Dienstag, 19. März 2024

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Umgang mit der AfD
Von Dohnanyi: Fokus wieder mehr auf Thema Arbeit legen

Der ehemalige Bildungsminister Klaus von Dohnanyi (SPD) fordert nach den Störaktionen im Bundestag einen konsequenten Umgang mit der AfD. Insgesamt müssten die Parteien den Fokus wieder mehr auf den Schutz von Arbeitsplätzen legen, um die Fundamente und das Nachwachsen der AfD zu verhindern, sagte er im Dlf.

Klaus von Dohnanyi im Gespräch mit Christiane Kaess | 21.11.2020
DEU, Deutschland, Hamburg, 15.05.2019: 26. Deutscher Sparkassentag Hamburg 2019 / Klaus von Dohnanyi, ehem. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und ehem. Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg *** DEU, Germany, Hamburg, 15 05 2019 26 German Sparkassentag Hamburg 2019 Klaus von Dohnanyi, former Federal Minister of Education and Science and former First Mayor of the Free and Hanseatic City of Hamburg
Klaus von Dohnanyi, ehemaliger Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und ehem. Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg (www.imago-images.de)
In einer aktuellen Stunde in Bundestag machten viele Abgeordnete ihrem Ärger noch einmal Luft über das, was passiert war: Vor dem Hintergrund der Neuregelungen des Infektionsschutzgesetzes hatte die AfD-Fraktion Besucher in den Bundestag eingeladen, die unbeaufsichtigt durch die Flure streiften und Abgeordnete beschimpften. Darunter auch etliche Blogger, die sich dabei filmten. ″Das ist ein ungeheurer Vorgang gewesen″, sagt Klaus von Dohnanyi, ehemaliger SPD-Politiker und Bundesforschungsminister. Die Aufregung darüber sei nicht überzogen. ″Die Grenzen bedeuten, dass man sich gegenseitig nicht bedrängt.″
″Die AfD hat aber auch gezeigt, dass sie das ausdrücklich bedauert und sieht, was sie sich damit eingebrockt hat.″ Hinter diesem Vorgehen stecke System, deshalb müsse man damit ″sehr konsequent und hart umgehen.″ Auch der Vorwurf der Verharmlosung der Opfer des Nationalsozialismus gegenüber der AfD sei berechtigt, so von Dohnanyi. Die AfD hatte das Infektionsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 verglichen.
Kommentar: Rechte Störer - Ein historischer Tiefpunkt
Rechte Störer bedrängen Abgeordnete im Bundestag - ein solches Maß an Einschüchterung habe es bislang noch nicht gegeben, kommentiert Dlf-Korrespondentin Nadine Lindner. Der Pakt von AfD-Abgeordneten mit radikalen Kräften sei wieder einmal sichtbar geworden.
Arbeitslosigkeit als Fundament der AfD
Politik und Gesellschaft müssten sich mehr mit den Ursachen der Entstehung der AfD und nicht den Ergebnissen ihrer Politik auseinandersetzen. Die Wähler der AfD seien ″im Grunde genommen, Menschen, die in den Grundlagen für ihr Leben erschüttert worden sind.″ Die AfD nehme dort zu, wo bisherige industrielle Tätigkeiten zerfallen und zurückgehen. ″Der industrielle Mittelstand, wenn der gefährdet wird, entstehen große Probleme in einer Gesellschaft. Das war der Aufstieg der Nazis″
Durch die Corona-Pandemie, durch die Umsetzung von Klima- und Umweltschutz und in Folge der Digitalisierung werde es mehr Arbeitslosigkeit geben. Man steuere auf eine hoch gefährliche Entwicklung zu. ″Das ist eine große Bedrohung für unsere Gesellschaft.″ Es benötige eine starke Exekutive in Deutschland, um Arbeit zu schaffen. In der Politik hätten alle Parteien diesen Fokus noch nicht deutlich formuliert: systematisch neue Arbeit schaffen - auch mit der Hilfe des Staates.
Die Konzentration in der öffentlichen Debatte auf das Thema Arbeit sei eine ganz zentrale Frage, um auch die Fundamente und das Nachwachsen der AfD zu behindern. ″Wir werden in große Schwierigkeiten auf den Arbeitsmärkten kommen, das kann jeder vernünftige Mensch heute sehen.″

Das Interview in voller Länge
Christiane Kaess: Herr von Dohnanyi, Sie waren ja selbst mehr als zehn Jahre Abgeordneter, was haben Sie denn gedacht, als Sie die Szenen von Besuchern im Bundestag gesehen haben, die zum Beispiel Bundeswirtschaftsminister Altmaier beschimpften?
