auf 34. Aber als sie Kanzlerin wurde, hat sie sehr schnell Folgendes gemacht: Sie hat sich über die Parteien erhoben. Sie war so was wie eine Präsidentenkanzlerin und hat damit den Wunsch vieler oder zumindest der Mehrheit der Bürger nach Konsens in der Politik bedient.
    Dann kam die Krise, die Banken- und die Finanzkrise 2008/2009, wo sie den Menschen das Gefühl gegeben hat, sie kümmert sich darum, dass diese Krise nicht so auf den Alltag niederprasselt. Sie hat das, als der erste Rettungsschirm für die Banken gespannt wurde, wunderbar formuliert und hat gesagt, wir tun das nicht für die Banken, wir tun das für die Menschen, und da waren die Menschen glücklich. Dieses, was Merkel heute vermittelt, ist, dass sie wieder in allen Krisen, ob Euro-Krise, ob jetzt die Ukraine-Krise, ein Hort von Stabilität und Sicherheit ist.
    Meurer: Ein Konsenskanzler war Gerhard Schröder nicht. Er verstand sich als Macher. Ist die Kanzlerin auch deswegen so beliebt, weil es unter ihr keine harten, schmerzhaften Reformen gibt, anders als unter Schröder?
    Güllner: Ja. Schröder hat ja, denke ich, die richtigen Weichenstellungen vorgenommen. Damals wollten die Menschen ja, wenn man an 98 denkt, als 16 Jahre Kohl Deutschland in einen Reformstau geführt hatten, damals wollten die Menschen, dass das Land erneuert und modernisiert wird. Diese Erwartungen hat Schröder erfüllt. Nur seine Partei ist ihm ja nicht gefolgt.
    Danach kommt jetzt die Phase, wo man doch denkt, die Weichenstellungen für Einschnitte sind damals gemacht worden und jetzt ist eine Phase der Stabilität und Sicherheit.
    Merkel scheint über den Parteien zu stehen
    Meurer: Sehen das eigentlich die in Ihren Meinungsbefragungen befragten Bürger auch so, dass die Kanzlerin eigentlich letztlich keine Inhalte vorgibt, was ihr immer wieder vorgehalten wird, sondern mehr so Stimmungen folgt?
    Güllner: Was die Menschen eigentlich an ihr gut finden ist, dass sie nicht irgendwelche Wolkenkuckuksheime hier ausruft, sondern sich orientiert. Sie sagt, ich fahre auf Sicht, und die Menschen sehen ja ganz viele Experten jedweder Couleur, die gegellten Analysten von irgendwelchen Banken, die sich widersprechen, und da sagt die Kanzlerin, ich muss aber hier auf Sicht entscheiden, und diese pragmatische Art wird im Augenblick von den Menschen doch für gut befunden. Wir haben es ja auch bei der Bundestagswahl gesehen, als sie keinen spektakulären Wahlkampf geführt hat, einen ruhigen Wahlkampf, und die drei Parteien, die mit großer sozialer Gerechtigkeit aufgewartet haben, SPD, Grüne und Linke, die haben ja ganz schlecht abgeschnitten im Gegensatz zur Union von Angela Merkel.
    Meurer: Damals Helmut Schmidt, mit dem sie jetzt, was die Amtsdauer angeht, verglichen wird, weil sie ihn morgen überholt, war ja beliebt auch unter den CDU-Wählern. Ist Angela Merkel beliebt, weil sie doch ziemlich weitgehend SPD-Inhalte vielleicht vertritt?
    Güllner: Ja sie ist beliebt, weil sie nicht als CDU-Vorsitzende wahrgenommen wird, sondern als das, was ich schon mal gerade als Begriff gesagt habe, Präsidentenkanzlerin, die eigentlich über den Parteien steht. Deswegen kommt ihr auch jetzt die Große Koalition wieder zugute. Sie lässt sich nicht herunterzerren in das Parteiengezänk, sondern steht darüber, lobt, wie Sie in dem Beitrag ja auch gezeigt haben, alle Seiten, und das ist das, was doch auch von den Menschen geschätzt wird.
