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Umstrittene Rechte für Frauen in Libyen

Nach dem Ende des Gaddafi-Regimes 2011 regierte zunächst ein Übergangsrat das Land. Inzwischen sind die Regierung und das Parlament gewählt, aber die künftige Staatsordnung ist noch nicht festgelegt. Noch immer gilt eine provisorische Verfassungserklärung.

Von Martina Sabra | 13.12.2012
    In Libyen wurde im Sommer 2011 zwar das Gaddafi-Regime beendet, doch eine neue Verfassung hat das Land noch nicht. Noch immer gilt die provisorische Verfassungserklärung vom August 2012. Im März 2012 erließ der damalige Übergangsrat einen Zusatz zu, der besagte, dass eine Kommission aus sechzig Persönlichkeiten den Entwurf ausarbeiten sollte: je zwanzig aus dem Westen, dem Osten und aus dem Süden des Landes. Zuständig für die Auswahl war das Parlament. Doch dieses Vorhaben wurde schon wenige Wochen später ad acta gelegt, erklärt die Libyen-Expertin Almut Besold von der Universität Leipzig.

    "Der zweite Zusatz stammt vom 5.7.2012, zwei Tage vor den Parlamentswahlen, und hier ist dann eine Kehrtwende vorgenommen worden, und zwar ist nun nicht mehr das Parlament für die Verfassung zuständig, sondern nun wurde gesagt, es soll direkte und freie Wahlen geben, die dieses Sechziger-Komitee bestimmen sollen."

    Das war im Juli 2012. Seither ist ein halbes Jahr vergangen. Mittlerweile hat Libyen zwar eine gewählte Regierung. Doch mit der Verfassung geht es nicht wirklich voran.

    "Inhaltlich ist da noch überhaupt nichts festgelegt, jetzt geht es erst mal darum, wie diese Verfassungskommission zustande kommen wird."

    Nur eines ist klar: Der Islam wird in der künftigen libyschen Verfassung eine größere Rolle spielen als in der Vergangenheit. Nicht nur als moralisches und ethisches Fundament, sondern auch als Grundlage der Gesetzgebung.

    "Das hat der Übergangsrat von Anfang an schon gesagt, dass die Religion an vorderster Stelle natürlich steht, und dass die Scharia also Quelle der Gesetzgebung sein soll."

    Wie groß der Einfluss der Religion im Einzelnen sein soll, ob es um Prinzipien gehen wird oder um die buchstabengetreue Anwendung des Korans und der islamischen Auslegungstraditionen, das alles ist aber noch völlig offen. Almut Besold sieht libysche Politiker auf einem Zickzackkurs.

    "Am 1. Oktober 2012 sagte der Parlamentspräsident, Libyen werde ein säkularer Staat. Das nahm er einen Tag später bereits zurück, und sagte, die Libyer werden über ihre neue Verfassung entscheiden, und damit dann auch entscheiden, wie der Staat aussieht."

    Die Libyer werden über eine neue Verfassung entscheiden – und was ist mit den Libyerinnen? Beobachterinnen im In- und Ausland befürchten, dass Libyens Frauen die Verliererinnen des Transformationsprozesses sein könnten. Während des Gaddafi-Regimes waren zwar alle in Libyen von politischer Unterdrückung betroffen. Doch innerhalb der Familie waren die Frauen rechtlich vergleichsweise gut gestellt. Männer durften nur dann eine zweite, dritte oder vierte Frau heiraten, wenn die erste Frau ausdrücklich zustimmte.

    Almut Besold, die Libyen seit fast 15 Jahren regelmäßig privat und beruflich bereist, hat erlebt, dass diese Regelung nicht nur auf dem Papier stand, sondern auch durchgesetzt wurde. Zwar habe es Diskriminierungen gegeben - so erbten die libyschen Frauen auch unter dem Regime von Muammar al-Gaddafi nur halb so viel wie die Männer - doch im arabischen Vergleich sei die rechtliche Stellung der Libyerinnen relativ gut gewesen.

    "Das Erbrecht ist wie in allen anderen arabischen Ländern auch, da kann man schlecht dran rütteln oder wurde in Libyen nicht dran gerüttelt. Was aber die Stellung der Ehefrau anging, so hatte sie nach meinem Dafürhalten die beste Stellung in der arabischen Welt generell, denn bei einer Scheidung gehörte ihr automatisch das Haus, das war schon mal ein großes Hindernis für die meisten, sich scheiden zu lassen, da kenne ich auch etliche Beispiele, dafür, und die andere Sache war, dass sie auch weiterhin das Sorgerecht für die Kinder hatte."

    Vielen Libyerinnen ist bewusst, dass ihnen diese Rechte mit Verweis auf den Islam in Zukunft genommen werden könnten. Deshalb setzt sich eine wachsende Zahl libyscher Frauen, für die Verankerung von Frauenrechten und Gleichberechtigung in der noch zu schreibenden Verfassung ein. Darunter sind junge Frauen aus den Reihen der revolutionären Bewegung 17. Februar, aber auch unabhängige Frauenorganisationen wie die "Voices of Libyan Women". Diese Organisationen sind teilweise sehr professionell. Doch die immer schlechtere allgemeine Sicherheitssituation und der zunehmende Frauenhass machen das Arbeiten kompliziert. Auch dort wo keine bewaffneten Auseinandersetzungen toben, sei die allgemeine Stimmung extrem aggressiv, beobachtet Almut Besold. Außerdem steige die Zahl der Entführungen. Angesichts dieser Bedrohungen ziehen sich viele Frauen zurück in die eigenen vier Wände. Manche verschleierten sich aus purer Angst, obwohl sie es eigentlich nicht wollten, beobachtet Almut Besold.

    "Das geht natürlich nicht durch staatlichen Druck, dass die nicht mehr dürfen, sie machen das freiwillig, weil sie merken, sie werden ganz stark diskriminiert und sehr schlecht behandelt in der Öffentlichkeit. Wenn Sie keins tragen, und zum Beispiel auf einen Universitätscampus gehen, dann werden sie per Lautsprecher aufgefordert, ein Kopftuch anzulegen, und wenn sie das nicht machen, dann werden ihnen gewisse Dinge angedroht, sei es mit Säure bespritzt zu werden."

    Wie religiös wird das künftige Libyen sein, welchen Stellenwert wird die Religion in der Verfassung haben? Angesichts der allgemeinen Unsicherheit und des drohenden Bürgerkrieges in einigen Landesteilen ist zurzeit völlig unklar, wohin Libyen driftet. Absehbar ist aber, dass die persönlichen Freiheitsrechte und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen eher eingeschränkt als erweitert werden.

    Die komplette Serie im Überblick:
    Welche Rolle wird die Religion nach den arabischen Revolutionen in den neuen Verfassungen spielen? - Serie: Religion nach der arabischen Revolution