Klaus von Dohnanyi: Es ist ein ungeheurer Vorgang gewesen, und die Debatte gestern war ja aufseiten der Kritiker, aufseiten derjenigen, die gegen die AfD argumentiert haben, auch eine exzellente Debatte. Man hat deutlich gemacht, dass das, was da von der AfD kommt, eben wirklich an die Nazis erinnert und dass man da wirklich mit Konsequenz und auch eventuell mit bis zu Strafvorgängen vorangehen muss. Das ist ein unglaublicher Vorgang. Das Wort Ermächtigungsgesetz ist ungeheuerlich, weil es ist ja ein demokratischer Fortschritt, wenn man das Gesetz für den Schutz der Infektionen, also dieses Gesetz, was versucht, die Pandemie vernünftig einzuordnen und einzugrenzen, wenn man dieses Gesetz, was jetzt eigentlich die demokratischen Grundlagen noch mal erweitert hat, dass man das als ein undemokratisches Gesetz versucht darzustellen.
"Eine Überschreitung von Grenzen"
Kaess: Bleiben wir, Herr von Dohnanyi, noch mal kurz bei diesen Szenen im Bundestag, als Abgeordnete bedrängt wurden. Ich kann mir vorstellen, dass einige angesichts dieser Bilder auch denken, dass zum Beispiel ein gestandener Politiker wie Herr Altmaier sich kaum in seinem politischen Kurs beeinflussen lässt, wenn er auf den Fluren des Bundestags provoziert und beschimpft wird. Ist die Aufregung darüber auch überzogen?
von Dohnanyi: Nein, das finde ich nicht, weil das ist eine Überschreitung von Grenzen, die bisher innerhalb des Bundestages und im Grunde genommen ja auch in der Gesellschaft außerhalb des Bundestages üblich war. Das heißt, die Grenzen bedeuten, dass man sich gegenseitig nicht bedrängt, dass man die Debatte führt, dass man auch kritische Debatten führt, dass man auch unterschiedliche Meinungen austrägt, aber doch nicht auf diese Weise den Versuch macht, den anderen sozusagen zu diffamieren und eventuell sogar auch zu verängstigen. Man weiß ja auch nicht, wenn solche Leute innerhalb des Bundestages sogar so vorgehen, was die dann eines Tages draußen auf der Straße mit einem machen werden.
Schneider (SPD): ″Verrohung der Sitten Einhalt gebieten″
Die AfD, auf deren Einladung hin die Störer in den Bundestag gelangt waren, kalkuliere solche Tabubrüche ein, sagte der SPD-Politiker Carsten Schneider im Dlf.
Kaess: Die Störenfriede waren Besucher der AfD-Fraktion – steckt dahinter System?
von Dohnanyi: Ja, dahinter steckt System, aber die AfD hat ja auch gezeigt, dass sie das ausdrücklich bedauert inzwischen und sieht, was sie sich damit selber eingebrockt hat. Da steckt System dahinter, aber wir müssen damit sehr konsequent und sehr hart umgehen, davon bin ich fest überzeugt.
Verhöhnung von NS-Opfern - "Ein berechtigter Vorwurf"
Kaess: An die AfD geht auch der Vorwurf – Sie haben das schon kurz erwähnt –, dass sie mit ihrem Begriff Ermächtigungsgesetz für die Änderungen im Infektionsschutzgesetz den Faschismus verharmlosen und seine Opfer verhöhnen würde. Sie sind 1928 geboren und haben die Nazizeit als Jugendlicher miterlebt, würden Sie der AfD genau denselben Vorwurf machen?
von Dohnanyi: Ja, ich glaube, dass das ein berechtigter Vorwurf ist und dass die AfD beginnen muss, wenn sie überhaupt eine demokratische Partei werden will auf die Dauer, sich mit solchen inneren Strukturen auseinanderzusetzen, und das ist auch, glaube ich, die wirkliche Aufgabe.
Kaess: Sehen Sie da Ansätze dafür, dass das passiert?
von Dohnanyi: Eigentlich nein.
