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Umgang mit dem Front National
Debatte unter Frankreichs Dichtern und Denkern

Wie soll man dem rechtsextremen Front National begegnen, wie kann man ihn verhindern? Fragen, die nicht nur die politische Klasse Frankreichs von rechts bis links, von konservativ bis sozialistisch, umtreiben. Auch Frankreichs Intellektuelle und Schriftsteller wie Houellebecq und Finkielkraut äußern sich zum Gespinst einer Präsidentin Marine Le Pen.

Von Barbara Kostolnik | 28.10.2015
    Beim Sommertreffen des rechtsextremen Front National im südfranzösischen Marseille wird am 6.9.2015 die Parteivorsitzende Marine Le Pen gefeiert.
    Beim Sommertreffen des rechtsextremen Front National im südfranzösischen Marseille wird die Parteivorsitzende Marine Le Pen gefeiert. (picture-alliance / dpa / Patrick Gardin / Wostok Press)
    Immerhin: Sie tauchen wieder auf im öffentlichen Diskurs: Die französischen Intellektuellen, die lange Zeit nur mehr in der Person des dauergebräunten BHL - Bernard Henri-Lévy zu existieren schienen. Nun aber. Angestoßen hatte die Debatte, die viel über den lamentablen Zustand des Landes aussagt, die linkslastige Zeitung "Libération".
    "Warum stellt sich Michel Onfray in den Dienst des Front National", fragte Laurent Joffrin, der um Polemiken nie verlegene Chef der Zeitung: Iim Visier hatte er jenen Michel Onfray, Inbegriff des französischen Denkers, bekennender Sozialist, links-hedonistisch. Onfray hatte weiter gedacht als erlaubt oder zumindest für einen Linken politisch vertretbar: Er hatte im konservativen "Figaro" erklärt, die etablierten Parteien – womit er Sozialisten und Republikaner meinte – würden Themen wie Immigration oder nationale Identität nur mit spitzen Fingern anfassen: Subtext: Sie überlassen sie dem Front National.
    "Ich denke, man muss über die Frage der Einwanderung nachdenken dürfen, obwohl oder auch gerade, weil Marine Le Pen darüber nachdenkt."
    Onfray will das Feld nicht kampflos dem FN überlassen. Aber er geht noch viel weiter: Die jüdisch-christliche Gesellschaft Frankreichs werde durch den Islam bedroht und die Souveränität Frankreichs durch die EU. Die Thesen sind im übrigen keineswegs neu. Onfray wiederholt sie gern und oft.
    "Wenn man sich verkauft, sagte er im August 2014, wenn man seine nationale Souveränität zugunsten einer europäischen Souveränität aufgibt, dann gibt man seine Freiheit auf, man liebt seine Freiheit nicht, wenn man immer in Brüssel vorsprechen muss und fragen, wie die politische Linie zu sein hat."
    Koalitionen gegen Le Pen schmieden
    Frohlocken natürlich bei Marine Le Pen, die ähnliche Thesen von der "Eurodiktatur der EU-Kommission" seit Jahr und Tag vertritt. Also: Stellt sich Onfray in den Dienst von Le Pen?
    "Mir ist Marine Le Pen total egal, ich frage mich: Wer oder was hat diese Frau erst möglich gemacht."
    So möglich, dass ihr bei den Regionalwahlen in einer der größten französischen Regionen im Norden womöglich niemand mehr den Sieg nehmen kann. Aktuell läge sie bei 39 Prozent im entscheidenden Wahlgang. Was hat diese Frau möglich gemacht? Die Antwort liegt laut Onfray auf der Hand. Marine Le Pen spricht aus, was das Volk, die einfachen Leute denken. Sie allein scheint ihnen zuzuhören. Und die etablierten Parteien ducken sich weg.
    "Vielen orientierungslosen Franzosen erscheint der Front National als die einzige Partei, die die Augen offen hat – was eine Katastrophe ist", konstatiert der Philosoph Alain Finkielkraut – auch er ist der Meinung: Natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen Islam und Islamismus, zwischen Einwanderung und Spaltung der Gesellschaft – wer darüber nicht redet, spielt dem Front National in die Hände.
    Die Lösung? Etwa eine "nationale Befreiungs-Front", wie sie sich der linke Ökonom Jacques Sapir erträumt: ganz linke und ganz rechte Euro-Gegner zusammen – im Dienste Frankreichs.
    "Ich erfahre große Zustimmung für diese Idee, vor allem bei den Kommunisten, den ganz linken Gewerkschaften."
    Bei denen der Front National schon lange und erfolgreich auf Stimmenfang geht. Genau das will Sapir mit seiner "nationalen Front" künftig verhindern. Sprich: den rechtsextremen Front National durch die Fusion mit ultra-linken Kräften entteufeln und von innen reinigen. Gewagt.
    Es ist ein Jammer. Frankreich ist ein Schatten seiner selbst. Und an die Wand gemalt lauert Marine Le Pen. Die Zukunft war früher schon besser.