    Meurer: Am 25. Mai haben wir Europawahlen. Hat die SPD auch nur den Hauch einer Chance gegen Merkel?
    Güllner: Das Problem dieser Europawahl ist ja, dass in zehn der 16 Bundesländer Kommunalwahlen stattfinden. Und glauben Sie denn, die Parteien vor Ort würden für Herrn Schulz oder Herrn Juncker Wahlkampf machen? Die machen für ihren Bürgermeister oder für die Kandidaten für die Gemeindevertretung Wahlkampf. Wir haben im Grunde genommen gar keine Europawahl, und im übrigen sind die Menschen natürlich auch schlau. Sie wissen, dass es bei dieser Wahl nicht um Merkel geht, und deswegen bleiben sie dort, wo keine Koppelung mit der Europawahl ist, in großen Scharen zuhause, weil die Wahl nicht wichtig genommen wird.
    Meurer: Die Europawahl ist langweilig für die Wähler?
    Güllner: Die Europawahl ist langweilig und da die Parteien sie selbst nicht ernst nehmen – wie gesagt, in zehn Ländern machen sie Kommunalwahl -, nehmen die Menschen sie letztlich auch nicht richtig ernst.
    SPD kann ihr Potenzial nicht ausschöpfen
    Meurer: Aber trotzdem werden wir am Wahlabend natürlich über das bundesweite Ergebnis diskutieren. Liege ich falsch in der Annahme, dass die SPD etwa da landen wird, wo sie auch im letzten September war?
    Güllner: Das sieht im Augenblick alles so aus, wenn man bedenkt, dass ja auch das Potenzial sowohl von Union als auch von SPD nicht voll ausgeschöpft werden wird. Die SPD müsste eigentlich froh sein, wenn sie da landet, wo sie im September gelandet ist, und das ist aus meiner Sicht noch keinesfalls sicher, dass sie selbst dieses Ergebnis am 25. Mai deutschlandweit bei der Europawahl erreicht.
    Meurer: Hätte die SPD der Kanzlerin einen Strich durch die Rechnung machen können, wenn sie nicht die Große Koalition eingegangen wäre und die Bundeskanzlerin dann nicht sich sozusagen als Bundespräsidentin präsentieren könnte?
    Güllner: Ich glaube, die SPD hat nur eine Chance, sich zu regenerieren – und man muss ja sehen: 2009 und 2013 hat sie so wenig Wähler mobilisiert, wie bei keiner Wahl seit 1949; man muss bis zur Reichstagswahl 1924 und 1932 zurückgehen, um eine solche schwache Mobilisierung für die Sozialdemokraten zu sehen -, sie kann sich nur unter großen Koalitionen regenerieren. In der Opposition gelingt ihr das nicht. Das haben ja schon 16 Jahre Helmut Kohl gezeigt. Sie hat sich dann erst wieder mit einem wie Schröder an die Regierungsmacht bringen können.
    Meurer: Haben Sie den Eindruck, Herr Güllner, dass die SPD mit Themen wie Mindestlohn und Rente mit 63 ihre Kernklientel wieder zurückgewinnt für sich?
    Güllner: Nein. Sie hat ja verloren in der Mitte. Sie hat zehn Millionen Wähler zwischen 1998 und 2009 verloren. Von 20 Millionen waren es nur noch knapp zehn. Davon hat sie eine Million 2013 zurückgewonnen. Mindestlohn, Frauenquote, Rente mit 63 sind alles Themen, wo die Mehrheit der Menschen sagt, im Prinzip ist das richtig, aber es sind keine drängenden Probleme, genauso wie die Energiewende. Da sagen die Menschen auch, im Prinzip richtig, aber wird sie denn überhaupt gelingen. Das heißt, wenn die SPD mit diesen Themen hätte punkten können, hätte sie ja im letzten September bei der Bundestagswahl schon besser abschneiden müssen, so dass sie auch heute damit nicht neue Wähler gewinnt oder neues Vertrauen gewinnt.
    Meurer: Manfred Güllner, der Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa, zum Auftritt der Bundeskanzlerin heute in der Generalaussprache im Bundestag. Herr Güllner, besten Dank und auf Wiederhören.
    Güllner: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.