"Wir müssen Arbeit schaffen in Deutschland"
Kaess: Jetzt geht die AfD eine Allianz ein mit einer Minderheit an Menschen in Deutschland, die zum einen gegen die Corona-Maßnahmen protestiert, aber zum anderen ja auch kein Problem damit hat, sich mit Verschwörungstheoretikern oder Rechtspopulisten oder Rechtsextremen in eine Reihe bei diesen Demonstrationen zu stellen. Wie soll man damit umgehen?
von Dohnanyi: Wir müssen in erster Linie, glaube ich, darüber nachdenken, warum die AfD überhaut gewählt wird. Wer sind denn diejenigen, die die AfD wählen? Das sind ja nicht in der großen Mehrheit oder auch wahrscheinlich nur zu einem kleinen Anteil das, was wir früher Faschisten genannt hätten oder so was. Es sind dieselben Leute wie auch in den USA, die den Trump gewählt haben oder die Frau Le Pen wählen in Frankreich. Es sind im Grunde genommen, wenn man der Sache nachgeht, Menschen, die in ihren – zumeist auf jeden Fall –, die in ihren Grundlagen für ihr Leben irgendwie erschüttert worden sind, also Arbeitslosigkeit, Unsicherheit im eigenen Leben. Es sind also Antworten sozusagen, auf die die Gesellschaft selber eingehen muss, und deswegen glaube ich, dass es in erster Linie darum geht, die Ursachen zu verstehen und nicht sich nur mit den Ergebnissen, nämlich mit der AfD als Partei auseinanderzusetzen.
Kaess: Wie kann man die Ursachen verstehen?
von Dohnanyi: Na ja, wir haben eine Entwicklung in Richtung auf Arbeitslosigkeit gegenwärtig, nicht nur als Folge der Pandemie, wir werden es auch als Folge des Umsetzens von Klimaschutz, des Umsetzens von Umweltschutz, wir werden Arbeitslosigkeit auch haben im Gefolge der Digitalisierung, wenn wir in der Automobilindustrie die Elektroautos einführen, werden wir sehr viel weniger Beschäftige in der Automobilindustrie haben, und das ist eine große Bedrohung für unsere Gesellschaft. Wenn man das nicht erkennt, sondern, sage ich mal, auch die Exekutive in dieser Frage, also die Landesregierung oder die Bundesregierung eventuell schwächt, wie das nach meiner Meinung durch ein Vorgehen der FDP zum Beispiel geschieht, indem die FDP sagt, man muss alles erst im Bundestag noch mal diskutieren und dann kommt die Exekutive gar nicht mehr wirklich zum Wort, das finde ich eine gefährliche Entwicklung. Wir brauchen eine starke Regierung, eine kräftige Arbeit, und wir müssen Arbeit schaffen in Deutschland und uns nicht in erster Linie sozusagen damit auseinandersetzen, was hier eventuell die AfD macht.
"Eine Entwicklung, die hoch gefährlich ist"
Kaess: Aber Herr von Dohnanyi, auf der anderen Seite steht ja Deutschland wirtschaftlich eigentlich sehr gut da …
von Dohnanyi: Nein, das kann man nicht mehr ???
Kaess: Gerade aber doch im Vergleich zu vielen Nachbarländern, und das wäre ja nach Ihrer Linie gerade ein Argument gegen die AfD.
von Dohnanyi: Nein, wir haben ja auch einen geringeren Anteil von AfD als in Frankreich Le Pen wählt, und wir hatten ja auch noch nicht eine Regierungsbeteiligung, wie das bei manchen unserer Nachbarländer war und zum Teil noch ist, von rechtspopulistischen Parteien, aber wir müssen sehen, dass wir auf eine Entwicklung zusteuern, die hoch gefährlich ist. Die Stahlindustrie wird in Deutschland etwa, ich weiß nicht, 10.000 Arbeitsplätze oder wie viel streichen, die Banken streichen – das sind zum Teil Folgen der Digitalisierung, zum Teil Folgen von Klimaschutz oder Umweltschutz. Wir müssen diese Fragen, die auf uns zukommen, in Arbeit umwandeln, und dazu müssen wir viel aktiver nach meiner Meinung Arbeit schaffen und nicht in erster Linie uns sozusagen verteidigen gegen die Probleme, die durch Klimaschutz und so weiter entstehen. Wenn Sie mal bedenken, Sie gucken sich mal diese Fridays for Future an, das sind in der Regel Jugendliche aus eher wohlhabenden oder mindestens gesicherten Verhältnissen. Und dass die Arbeiter in Deutschland in Duisburg oder wo auch immer verstehen, dass dort möglicherweise gar nicht ihre unmittelbaren Interessen vertreten werden, das ist ein großes Problem. Ich finde, damit müssen wir uns auseinandersetzen.
