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Umstrittene Redner
Britische Hochschulen verhandeln die Meinungsfreiheit

Britische Universitäten sind bekannt für ihre streitbare Diskussionskultur. Doch ist die freie Meinungsäußerung dort in Gefahr? Denn Studierende haben durch Proteste mehrfach dafür gesorgt, dass umstrittene Redner wieder ausgeladen wurden oder von sich aus abgesagt haben. So wie auch die Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion Alice Weidel.

Von Sandra Pfister | 05.11.2018
    Gebäude in Oxford
    Alice Weidel hat ihre Einladung zu einer Diskussion in Oxford ausgeschlagen (imago stock&people)
    "Oxford Union" ist der drittälteste und einer der renommiertesten Uni-Debattierclubs in Großbritannien. Hier haben schon Premierminister, Staatsmänner und -frauen und Nobelpreisträger gesprochen. Eine Frau wie Alice Weidel, die für "hate speech" stehe, für Volksverhetzung, solle lieber nicht dabei sein, fanden manche Studierende und Professoren.
    Ähnliche Ablehnung ist auch Jordan Peterson widerfahren, Professor für Psychologie an der Universität von Toronto. Peterson wurde vor zwei Jahren bekannt durch eine Youtube-Serie "Professor Against Political Correctness", in der er gegen Linke wettert, die ihm gender-neutrale Pronomen und Training gegen Vorurteile aufzwingen wollen. Bloß dass er in Oxford nicht abgesagt hat.
    "Das hier ist einer der eher warmen Empfänge, die mir bereitet werden", scherzt Peterson. Er ist, wie einige seiner Kollegen im Vereinigten Königreich, der Meinung, dass gerade ein Generation von übersensiblen Studierenden heranwachse, "Snowflakes", wie sie in Großbritannien genannt werden, die die freie Meinungsäußerung auf dem Altar der "political correctness" opfere.
    Oft in Debattierclubs der Universitäten
    Die BBC hat das jetzt nachrecherchiert. Ihre Anfrage bei 120 Universitäten hat ergeben: Kein einziges Buch wurde entfernt, lediglich die Bücher des Holocaust-Leugners David Irving in zwei Uni-Bibliotheken von der Geschichts- in eine andere Abteilung verlagert. Nur sechs Mal haben Universitäten in den vergangenen acht Jahren Gastvorträge wieder abgeblasen, weil Studierende protestiert hatten. Aber die meisten kontroversen Redner laufen an den Debattierclubs der Unis auf, und weil die nicht zu den Universitäten selbst gehören, weiß niemand so genau, wie viele kontroverse Redner sie - aus Angst vor Gegenwind - erst gar nicht eingeladen haben.
    Einer der Fälle, die besonders viel Resonanz hervorgerufen haben, ist der von Linda Bellos, einer ehemaligen Labour-Politikerin, schwarz und lesbisch. Sie wurde unlängst von der Beard-Society in Cambridge, einem feministischen Debattierclub, erst ein- und dann wieder ausgeladen. Bellos eckte an, weil sie angekündigt hatte, einige Forderungen der Transgender-Bewegung als übertrieben zu kritisieren.
    "Sie schreiben mir, dass sie mich ausladen. Meine Teilnahme würde einige Mitglieder der Gesellschaft beleidigen oder verletzen. Universitäten sollten physisch sicher sein. Wenn dieses Konzept aber auf Ideen angewandt wird, das ist für mich eine Art von Faschismus. Ich kann nichts mehr sagen, was jemand als beleidigend empfinden könnte. Das ist doch total verrückt."
    Warnhinweise werden aufgestellt
    Elizabeth Howcroft und Patrick Wernham, zwei Redakteure der Studierenden-Zeitung an der Uni Cambridge, verteidigen dagegen, dass Bellos keine Bühne bekommen hat.
    "Das Konzept 'no platform', dass wir jemandem keine Plattform bieten, bedeutet nicht, dass wir sie zensieren. Niemand wird ins Gefängnis geworfen oder aus dem öffentlichen Raum ausgeschlossen."
    "Ich denke, es geht mehr darum, dass Studierende Rücksicht aufeinander nehmen. Wir wollen sicherstellen, dass sich jeder willkommen fühlt. Der Raum hier an der Uni soll so inklusiv sein wie möglich."
    Die Schlüsselwörter in der Diskussion lauten "no platform", "safe space" oder "micro aggression". An der Fakultät für Englische Sprache und Literatur in Cambridge gibt es deswegen jetzt im Vorlesungsverzeichnis Warnhinweise: rote dreieckige Schilder wie im Straßenverkehr, wenn eine Vorlesung, beispielsweise über den Ersten Weltkrieg oder die Kolonialisierung, Gewaltanwendung thematisiert. Auch einer Vorlesung über Shakespeare’s Dramen wird ein solcher Warnhinweis vorausgeschickt. Dennis Hayes, Professor für Education an der Universität Derby, hält das für hochproblematisch.
    "Dozenten, deren Vorlesungen Warnhinweise erhalten, hören irgendwann auf, Themen auszuwählen, die als kontrovers empfunden werden. Warnhinweise sind Aufforderungen: Diskutiert das nicht! Schrittweise wird es keine kritische Diskussion mehr geben."