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Umwelt
Kunstrasen als Mikroplastikschleuder

Plastikrasen bedeckt die meisten Sportplätze in Skandinavien. Nur so ist Fußball im Winter möglich. Der Kunstrasen wird mit Partikeln alter Autoreifen aufgefüllt um ihn weicher zu machen. Diese Partikel gelangen aber auch in die Umwelt. Norwegische Forscher haben jetzt untersucht, welche Folgen das hat.

Von Christiane Westerhaus | 20.06.2019
Blick auf den Kunstrasen von Eintracht Dortmund, der mit Kork statt Granulat gefüllt ist.
Der Kunstrasen von Eintracht Dortmund, der mit Kork statt Granulat gefüllt ist. (Jessica Sturmberg / Deutschlandradio)
Ein Kunstrasenplatz in Schweden. Unbeeindruckt vom Schneeregen kicken sich ein paar Viertklässler ihre Bälle zu. Beim Hin- und Herrennen landen immer mal wieder ein paar Gummipartikel aus alten Autoreifen, mit denen der Kunstrasen ausgepolstert ist, in den Schuhen und Kleidungsstücken der Sportler. Wieviele Partikel auf diesem Weg den Platz verlassen, hat Claudia Halsband untersucht. Die Biologin am Meeresforschungsinstitut Aquaplan Niva in Tromsö hat Schüler in ganz Norwegen im Dienst der Forschung kicken lassen.
"Das war quasi ein Citizen Science-Experiment. Also über 3.000 Schüler haben da mitgespielt. In ihren Schulklassen sind die `ne halbe Stunde auf den Platz gegangen, haben gespielt in verschiedenen Wetterbedingungen und haben sich hinterher auf ein weißes Tuch gestellt, haben sich abgeschüttelt und ihre Schuhe abgebürstet und haben dieses Gummi gemessen, wie viel sie an sich hatten quasi."
Mehr als 65 Tonnen Gummi pro Jahr
Pro Spieler wurden zwar durchschnittlich nur etwa 4 Milliliter Gummi vom Platz getragen. Doch hochgerechnet auf alle Fußballplätze in Norwegen sind es immerhin 65 Tonnen Gummi pro Jahr. Eine noch größere Menge an Gummipartikeln – die als Mikroplastik eingestuft werden - wäscht jedoch Regen oder Schnee aus dem Kunstrasen. Das wird dann nicht selten in Flüsse gespült oder mitsamt dem abgeräumtem Schnee direkt in die Fjorde gekippt. Was dort mit diesen Partikeln passiert, hat sich Claudia Halsband in einem Laborversuch genauer angesehen.
"Das erste, was wir uns angesehen haben, war, dass wir einfach mal 20 Gramm von diesen Gummipartikeln eingesammelt haben von einem Sportplatz hier in Tromsö und ich habe dann 20 Gramm davon inkubiert in zwei Liter Seewasser, das wir hier einfach aus dem Fjord genommen haben und gefiltert haben. Und habe dieses Gummi da rein gepackt und zwei Wochen im Labor geschüttelt und dann wurde es auch langsam grau und hat die Farbe verändert und dann habe ich meinen Chemikern diese Substanz gegeben zur Analyse (...)Und wie erwartet haben wir viel Zink gefunden, also ein Schwermetall, von dem wir wissen, dass es im Autoreifen verarbeitet wird. Also das war keine große Überraschung, aber wir wissen, dass es jetzt sich in dem Meerwasser löst, also aus diesem Gummi raus kommt und in der Umwelt vorhanden ist."
Im nächsten Schritt hat Claudia Halsband kleine Krebstierchen mit den Kugeln aus geschredderten Autoreifen konfrontiert. Diese auch Ruderfußkrebse genannten Organismen sind eine wichtige Nahrungsquelle für so ziemlich alle Meerestiere, die in der Arktis leben.
Schadstoffe schaden Krebstierchen
"Also da haben wir jetzt eine typische Dosis-Wirkungs-Kurve erstellt. Also je höher die Konzentration von diesem Gummi in dem Wasser ist, desto höher ist die Sterblichkeit von Organismen. Die war dann bei hohen Konzentrationen auch wirklich sehr hoch, also wenn ich dieses konzentrierte Meerwasser mit Gummi, wenn ich das verwende, dann sterben diese Krebstierchen sehr schnell ab, innerhalb von einem Tag. Aber wenn man das dann runter verdünnt in realistischere Konzentrationen, die man dann eben draußen im Feld erwarten könnte, dann nimmt diese Sterblichkeit eben mit der Konzentration ab. Und da müssen wir jetzt gucken, was sind das für Konzentrationen, welche sind im Feld wirklich realistisch und bei welchen Mengen an Gummiansammlungen könnte das wirklich im Ökosystem Folgen haben, und was machen wir dagegen."
Klar ist aber schon jetzt: Obwohl die Krebstierchen die Gummipartikel nicht gefressen haben, leiden sie unter den Schadstoffen, die dieses Mikroplastik ins Meerwasser abgibt. Die Frage ist nur, welche Mengen sie noch tolerieren können. Womöglich ist der Effekt ungleich größer, wenn Organismen die Gummipartikel fressen. Um das herauszufinden, hat Claudia Halsband in einem weiteren Versuch Taschenkrebse untersucht, die die Teilchen als vermeintliche Nahrung aufnehmen könnten. In den Mägen der Tiere entdeckten die Forscher tatsächlich Gummipartikel. Außerdem arbeiten die Forscher an einem neuen Projekt, in dem sie sich den Abrieb von Autoreifen anschauen wollen. Auch dieser wird als Mikroplastik eingestuft und gelangt über Regen und abgeräumtem Schnee in den Fjorden. Eine Quelle von Kunststoffmüll, die sich noch schlechter kontrollieren lässt, als die von Sportplätzen.
Filtersysteme in Straßengullis
"Also die Fußballplätze - da könnte man jetzt sagen: Es gibt andere Mittel, wie man dieses Gras da unterfüttern kann, die umweltfreundlich sind. Aber eben nicht mehr Auto zu fahren oder wieder auf Holzrädern (lacht) anstatt auf Gummireifen, das wird natürlich schwierig. Das ist schwierig, das zu umgehen oder da mal eben was Neues, einen Ersatzstoff zu finden. Und das ist wirklich was, wo man ein bisschen länger nachdenken muss, ob man das irgendwie in Griff kriegen kann, oder ob man besser filtern kann, dass es eben von der Straße nicht überall hingeht, sondern dass man irgendwelche Mechanismen, Barrieren, irgendwas erfindet, dass das zumindest kontrolliert bleiben kann. Dass das nicht einfach überall hin läuft."
Die ersten Versuche dazu laufen bereits. In Berlin testen Ingenieure der TU Berlin beispielsweise spezielle Filtersysteme in Straßengullis, die den Abrieb von Autoreifen auffangen sollen.