Kaess: Aber Herr von Dohnanyi, das Thema Klimaschutz bewegt ja in Deutschland viele Menschen, das ist ja nicht nur auf Fridays for Future zurückzuführen.
von Dohnanyi: Nein, das ist richtig, aber fragen Sie mal …
"Wenn der industrielle Mittelstand gefährdet wird, entstehen große Probleme"
Kaess: Das ist ja mittlerweile die Masse, die das beschäftigt.
von Dohnanyi: Fragen Sie mal diejenigen, die jetzt in der Stahlindustrie – darauf will ich ja eingehen. Ich will darauf eingehen, dass der Klimaschutz …
Kaess: Und die bekommen keine Stimme mehr, ist das Ihr Kritikpunkt, dass die sich nicht mehr vertreten fühlen, auch in der Politik?
von Dohnanyi: Ja, es gibt ja Untersuchungen, und zwar wissenschaftlich sichere Untersuchungen, die deutlich zeigen, dass die AfD dort zunimmt, wie auch in den USA, wo bisherige industrielle Tätigkeiten zerfallen, zurückgehen, Arbeitsplätze zerfallen, und dann diejenigen, die diese Arbeitsplätze bisher hatten und ihre Familie gesichert sahen, sozusagen der industrielle Mittelstand, wenn der gefährdet wird, dann entstehen große Probleme in einer Gesellschaft. Übrigens das war der Aufstieg der Nazis. Es ist ja falsch zu behaupten, die Nazis seien sozusagen wegen einer undemokratischen Struktur in Deutschland entstanden. 1928, Sie haben darauf hingewiesen, ich bin in diesem Jahr geboren, hatten die Nazis nicht mal drei Prozent der Stimmen, und 1932 hatten Sie dann 37 Prozent. Und was war zwischendurch passiert? Die große Wirtschaftskrise. Wir müssen aufpassen, dass wir uns der Arbeit zuwenden und versuchen, Arbeit zu schaffen in den Bereichen, in denen heute durch die Veränderung in der Gesellschaft die Arbeitsplätze verloren gehen.
Arbeit als Fundament "um das Nachwachsen bei der AfD zu verhindern"
Kaess: Und wer in der Politik hat da am meisten versäumt?
von Dohnanyi: Ich finde, alle haben diesen Fokus noch nicht deutlich genug formuliert. Arbeit schaffen, gute Arbeit schaffen und nicht nur Arbeit verteidigen, sondern auch neue Arbeit schaffen, und zwar systematisch, auch mit Hilfe vom Staat, das ist nach meiner Meinung die große Aufgabe.
Kaess: Das wäre ja eigentlich das klassische Thema für die SPD. Versagt Ihre eigene Partei da?
von Dohnanyi: Ja, versagen, wissen Sie, ich finde auch, die SPD, wenn ich in diesen Tagen oder gestern gesehen habe, wir haben jetzt eine Frauenquote in den Vorständen der großen Dax-Unternehmen, das ist ja sicher richtig und gut. Aber glauben Sie, wenn die Leute diese Debatte sehen oder hören, ob sie nicht das Gefühl haben, dass das gar nicht ein wesentliches Thema zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist? Die Konzentration auch in der öffentlichen Debatte auf das Thema Arbeit schaffen ist nach meiner Meinung eine ganz zentrale Frage, um auch die Fundamente und das Nachwachsen bei der AfD zu verhindern. Wir werden, wie gesagt, in große Schwierigkeiten auf den Arbeitsmärkten kommen, das kann jeder vernünftige Mensch heute sehen.
Kaess: Eine Frage müssen wir noch klären: Sind manche Menschen einfach auch unerreichbar, zum Beispiel die Verschwörungstheoretiker?
von Dohnanyi: Ja, das glaube ich. Die sind unerreichbar …
Kaess: Und damit müssen wir einfach leben?
von Dohnanyi: Ja, natürlich, bei vielen Menschen kann man gar nichts machen gegen ihre eigene Dummheit, das ist richtig, aber trotzdem muss der Gesamteindruck entstehen, dass wir ausgerichtet sind auf eine Bekämpfung der auf uns zu kommenden Arbeitslosigkeit in großen Bereichen, und das fehlt mir heute in der öffentlichen Debatte in Deutschland.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.