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Umstrittenes Gesetz
Frankreich will Arbeitsmarktreform durch das Parlament drücken

Die französische Regierung hat auch in letzter Lesung eine Abstimmung über ihre seit Monaten umstrittene Arbeitsmarktreform umgangen. Premierminister Manuel Valls griff dazu in der Nationalversammlung wie erwartet auf eine Sonderregel in der Verfassung zurück. Der Streit ist damit aber nicht vom Tisch - am Ende entscheiden wahrscheinlich die Richter.

Von Jürgen König | 20.07.2016
    Der französische Premierminister Manuel Valls bei der dritten Lesung über die umstrittene Arbeitsmarktreform.
    Der französische Premierminister Manuel Valls bei der dritten Lesung über die umstrittene Arbeitsmarktreform. (AFP / Francois Guillot)
    Es war ein hartes Ringen um das neue Arbeitsrecht - und es ging heute so zu Ende, wie es monatelang geführt worden war: im Streit. Da die Regierung für ihr Gesetz aus eigener Kraft wiederum keine Mehrheit zustande bekam, musste sie ein drittes Mal jenen Artikel der Verfassung bemühen, den in Frankreich inzwischen jeder kennt: Artikel 49.3 legt fest, dass ein Gesetz auch ohne Abstimmung als angenommen gilt, wenn ein Misstrauensantrag gegen die Regierung, wegen dieses Gesetzes herbeigeführt, scheitert.
    Schon nach der ersten und zweiten Lesung des Gesetzes musste er angewandt werden: so auch heute. Bis morgen, 16.30 Uhr, muss dieser Antrag gestellt werden, scheitert er - und davon muss man ausgehen -, dann ist das Gesetz durchs Parlament gebracht: in den kommenden Monaten ergehen die entsprechenden Ausführungsbestimmungen, damit wird das Gesetz Schritt für Schritt in Kraft treten. Nathalie Kosciusko-Morizet von den "Republikanern" im Sender BFM:
    "Wir haben eine Regierung, die der Reform nicht wirklich eine Richtung geben konnte, man wusste nie genau, was die Regierung eigentlich wollte. Es gab keinen Enthusiasmus, keine Mobilisierung für diese Reform. Die Parteien der Rechten haben sich da meist ganz ähnlich verhalten - dabei ist doch die Zeit der kleinen Reformen vorbei. Die Franzosen wissen doch, dass das bisherige System am Ende ist."
    Lockerung der 35-Stunden-Woche umstritten
    Einer der Kernpunkte des jetzt beschlossenen Gesetzes ist die Lockerung der 35-Stunden-Woche. Grundsätzlich bleibt sie bestehen, doch können die Betriebe sie nach eigenen Bedürfnissen flexibler gestalten. Für bis zu zwölf Wochen kann die Arbeitszeit auf 46 Wochenstunden ausgeweitet werden bei gleichzeitiger Kürzung der Überstundenzuschläge.
    Neu ist und sehr umstritten, dass die Unternehmen diese Vereinbarungen selber mit ihren Mitarbeitern aushandeln können. Bisher musste derlei immer branchenweit vereinbart werden - auch dagegen regte sich großer, letztlich erfolgloser Widerstand bei der Gewerkschaft CGT.
    Lehrlinge müssen nicht länger arbeiten
    Außerdem zentral ist die Neuerung, dass betriebsbedingte Kündigungen leichter werden: sie sind jetzt möglich, sobald es in einem Unternehmen mehrere Quartale in Folge Auftragsrückgänge oder Umsatzeinbußen gegeben hat. Nicht durchsetzen konnten die Arbeitgeber, dass im Gesetz feste Obergrenzen für Abfindungen nach einer Kündigung festgeschrieben werden, nurmehr von "Empfehlungen" ist noch die Rede - die nicht verbindlich sind.
    Die Regierung erlitt ihrerseits eine Niederlage beim Versuch, den Unternehmen die Möglichkeit zu geben, die Arbeitszeiten für Jugendliche, etwa für Lehrlinge in der Baubranche, ohne Genehmigung der Arbeitsinspektion von acht auf zehn Stunden pro Tag heraufzusetzen. Nach anhaltenden Protesten der Jugendverbände ließ man das Vorhaben fallen.
    Der Streit ist nicht vom Tisch
    Mit diesen Maßnahmen soll die Wirtschaft gestärkt, die seit Jahren sehr hohe Zahl der Arbeitslosen gesenkt werden. Dies wird umso nötiger, als einer der besonders wichtigen Wirtschaftszweige, der Tourismus, infolge der Terroranschläge deutlich Schaden genommen hat. Wirtschaftsminister Emanuel Macron:
    "Wir haben jetzt beim französischen, aber auch beim internationalen Tourismus einen deutlichen Rückgang der Reservierungen zu verzeichnen. Ob er anhalten wird, ist schwer zu sagen, aber in einigen Bereichen gibt es schon jetzt einen Rückgang von bis zu 30 Prozent der Buchungen. Manche Veranstaltungen wurden auch abgesagt, aber vor allem gibt es diese Vorsicht der Gäste, Veranstaltungen zu besuchen, insbesondere bei den Gästen der Kreuzfahrtschiffe."
    Frankreich durchlebt schwere Zeiten. Immerhin: das harte Ringen um das neue Arbeitsrecht ist erst mal vorbei. Der Streit ist damit indes nicht vom Tisch: die Gewerkschaft CGT hat bereits Klage beim obersten Verwaltungsgericht, dem Staatsrat, angekündigt, und der erste Tag der landesweiten Herbstdemonstrationen steht auch schon fest: der 15. September.